Der Krach um Kulturlärm könnte sich für Basels rot-grüne Regierung zur Zerreissprobe entwickeln.
Eigentlich bringt Thomas Brunner so schnell nichts aus der Fassung: Der Leiter des Stadtmusik-Festivals strahlt stets eine heitere Gelassenheit aus. Es gibt nur ein Thema, das Brunner regelmässig «nachdenklich stimmt», wie er es vorsichtig formuliert: nämlich der alltägliche Kleinkrieg mit Basels Behörden. «Die Stadt will das Festival, verunmöglicht aber gleichzeitig es abzuhalten», redet Brunner sich in Rage: «Es ist, als würde der Staat ein Drei-Sterne-Restaurant subventionieren, dem Spitzenkoch aber gleichzeitig nicht erlauben, über 50 Grad zu kochen – obwohl sich die Gäste dauernd übers lauwarme Essen beschweren.»
Aktueller Anlass für seinen Ärger: die Aussicht, dass er für die dritte Ausgabe des Radio- und Musikfestivals den Innenhof des Kunstmuseums «akustisch abschirmen» muss. Eine teure Auflage: Die Baumassnahmen würden Schätzungen zufolge zwischen 30 000 und 40 000 Franken kosten – was wiederum bedeutet, dass das Festival den gesamten vom Lotteriefonds für die Programmgestaltung gesprochenen Betrag in diese Auflage investieren muss. Eine unglückliche Situation, die ab 2013 entschärft werden soll.
Umso unverhältnismässiger scheint der diesjährige Aufwand: Denn laut Gesetz wären die Lärmschutzwände nur für Konzerte am Donnerstagabend nötig. Konkret also: während insgesamt acht Stunden des einmonatigen Festivals. Brunners bitteres Fazit: Obwohl die Akzeptanz dieses «mehr als gesitteten Anlasses» von Jahr zu Jahr steige, obwohl das Standortmarketing damit werbe, «Stapi» Guy Morin im Patronatskomitee sitze – und obwohl im letzten Jahr keine einzige Reklamation eingegangen sei, würden die Auflagen von Jahr zu Jahr restriktiver. Kurz: «Eine absurde Situation.»
«Skandalös» und «kafkaesk»
Mit dieser Meinung ist Brunner keinesfalls allein. Hört man sich bei Basels Kultur- und Eventveranstaltern um, herrscht zum Start der Open-Air-Saison alles andere als eitel Sonnenschein, im Gegenteil: Zu sagen, die Vorfreude sei getrübt, wäre untertrieben. Grund für den kollektiven Unmut, so der in seltener Einigkeit vorgetragene Tenor: die gegenwärtige Basler Bewilligungspraxis. Die Urteile reichen dabei von «willkürlich» bis «skandalös», von «kafkaesk» bis «mittelalterlich».
Dass Basels Kulturszene unzufrieden ist, scheint grundsätzlich wenig überraschend. Schliesslich erhitzt das ewige Thema «Kulturlärm» bereits seit Wochen wieder die Gemüter der selbsternannten Kulturstadt. Zunächst waren es die illegalen Partys, dann der Rekurs des Vereins «Heb Sorg zum Glaibasel» gegen das bereits ausverkaufte Basel Tattoo, und schliesslich kam als I-Tüpfelchen noch die einsprachenbedingte Startverzögerung der zwei neuen Buvetten an der Flora- und Oetlingerstrasse dazu, welche die Köpfe rauchen liess. Jung gegen Alt, Bewahrer gegen Erneuerer, Feierfreudige gegen Ruhebedürftige: Die Gräben laufen quer durch die Gesellschaft.
Hinter den Kulissen zeichnet sich allerdings zurzeit zunehmend ein noch viel fundamentalerer Konflikt ab. Konkret geht es um Kompetenz- und Machtkämpfe innerhalb der Basler Behörden, und damit im Endeffekt auch um einen handfesten Richtungsstreit innerhalb der Basler Regierung. «Wohin entwickelt sich die Stadt?», scheint die Gretchenfrage. Denn wer in Basel kulturelle Veranstaltungen unter freiem Himmel plant, rennt trotz aller Beteuerungen immer noch oft von Amt zu Amt, um die nötigen Bewilligungen einzuholen. Und er muss unzählige, oft widersprüchliche Auflagen erfüllen.
