Die Akte Acta

In Osteuropa gehen die Menschen zu Tausenden gegen das multilaterale Anti-Fälschungs-Abkommen Acta auf die Strasse. In der Schweiz soll das Handelsabkommen noch in diesem Jahr ratifiziert werden und auch hier regt sich Widerstand: Für Samstag sind Demonstrationen in Zürich und in Genf angekündigt. Wogegen eigentlich?

Gegen Acta auf die Strasse: In ganz Europa (Bild: Schweden) wird gegen das Acta-Abkommen demonstriert. Am Samstag auch in der Schweiz. (Bild: Keystone)

In Osteuropa gehen die Menschen zu Tausenden gegen das multilaterale Anti-Fälschungs-Abkommen Acta auf die Strasse. In der Schweiz soll das Handelsabkommen noch in diesem Jahr ratifiziert werden und auch hier regt sich Widerstand: Für Samstag sind Demonstrationen in Zürich und in Genf angekündigt. Wogegen eigentlich?

In Polen, in Tschechien, in Lettland und in der Slowakei hat der Protest gegen Acta, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, bereits genützt. Die Regierungen der vier osteuropäischen Länder verzichten vorerst auf eine Ratifizierung des Abkommens. Zuerst sollen Experten die Auswirkungen von Acta auf die Bürgerinnen und Bürger untersuchen.

Kritiker des Abkommens glauben diese Auswirkungen bereits zu kennen. Auf ungezählten Websites, via Facebook und Twitter wird nichts weniger prophezeit als das Ende des Internets in seiner heutigen Form. Acta, ursprünglich als multilaterales Abkommen gegen Produktefälschung lanciert, enthält auch eine Bestimmung über die Rechte an geistigem Eigentum im «digitalen Umfeld». Aus dem selbst für Beamtenverhältnisse äusserst schwammig formulierten Artikel 27 lesen Kritiker folgende Szenarien heraus: Die Möglichkeit von Internetsperren bei Nutzern, die verbotene Inhalte auf ihre Rechnern laden; die Haftung von Internet-Providern für die Inhalte ihrer Nutzer (und die damit verbundene Unmöglichkeit, überhaupt noch irgendetwas auf Twitter, Youtube oder Facebook zu posten), und die bewusste Filterung von Inhalten auf Seiten des Internets. «Zur Unfähigkeit der Massnahmen, ihr offensichtliches Ziel zu erreichen, gesellt sich eine enorme Gefahr für die freiheitliche Demokratie», resümiert die deutsche Piratenpartei in ihrem Positionspapier gegen Acta.

Keine Änderung

Initiiert wurde das Abkommen im Jahr 2008 von den USA und Japan. In insgesamt elf Verhandlungsrunden einigten sich die verhandelnden Länder (neben den beiden Initianten die EU und ihre Mitgliedsstaaten, Mexiko, Singapur, Südkorea, Marokko, Neuseeland, Australien, Kanada und die Schweiz) auf den heute vorliegenden Vertragstext.

Der Schweizer Chefunterhändler während den Verhandlungen war Mathias Schaeli, Leiter Internationale Handelsbeziehungen im Eidgenösisschen Institut für Geistiges Eigentum. Ihn erstaunt die Kritik an Acta, ihn erstaunt auch, dass für kommenden Samstag auch in der Schweiz zu Demonstrationen gegen den Vertrag aufgerufen wird. Sein Verhandlungsmandat bestand darin, mit Acta keine bestehenden Schweizer Gesetze zu verschärfen – und das sei ihm gelungen. Hauptzweck von Acta sei insbesondere die bessere Bekämpfung der kommerziell orientierten Fälschung und Piraterie und die engere internationale Zusammenarbeit mit den Partnerstaaten. «Im Bereich des Internets, der nur einen kleinen Teil des gesamten Vertrags ausmacht, wird es für den Schweizer Konsumenten keine Veränderung geben.» So sei das Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Inhalten zum Privatgebrauch nach wie vor legal.

Im November 2011 kam der Bundesrat in einem Bericht zum Schluss, dass zwar jeder dritte Schweizer über 15 Jahren aus dem Internet kostenlos Musik, Filme und Spiele herunterlade. Gleichzeitig hielt der Bundesrat aber fest, dass der dadurch entstehende kulturelle Schaden gering sei, denn «das Geld, das die Internetnutzer beim kostenlosen Herunterladen sparten, gäben sie weiterhin für den Konsum im Unterhaltungsbereich aus», wie es NZZ Online zusammenfasste. Fazit: Die Schweiz verzichtete auf eine Verschärfung des Urheberrechtsgesetzes. «Und das ändert auch nicht mit der Teilnahme der Schweiz bei Acta», sagt Schaeli.

Derzeit laufen die verwaltungsinternen Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf eine Unterzeichnung des Vertrags. Anschliessend muss das Abkommen noch vom Parlament genehmigt werden – und zwar bis spätestens zum 1. Mai 2013. Der nun beginnende Prozess soll möglichst breit abgestützt sein; Schaeli kann sich beispielsweise eine öffentliche Vernehmlassung vorstellen. «Wir haben uns schon während den Verhandlungen bemüht, so transparent wie möglich zu informieren», sagt der Verhandlungsleiter und reagiert damit auf einen zweiten grossen Kritik-Punkt der Acta-Gegner: Der Vertrag sei hinter verschlossenen Türen und damit undemokratisch verhandelt worden.

«Schritt in die falsche Richtung»

In der Schweiz wird der Protest gegen Acta von der Piratenpartei organisiert. Deren Präsident Denis Simonet kritisiert zwar grundsätzlich die Verhandlungen, lobt Schaeli aber für seine Bemühungen, während des gesamten Prozesses wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkle gebracht zu haben. Gleichzeitig bestätigt er, dass die Acta-Bestimmungen vorderhand keine Veränderungen im Schweizer Recht auslösen. Und dennoch wehrt sich Simonet mit aller Kraft gegen die Ratifizierung. Zwar seien die heiklen Richtlinien als «Kann-Bestimmungen» formuliert und damit nicht direkt bindend. Aber: «Sie sind ein Signal. Unterstützen wir diesen Vertrag, unterstützen wir auch die darin festgeschriebene Haltung.» Und diese Haltung laufe zwangsläufig darauf hinaus, das Internet und seine Inhalte möglichst flächendeckend zu kontrollieren.

Für die Frühlingssession plant Simonet ein Treffen mit verschiedenen NGOs und Parteien, um mögliche politische Schritte zu besprechen, die Option eines Referendums beispielsweise. Bereits am Samstag organisiert die Piratenpartei im Rahmen des europäischen Aktionstags gegen Acta eine Kundgebung auf dem Helvetiaplatz in Zürich. Hauptredner wird der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli sein, der sich auch schon via Twitter kritisch zu Acta geäussert hat: «Mir geht es darum, ein Bewusstsein für das Abkommen zu schaffen», sagt Glättli der TagesWoche. Offene Fragen müssten geklärt, die verschiedenen Akteure miteinbezogen werden. «Ich will mithelfen, eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen, um Acta politisch sauber beurteilen zu können.»

 

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Quellen

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