Die Ära Sisi beginnt mit einem Fehlstart

Der Sieg mit 95 Prozent mag eindrücklich sein. Die niedrige Wahlbeteiligung ist dennoch ein erster Dämpfer für die zu erwartende Kommando-Politik des ägyptischen Feldmarschalls. Seine Popularität ist offensichtlich doch nicht so gross, wie die ägyptischen Medien glauben machen wollen.

Ägypten hat bis einschliesslich 28. Mai einen neuen Präsidenten gewählt – einen Tag länger als geplant, um die tiefe Wahlbeteiligung zu erhöhen. (Bild: ABDALLAH DALSH)

Der Sieg mit 95 Prozent mag eindrücklich sein. Die niedrige Wahlbeteiligung ist dennoch ein erster Dämpfer für die zu erwartende Kommando-Politik des ägyptischen Feldmarschalls. Seine Popularität ist offensichtlich doch nicht so gross, wie die ägyptischen Medien glauben machen wollen.

Den ersten Befehl von Ex-Armeechef Abdelfattah al-Sisi haben Millionen Ägypter und Ägypterinnen verweigert. Sie haben mit ihrer Abstinenz von den Urnen dafür gesorgt, dass die von ihm geforderte historisch hohe Wahlbeteiligung nicht erreicht wurde. Der Staatsapparat reagierte panisch und hysterisch. Aber es halfen weder Anreize wie freie Tage, noch die Androhung von Bussen, noch Beschimpfungen von Nicht-Wählern als Vaterlandsverräter, noch die Ausdehnung der Wahl auf einen dritten Tag. Der Wert der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 wurde dennoch nicht erreicht. Weniger als die Hälfte der Ägypter und Ägypterinnen haben sich an die Urnen begeben.

Kein echter Wettbewerb

Vor allem die Verlängerung um einen weiteren Tag hat Fragen nach Transparenz und Glaubwürdigkeit aufgeworfen. Damit sei die Tür geöffnet worden, um die Wahlen in Frage zu stellen, meinte ein Politologe. Sie hätten aus der Farce ein Debakel gemacht, war in einem Internetforum zu lesen. Dabei war der Urnengang selbst ohne grössere Zwischenfälle verlaufen. Es zeigten sich die üblichen logistischen Unzulänglichkeiten und das Sisi-Lager setzte an vielen Orten seinen Wahlkampf fort. Diese Verstösse haben aber das Resultat nicht beeinflusst. Viel entscheidender war die Tatsache gewesen, dass von Anfang an der Machtapparat eindeutige Signale ausgesendet hatte, dass nur der ehemalige Armeechef als künftiger Präsident und Nachfolger des von Militär und Massenprotesten gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Morsi akzeptiert wird.

Deshalb erstaunt es nicht, dass Herausforderer Hamdin Sabahi vom linken Volkstrend nicht den Hauch einer Chance hatte. Die Zahl der ungültigen Stimmzettel war noch grösser als jene mit dem Kreuz beim Adler, Sabahis Wahlsymbol. Dennoch lobten ihn viele aus dem Sisi-Lager als Helden. Wäre er nicht angetreten, hätte es nicht einmal den Schein einer Wahl um das höchste Amt im Staat gegeben, mit der die vom Militär gestützte Führung, das Ende der Morsi-Ära endgültig besiegeln wollte.

Autoritärer Ton erschreckt

Sisis Anhänger müssen zur Kenntnis nehmen, dass seine Popularität offensichtlich doch nicht so gross ist, wie die nahezu gleichgeschalteten ägyptischen Medien glauben machen wollten, trotz der einhelligen Unterstützung durch Armee, Staatsapparat und Geschäftswelt. Erste Kratzer an seinem Helden-Image hatten sich schon in der Kampagne gezeigt. Der Ex-General hatte es nicht verstanden, mit den Menschen zu kommunizieren. Mit seinem harschen Ton und seinem autoritären Gehabe hat er viele erschreckt. Bis jetzt hätte er das verstörende Bild abgegeben, dass ein Leben unter Sisi die schlimmsten Übel der Mubarak-Ära wiederbelebt, nämlich Korruption, Vetternwirtschafts und Menschenrechtsverletzungen, befand der bekannte Schriftsteller Alaa al-Aswany.

Ganz offensichtlich hat auch der Boykottaufruf der entmachteten Muslimbrüder seine Wirkung nicht verfehlt. In ihren Hochburgen in Oberägypten war die Beteiligung besonders tief. Die erzkonservative, salafistische Nour-Partei hatte sich zwar hinter Sisi gestellt; die meisten Mitglieder der zweitstärksten islamistischen Partei waren ihrer Führung aber nicht gefolgt.

Die grossen Abwesenden bei dieser Wahl waren die Jungen, ein Trend der sich schon beim Verfassungsreferendum im Januar gezeigt hatte. Revolutionsaktivisten hatten in den letzten Monaten die Repression ebenso zu spüren bekommen wie die entmachteten Muslimbrüder. Sie sind enttäuscht und frustriert, dass sie bei der Neugestaltung der politischen Institutionen völlig übergangen werden und dass die alten Kader aus der Mubarak-Zeit wieder in den Vordergrund drängen. Hinzu kommt eine allgemeine Müdigkeit der Ägypter als Folge von politischen Unruhen, zunehmender Gewalt und einem chaotischen Alltag, der durch die häufigen Stromausfälle noch erschwert wird.

Unterdrückung als einziges Rezept

Der Ex-General steht vor gewaltigen Herausforderungen. Viele seiner Anhänger erwarten von ihm nichts weniger als Wunder. Im Wahlkampf hatte er es allerdings vermieden, klare Ziele zu setzen, an denen man ihn messen könnte. Er hat auch nicht verraten, wenn er als Berater um sich scharen will. Dafür haben erste Reformkräfte aus seinem Team ihm bereits den Rücken gekehrt.

Stabilität und Sicherheit sind die wichtigsten Anliegen der grossen Mehrheit der Ägypter. Sie erhoffen sich, dass sich dann die Wirtschaft fast automatisch von der Krise erholen könnte und Touristen und Investoren wieder nach Ägypten zurückkehren und für Wachstum und dringend benötige Arbeitsplätze sorgen werden. Sisi und der Sicherheitsapparat haben bisher dazu nur ein Rezept geliefert; die Ausschaltung aller Opponenten, seien sie Islamisten oder Revolutionsaktivisten. Ob sich so die tiefen Rissen in der Gesellschaft kitten lassen, fragen sich immer mehr Ägypter und Ägypterinnen.

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