Bewilligung fürs «Sonnendeck», aber keine für die benachbarte «Sommerresidenz»
Aufgrund des langwierigen und intransparenten Prozederes treffen die definitiven Entscheide nicht selten erst am Vorabend der eigentlichen Events ein. So etwa auf dem «Sonnendeck», der Sommerbar auf der Erlenmatt. Bis zum Vorabend der Eröffnung blieb unklar, ob diese Saison überhaupt Musik gespielt werden darf. Die Erleichterung über die Zusage war gross, der Frust nebenan umso grösser: denn die benachbarte «Sommerresidenz» hat keine Konzertbewilligung erhalten. «Es herrscht ein spürbar rigiderer Kurs vonseiten der Verwaltung, der alles verzögert», sagt Wirt Jonas Berner, der gegen die verkürzten Öffnungszeiten Rekurs eingelegt hat.
Auch bei den Betreibern des «Hinterhof» erfüllte sich die Hoffnung auf eine Lockerung der Lärmgrenzwerte nicht: Nach der erfolgreichen Lancierung ihrer Dachterrasse im letzten Sommer hätten Gespräche mit dem Amt für Umwelt und Energie (AUE), das in Christoph Brutschins Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt angesiedelt ist, stattgefunden. Dabei sei dem Kulturbetrieb in Aussicht gestellt worden, dass die Auflagen, die auf der Dachterrasse bisher nur Hintergrundmusik erlaubten, diesen Sommer neu beurteilt würden – falls bis dahin keine Lärmbeschwerden eingetroffen seien.
Tatsächlich gab es keine Beschwerden. Trotzdem wurden nun die drei beantragten Ausnahmebewilligungen für ein grösseres Sommerfestival allesamt abgelehnt. Dies, obwohl sich in Hörweite des «Hinterhof» am Dreispitz nur noch eine bewohnte Liegenschaft befindet. «Für diesen Entscheid fehlt mir das Verständnis», so Philippe Hersberger vom Leitungsteam: «Wenn eine einzige potenziell betroffene Liegenschaft ein Sommerfestival bereits im Vornherein verunmöglicht, wo sollen dann im Stadtkanton überhaupt noch Open-Air-Events möglich sein?»
Trotz allen Querelen und Unsicherheiten nimmt nächste Woche auch «Das Schiff» den Open-Air-Betrieb wieder auf: Neu ist das Freideck den ganzen Sommer über geöffnet. Auch hier ist laut Sebastian Schmidt vom Schiff-Musikbüro «Kulturlärm» ein Dauerthema, auch hier sei die Situation «nicht unheikel», man zeige sich aber vorsichtig optimistisch. Zu Recht: Denn die Regierung will die Hafenentwicklung als Prestigeprojekt vorantreiben und scheint hier im Hinblick auf die weiteren, unterstützten Zwischennutzungen den Spielraum etwas grosszügiger zu interpretieren. Hinter vorgehaltener Hand werden die «ungleichen Spiesse, die hier geschaffen würden» allerdings von anderen Kulturveranstaltern kritisiert.
«Der grösste Verhinderer von allen»
Zumindest eines steht fest: Die derzeitige Lage ist kompliziert. Dies zeigt sich auch während der Recherchen der TagesWoche selbst: Der Versuch, die zuständigen Ämter mit den konkret geäusserten Vorwürfen zu konfrontieren, resultiert in acht weitergeleiteten Anrufen bei vier verschiedenen Departementen – nur um fünf Stunden später ohne amtliche Stellungnahme doch wieder an die offiziellen Pressesprecher verwiesen zu werden. Der Tonfall innerhalb der Verwaltung ist gereizt: Man möge nicht mehr «ständig über die Rolle als Spassverderber und Sündenbock» referieren, erklären Angestellte.
Jürg Hofer, Chef des AUE, das vonseiten der Veranstalter als «grösster Verhinderer von allen» geschildert wird, weist alle Vorwürfe energisch zurück, erklärt sich aber nach einem hitzigen Wortwechsel schliesslich doch noch versöhnlich und bereit, die einzelnen Entscheide schriftlich zu begründen. Die einige Tage später eintreffende, ausführliche schriftliche Stellungsnahme zeigt denn auch klar auf, dass alle Entscheide gesetzlich absolut lupenrein sind. Dennoch scheint im AUE zurückhaltender bewilligt zu werden, als der Gesetzesspielraum dies zulässt.
Diesen Eindruck teilt auch SP-Grossrat Tobit Schäfer: Zehn Jahren nach der Gründung des Vereins «Kulturstadt Jetzt», der sich für die Anliegen der Kultur- und Gastronomieszene einsetzt, habe sich trotz der Ochsentour durch die Institutionen leider nicht viel verbessert – so sein ernüchterndes Fazit. «Einzig der Ton ist freundlicher geworden, die Absichtserklärungen dagegen nur Schall und Rauch. Dies ist mehr als enttäuschend.» Anstelle der versprochenen Vereinfachung der Bewilligungspraxis herrsche noch immer Bürokratie. «In den letzten Monaten wurde die Schraube eher wieder angezogen – und der lange währende Burgfrieden gebrochen.»
