Die Amoktat im Rheintal liess die Community der sozialen Netzwerke aufjaulen. Die Schweiz diskutiert über die Sicherheit im öffentlichen Verkehr. Trotz allem bewahren Behörden und Zugunternehmen bislang einen kühlen Kopf. Eine Übersicht.
Das sind die Gemeinsamkeiten: ein Zug, eine schreckliche Tat und ein «einsamer Wolf», der diese Tat verübt hat. Und damit erinnert die Amoktat im Zug bei Salez, St. Gallen, sowohl die Social-Network-Community wie auch inländische und ausländische Medien (z.B. BBC oder «die Welt») an den Anschlag von Würzburg, als am 18. Juli ein 17-jähriger Flüchtling in einem Regionalzug mehrere Menschen verletzte – mit einer Axt und einem Bekenntnis zur Terrororganisation IS.
Vor diesem Hintergrund informierte am Wochenende auch die St. Galler Kantonspolizei die Öffentlichkeit, und zwar betont darum bemüht, Gerüchten und voreiligen Fehlschlüssen entgegenzuwirken. Was die Twitter- und Facebook-Gemeinde jedoch nicht davon abhielt, je nach Gesinnung wild zu spekulieren oder gegen verbreitete Falschmeldungen, Vorurteile und Weltanschauungen anzuschreiben. Falls Sie sich das antun wollen – das sind die Hashtags #Salez oder #StGallen.
Bei «watson» finden Sie den in solchen Fällen mittlerweile üblich gewordenen Übersichtsartikel: Was wir wissen – und was nicht.
Um einen islamistischen Anschlag, wie dies einige vermuteten – man könnte in den ganzen Online-Diskussionen zuweilen auch den Eindruck gewinnen: erhofften (siehe «Infosperber») –, handelte es sich laut Einschätzung der Polizei nicht. Das Motiv bleibt vorerst unklar, der Täter war mutmasslich ein 27-jähriger Schweizer, laut «Blick» ein «stiller Aussenseiter».
«Alles tun»
Für die Toten und Verletzen dürften die genauen Hintergründe letztlich keinen Unterschied machen. Für diejenigen, die regelmässig in unbegleiteten oder schwach besetzten Zügen fahren, auch nicht, prognostiziert die NZZ: Deren «subjektives Sicherheitsgefühl» werde sich so oder so verschlechtern.
In seinem Kommentar schreibt NZZ-Redaktor Daniel Gerny, «unser Gefühl von Geborgenheit und Freiheit im eigenen Land» gerate nun weiter unter Druck. Doch es gebe «gewisse polizeiliche und verfahrensrechtliche Massnahmen», die «möglicherweise zielführend» sein könnten. Allerdings mit dem Preis, dass «gewisse Einschränkungen des Datenschutzes in Kauf genommen werden müssen». Gernys Schlussfolgerung:
«Alles dafür zu tun, damit sich Gewalttaten wie jene von Salez oder Würzburg nicht wiederholen, ist notwendig. Es gleichzeitig ohne Panik hinzunehmen, dass es trotz allem geschehen kann – mit dieser Gewissheit müssen wir uns wieder stärker auseinandersetzen.»
Es ist das Fazit, das man unter jede Bluttat schreiben könnte, ja vielleicht muss. Egal, von wem und unter welchem Motiv sie begangen wurde. Doch was genau soll das heissen: «alles tun»?
Diskussion lanciert
Für Hans-Ruedi Schürch, Präsident des Lokpersonalverbandes LPV, hiesse das gemäss «20 Minuten», einfach das Rad der Geschichte zurückdrehen: Es brauche wieder in jedem Zug einen Zugbegleiter, so wie damals vor 20 Jahren, als man sich im Zug noch habe sicher fühlen dürfen. Zwar gesteht Schürch ein, eine Attacke wie die in Salez könne eine solche Massnahme «auch nicht immer verhindern». Doch er erhofft sich zumindest einen abschreckenden Effekt. Und damit ist er nicht alleine, wie aus dem Artikel hervorgeht.
Selbstverständlich gibt es auch Gegenstimmen. Benedikt Weibel etwa, der SBB-Chef von 1993 bis 2006, hält Schürchs Forderung für «absolut unmöglich» und auch nicht für zielführend, wie er sich im «Tages-Anzeiger» zitieren lässt.
Generell verläuft die Diskussion um die Sicherheit, die sich so kurz nach der Tat ausbreitet, derzeit zwischen der Einsicht, dass neue Massnahmen solche Taten zwar nicht verhindern können, und dem Unwillen, dies zu akzeptieren. So sagt etwa Martin Graf, Chef von Securitrans, gegenüber dem «Tages-Anzeiger» klipp und klar:
«Wir haben keine Chance, solche Fälle zu verhindern. Es ist kaum möglich, dass die Sicherheitsorgane am richtigen Ort sind, wenn jemand, der den Behörden nie aufgefallen ist, völlig überraschend kriminelle Handlungen begeht.»
Und doch war es derselbe Martin Graf, der in der Sonntagspresse propagierte, man müsse die «Bahnhofspräsenzen» des Sicherheitspersonals auf 24 Stunden verteilen.
Nichts überstürzen
Eine andere Methode hat die NZZ in einem Amok-Früherkennungssystem ausfindig gemacht, wie es die Kantone Solothurn und Zürich bereits einsetzen. Dieses beruht unter anderem auf einem Computerprogramm, das Warnsignale bewertet und Gefahren einschätzen könne. Doch auch dieses System hilft bestenfalls in solchen Fällen, bei denen potenzielle Täter bereits eine alarmierende Vorgeschichte aufweisen.
Wie weiter? Die Diskussion um die Sicherheit ist erst angelaufen. Nachahmungstäter können nie ganz ausgeschlossen werden. In den sozialen Netzwerken dürfte das Poltern noch eine Weile anhalten. Dennoch stehen die Zeichen insgesamt nicht auf Übereilung, das bisherige Sicherheitsdispositiv im öffentlichen Verkehr auf den Kopf zu stellen.
Das «Echo der Zeit» von SRF hat am Sonntag mit dem Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr, Ueli Stückelberger, und mit Hans Altherr, Verwaltungspräsident der Südostbahn, über den Ruf nach mehr Polizei im Zug gesprochen. Beide nehmen demnach das Sicherheitsbedürfnis der Passagiere ernst, mahnen aber auch, mit Bedacht neue Einzelmassnahmen einzuführen, zumal aus finanziellen Gründen jeder Ausbau in einem Sicherheitsbereich einen Abbau in einem anderen zur Folge habe. Und die SBB haben angekündigt, man ändere bis auf Weiteres nichts an den Sicherheitsmassnahmen und warte die Erkenntnisse aus den Untersuchungen ab.