«Der Widerwille gegenüber dem Unbekannten wird jetzt auf die Spitze getrieben»

Osteuropäische Regierungspolitiker schüren in ihren Ländern die Angst vor Flüchtlingen. In der Region fehlt ein Politiker mit Mut und Weitsicht, schreibt der Chefredaktor der unabhängigen slowakischen Zeitung «DennikN».

Hofft auf die Menschen im Land: Matus Kostolny, Chefredaktor der 2014 neugegründeten unabhängigen Zeitung «DennikN».

(Bild: Silja Schultheis, n-ost)

Osteuropäische Regierungspolitiker schüren in ihren Ländern die Angst vor Flüchtlingen. In der Region fehlt ein Politiker mit Mut und Weitsicht, schreibt der Chefredaktor der unabhängigen slowakischen Zeitung «DennikN».

Den Mitteleuropäern fehlt in diesen Tagen jemand wie Angela Merkel. Ein Politiker oder eine Politikerin, der oder die keine Angst hat, auch unangenehme Worte auszusprechen, auch wenn sie der Masse nicht gefallen. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, der tschechische Präsident Milos Zeman und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban biedern sich mit ihrem Populismus nicht nur bei den Bürgern an. Sie erzeugen mit ihrer Rhethorik selbst Angst vor Flüchtlingen.

Mit ihrer Ablehnung von Flüchtlingsquoten begeben sich unsere Regierungschefs in eine Aussenseiterrolle innerhalb der EU. Und sie zeigen damit, dass Mitteleuropa zivilisatorisch den Westen anscheinend noch nicht eingeholt hat.

Mein Land ist bei der Angstmacherei gegen Flüchtlinge ganz vorne dabei. Die Slowakei wird von der Partei Smer regiert. Ihr Name suggeriert, dass es sich um eine sozialdemokratische Partei handelt. Aber der Name täuscht: Obwohl der Ministerpräsident und unangefochtene Parteichef Robert Fico gerne von sozialen Sicherheiten spricht, verhält er sich nicht wie ein Sozialdemokrat. Fico pflegt enge Beziehungen zu Oligarchen, denen der Staat anbietet, sich zu bereichern. Und er kokettiert mit dem Nationalismus. Während der Flüchtlingskrise hat sich diese Haltung erneut bestätigt.

In der Kleinstadt Topocany beispielsweise sammeln Bürger gerade Unterschriften gegen ein Mädchen, das mit Kopftuch in die Schule kommt. Sie ist Slowakin, doch ihre Eltern sind zum Islam konvertiert. Man spricht von einer «drohenden Islamisierung».

Die Regierung hat begonnen, über Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan wie über Terroristen zu sprechen.

An dieser Aktion ist auch Ministerpräsident Fico schuld. Denn er war es, der begonnen hat, über Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan wie über Terroristen zu sprechen. Endlos wiederholt er, dass 95 Prozent von ihnen in Wirklichkeit nicht vor Krieg oder Tyrannei fliehen, sondern Wirtschaftsflüchtlinge sind, die nur das grosszügige Sozialsystem Europas missbrauchen wollen. Und es ist Fico, der uns Slowaken davon überzeugt, dass wir Menschen mit einer anderen Tradition, Kultur, Religion und Lebensweise nicht erlauben können, zu uns zu kommen. Er führt sogar das Argument an, dass wir in der Slowakei keine Moscheen haben.

Man muss sofort dazu sagen, dass Fico nicht der Einzige ist, der diesen Ton anschlägt. Auch wenn die Perversion seiner Worte nicht so leicht zu übertreffen ist. Gegen Flüchtlinge tritt auch der Grossteil der slowakischen Opposition auf.

Eine Ausnahme ist nur unser Präsident Andrej Kiska. Er betont, dass auch die Slowakei Verantwortung übernehmen und Menschlichkeit zeigen muss. Doch er stösst nicht auf fruchtbaren Boden. Die Slowakei ist historisch in sich selbst versunken. Sie ist ein kleines Land, das Andersartigkeit und Vielfalt nicht gewohnt ist. Einen gewissen Widerwillen gegenüber Unbekanntem gab es hier immer.

