Die deutschen Profivereine winken mit grosser Mehrheit den Massnahmenkatalog «Sicheres Stadionerlebnis» durch und hoffen, dass der Druck aus der Politik nun nachlässt. Die Fans wollen die Proteste fortsetzen. Sie werfen den Verbänden vor, dass sie eingeknickt sind.
Beim Zweitligisten Union Berlin arbeitet die Presseabteilung offenbar schnell. Dr. Reinhard Rauball hatte sein Statement auf der offiziellen Pressekonferenz des Ligaverbandes «Deutsche Fussball Liga» noch nicht beendet, da wurde er schon mit der Einschätzung Hauptstädter konfrontiert, wonach die soeben vorgestellten Massnahmen «überflüssig» seien. «Wirksame Veränderungen», so der Zweitligist würden «so nicht erreicht.» Es sei unnötig, sich einem «wie auch immer motivierten politischen Druck zu beugen.» Rauball schluckte und zeigte sich «verwundert.»
Denn naturgemäss sah der DFL-Chef die Dinge ganz anders. Rauball zeigte sich erleichtert, dass alle 16 Unterpunkte des kontrovers diskutierten Papiers «sicheres Stadionerlebnis» mit offenbar deutlichen Mehrheiten angenommen worden waren, lediglich 5 der 36 anwesenden Vereine hätten zudem für eine Vertagung gestimmt. Es waren der FC St. Pauli der Hamburger SV, Werder Bremen, Union Berlin und der 1. FC Köln.
Die Beschlüsse seien «Leitplanken» für die Clubs vor Ort, sagte Rauball, der immer wieder betonte, wie wichtig auch die Kommunikation mit den Zuschauern sei. «Wir können allen Fans versichern, dass die Beschlüsse die Fankultur nicht gefährden. Im Gegenteil.» Rauball kündigte an, die DFL werde sich stärker an der Finanzierung der sozialarbeiterischen Fanprojekten beteiligen, «wenn sich die öffentliche Hand nicht zurückzieht.«
Bislang teilen sich Stadt, (Bundes-)Land und Verein bei der so genannten «Drittelfinanzierung» die Kosten. Doch viele Kommunen sind kurz vor der Pleite und überdenken – wie in Kaiserslautern – ihr Engagement.
Ganzkörperkontrollen sind weiterhin erlaubt
Besonders umstritten waren im Vorfeld zwei Punkte des 37-seitigen Papiers gewesen. Ein Passus, der die Möglichkeit der Reduzierung von Gäste-Tickets vorsah – was Fanvertreter als «willkürliche Kollektivstrafe» geisselten. Einer der drei erfolgreichen Änderungsanträge sieht nun vor, dass eine solche Massnahme nur dann statthaft ist, wenn sie vom Heimverein gegenüber dem Deutschen Fussball Bund (der z.B. für das Schiedsrichterwesen zuständig ist) und DFL begründet wird, erläuterte DFL-Vizepräsident Peter Peters.
Auch die so genannten Ganzkörperkontrollen waren auf Empörung an der Basis gestossen. Sie werden weiter möglich sein. Doch auch die umstrittenste Massnahme gehört «zu den Dingen, die bereits heute möglich gewesen wären», wie Rauball sagte.
Gegen das Massnahmepaket hatten alle Fanszenen der ersten, zweiten und dritten Liga drei Spieltage lang mit einem zwölf Minuten und zwölf Sekunden dauernden Stimmungsboykott demonstriert. Vor dem Sheraton-Hotel in Frankfurt demonstrierten etwa 500 Ultras aus allen Landesteilen ab 11 Uhr morgens. Nach Ende der Pressekonferenz kündigten ihre Vertreter an, die Protestaktionen gingen weiter. Als sie erfuhren, dass das Papier angenommen wurde, detonierte ein Böller. Ansonsten blieb es nach Angaben der Polizei aber friedlich.
Die Liga will der Politik zuvor kommen
Die eigentliche Nachricht sind dann auch weniger die einzelnen Massnahmen, die mehrheitlich nichts Neues beinhalten. Mindestens genau so wichtig war offenbar, dass überhaupt ein eigenständiger Beschluss der deutschen Profivereine verabschiedet wurde. Schliesslich hatten Landesinnenminister offen gedroht, sie würden ansonsten darüber diskutieren, ob die Vereine künftig an den Kosten der Polizeieinsätze beteiligt werden sollen.
«Diese Drohungen», hofft Rauball, «werden nun ein für allemal vom Tisch sein.» Zumindest hätten ihm das die Innenminister von Niedersachsen und Nordrhein Westfalen in der vergangenen Woche zugesichert. Ob Rauballs Hoffnung in Erfüllung geht, ist jedoch fraglich. Erst im kommenden Jahr geht in Deutschland der Bundestagswahlkampf richtig los.
«Wir kritisieren vor allem, dass die Entscheidungen unter solch immensem Zeitdruck gefallen sind», sagt auch Ben Prasse von der vereinsübergreifenden Fan-Organisation «Unsere Kurve». «Die DFL hat den grossen Fehler gemacht, dass sie dem Druck der Politik nicht standgehalten hat.» Anstatt das zu sagen, was die meisten Vereinsvertreter auch den Fans gegenüber zugäben – «die Stadien sind absolut sicher» – hätten sie sich von «wahlkämpfenden Innenpolitikern» treiben lassen, sagt Prasse.
Ordnerdienste sind oft von Rechtsextremen unterwandert
Eines aber begrüssen auch die Fanvertreter: Dass künftig die Ordnerdienste ausgebildet und zertifiziert werden sollen, sei «längst überfällig.» Zumal auch der DFL Hinweise vorliegen, dass die Ordnerdienste mancherorten mit Rechtsradikalen durchsetzt sind. In Dortmund, einer der Hochburgen der «Autonomen Nationalisten», rühmen sich beispielsweise namhafte Neonazigrössen damit, der Ordnerdienst sei «mit unseren Leuten» durchsetzt.
Auch in anderen Ligastandorten wundern sich Vereinsvertreter, dass laut Stadionordnung verbotene Kleidermarken wie die in der rechten Szene beliebten «Thor Steinar»-Klamotten, immer wieder im Stadion auftauchen. Bis sie merken, dass auch mancher Ordner, der die Einlasskontrolle durchführt, zur rechten Szene gehört.