Nach wie vor treffe man an zentralen Schaltstellen der Bewilligungsbehörden «nicht eine offene, ermöglichende, sondern eine skeptische, verhindernde Mentalität». Insbesondere seine Parteikollegen, die beiden Regierungsräte Hans-Peter Wessels und Christoph Brutschin, hätten es dabei in ihrer ersten Amtszeit versäumt, «den verantwortlichen Beamten hin und wieder auf die Finger zu klopfen».
«Überall falsche Hoffnungen geschürt»
Angesichts der desillusionierenden Erfahrungen zeigt sich Schäfer auch skeptisch, ob die Totalrevision des Allmendgesetzes, das angekündigte Gesetz zur Nutzung des öffentlichen Raums (NöRG) tatsächlich den erhofften Durchbruch bringt. «Innerhalb des Parlaments ist der Wille zu einer Liberalisierung und Vereinfachung vorhanden», betont Schäfer. Die Politik könne aber nur Leitplanken vorgeben: Die Entscheide würden nach wie vor in der Verwaltung fallen: «Und wenn hier kein Umdenken stattfindet, dass die Stadt den Bürgern gehört und nicht der Verwaltung, dann kann auch das NöRG nicht die gewünschten Effekte entfalten.»
Die städtischen Kulturschaffenden setzen ihre Hoffnung nun auf das 2009 neu geschaffene Präsidialdepartement von Guy Morin. Von allen Seiten werden die Initiativen von Kulturchef Philippe Bischof und Stadtentwickler Thomas Kessler begrüsst, die «stets ein offenes Ohr hätten». Ein Jungpolitiker lobt dazu «den rebellischen Spirit des Departements, den Mut zur kühnen Vision».
Auch Regierungspräsident Guy Morin scheint in seiner Rolle als Weibel für ein pulsierendes Stadt-eben aufzugehen. «Als Kulturdirektor liegt mir dies natürlich am Herzen», erklärt Morin. «Wir brauchen zwingend Vereinfachungen. Und vielleicht braucht es in der Verwaltung auch ein grösseres Verständnis für Dienstleistungen.» Gerade dieses stetige Plädoyer für mehr Mut, Vielfalt und Toleranz, das allen Playern des Präsidialdepartements gemein ist, wird andernorts allerdings mit zunehmendem Unbehagen verfolgt. Dass individuelle Ideen in der Öffentlichkeit vollmundig verkündet werden, ohne die eigene Haltung mit anderen abzusprechen, sorgt für Missmut.
«Am Ende müssen wir es ausbaden, wenn die Damen und Herren von Standortmarketing oder Stadtentwicklung bei Impulsreferaten völlig unrealistische Versprechungen machen», nervt sich ein Angestellter des Baudepartements: Dass die Stimmung unter Basler Veranstaltern so schlecht sei, hänge nämlich seiner Meinung nach vielmehr damit zusammen, dass das Präsidialdepartement überall Hoffnungen und Erwartungen schüre – und dabei immer wieder Betriebe zu Plänen und Projekten ermuntere, die gar nicht umsetzbar seien: «Dabei haben sie keinerlei Kompetenzen, wenn es anschliessend um konkrete Verwaltungsentscheide geht.»
Ein heisser Wahlherbst
Auch Tobit Schäfer spart nicht mit Kritik an der Guerilla-Taktik des Präsidialdepartements: Schlussendlich nütze alle gute Absicht nichts, wenn die Versprechungen nicht eingehalten würden. Im Gegenteil: «Der folgende Frust erschwert danach die weitere Zusammenarbeit umso mehr – denn die entscheidenden Stempel werden andernorts gesetzt», betont Schäfer.
Es scheint deshalb nur eine Frage der Zeit, bis die schwelenden Konflikte zu eigentlichen Grabenkämpfen mutieren – schliesslich geht es hier um nichts weniger als die zukünftige Gestaltung des Stadtlebens. Möglicherweise offenbaren sich die Differenzen zwischen den Departementen sogar bald als Zerreissprobe für die rot-grüne Regierung. Dann nämlich, wenn es den Vorstehern im Herbst um die eigene Wiederwahl geht. Zumindest Schäfer kündigt im Namen von «Kulturstadt Jetzt» bereits heute einen «Wahlkampf ohne Angst vor oppositionellen Positionen» an. Somit dürfte dem heissen «Kulturlärm»-Sommer wohl ein noch heisserer Wahlherbst folgen.
Quellen
Insgesamt rund ein Dutzend Basler Kulturveranstalter und ebenso viele Verwaltungsangestellte, SP-Grossrat Tobit Schäfer («Kulturstadt Jetzt»), Regierungspräsident Guy Morin.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12