Die Slowakei ist historisch in sich selbst versunken. Sie ist ein kleines Land, das Andersartigkeit und Vielfalt nicht gewohnt ist.

Dieser Widerwille wird jetzt bis auf die Spitze getrieben. Es genügt, die Debatten auf Facebook oder die Diskussionen unter Artikeln im Internet zu verfolgen. Oder in die Kneipe zu gehen. Über Flüchtlinge sprechen die Menschen überall – und meistens ablehnend.

Das zeigen auch die Umfragen. Mehr als 70 Prozent der Slowaken wollen keine Flüchtlinge. Sie sagen, dass sie Angst vor ihnen haben. Und das alles in einer Situation, in der die Slowakei noch keinen Menschen aus der jüngsten Migrationswelle gesehen hat. Die Flüchtlinge meiden die Slowakei.

Viele Slowaken haben auch das Gefühl, dass sie selbst arm sind und Hilfe brauchen. Dahinter steht das Hinterherrennen hinter dem Westen. Der Wunsch, wie in Wien oder Berlin zu leben, hat sich auch 25 Jahre nach dem Fall des Kommunismus in den Augen der Mehrheit nicht erfüllt.

Auch hier haben Fico und jene Politiker versagt, weil sie den Menschen nicht verraten, dass die Slowakei beispielsweise im Vergleich mit den Südländern längst nicht mehr so arm ist. Gut, das Durchschnittsgehalt und das Lebensniveau hinken nach wie vor Jahre Deutschland hinterher. Aber mittlerweile gibt es in der EU mehrere Länder, denen es schlechter geht als der Slowakei. Und seit der Finanzkrise 2008 wächst unsere Wirtschaft kontinuierlich, worum uns viele beneiden könnten.

Zu beklagen ist auch das fehlende Europäertum. Einerseits ist die EU in der Slowakei beliebt. Europa ist ein Symbol für Reichtum und ein anständiges Leben. Dank der EU-Fonds werden in der Slowakei Strassen und Plätze, ja, wird eigentlich fast alles gebaut. Jedes Jahr beziehen wir Millionen Euro, und die Menschen haben sich daran gewöhnt.

Ministerpräsident Fico und die meisten Spitzenpolitiker verbreiten Angst vor Flüchtlingen. In Wirklichkeit fürchten sie sich aber selber – vor den eigenen Wählern.

Aber selbst dieses Geld hat es nicht vermocht, ein Gefühl zu erzeugen, dass wir bereits ein Teil Europas sind – dass die Slowaken Europäer sind. Ansonsten würden wir es nicht ablehnen, nicht nur den Flüchtlingen, sondern auch anderen EU-Ländern wie Griechenland zu helfen. Nach den vergangenen Monaten ist dies offensichtlich: Die Slowakei liebt Europa, wenn es Geld gibt, aber Europa interessiert sie nicht, wenn geholfen werden muss.

Ministerpräsident Fico und die meisten Spitzenpolitiker verbreiten Angst vor Flüchtlingen. In Wirklichkeit fürchten sie sich aber selber. Sie haben Angst vor den eigenen Wählern, die sie für Anständigkeit, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft bestrafen könnten. Von echten Politikern könnte man das Bemühen erwarten, das Beste in den Menschen zu fördern und nicht nur auf Stimmungswellen zu reiten.

Immerhin konnte man in den vergangenen Wochen beobachten, dass es auch eine andere Slowakei gibt. Dazu gehören jene Hunderte, die sich wie Menschen verhalten haben. In dem Moment, als die Flüchtlinge in Ungarn festgehalten wurden und zu Fuss die Autobahn entlang nach Österreich wanderten, haben sich auch einige Slowaken erhoben und sind ihnen zu Hilfe gekommen. Entgegen dem Widerstand ihres Staates. In diesen Menschen liegt die Hoffnung.

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Aus dem Slowakischen von Silja Schultheis, n-ost.

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