Die Angst vor dem eigenen Volk

Ein Grossaufgebot von Polizei und Militär soll während der WM in Brasilien für Sicherheit sorgen. Dabei geht es nicht primär um Terrorismus, sondern die Regierung hat Angst vor dem eigenen Volk.

Ein Polizist schiesst am 27. Mai 2014 in Brasilia Tränengas auf demonstrierende Indios. (Bild: AP Photo/Eraldo Peres)

Fast 160’000 Soldaten und Polizisten sollen an der Weltmeisterschaft in Brasilien für Sicherheit sorgen. Nicht in erster Linie, weil ausländische Terroristen gefürchtet werden. Die Regierung hat Angst vor dem eigenen Volk, das der WM zunehmend kritisch gegenüber steht.

Natürlich hat Brasiliens Regierung gehofft, dass die Fussball-Weltmeisterschaft im eigenen Land zu einer Art Katalysator werden würde. Doch so, wie es nun herauskommen könnte, war das wohl nicht gedacht, als sich das Land gleich für die WM 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 bewarb. Brasilien wird sich kaum als jene optimistisch in die Zukunft schauende aufstrebende Wirtschaftsmacht präsentieren, wie es einst gedacht war.

Stattdessen herrscht in der Regierung die Angst vor dem eigenen Volk. Fast 160’000 Soldaten, Polizisten und sonstige Sicherheitsarbeiter sind aufgeboten, um während der WM für Sicherheit zu sorgen. Das kostet Brasilien rund 770 Millionen Franken. Und es sind nicht ausländische Terroristen, die bei den Organisatoren die grösste Angst auslösen. Es ist die Furcht vor Massen-Demonstrationen während der WM.

Die teilweise gewalttätigen Proteste während des Confederations Cup im Vorjahr haben es endgültig bewiesen: Brasilien freut sich nicht ungeteilt auf den Moloch WM, der dem Staat enorme Kosten bringt, während der Weltfussballverband Fifa für seine Gewinne nicht einmal Steuern entrichten muss. Rund 3,4 Milliarden Franken bezahlt Brasilien alleine für den Bau und die Renovierung der WM-Stadien; mehr als Deutschland und Südafrika zusammen gerechnet für die WM-Stadien 2006 und 2010 ausgegeben haben.

Bis zu 170’000 Zwangsumsiedlungen

Nicht nur die hohen Kosten werden in Brasilien kritisiert. Die Rede ist auch davon, dass das viele Geld durch Korruption in die Taschen einiger weniger verschwunden sei. Die versprochenen Verbesserungen der Infrastruktur dagegen sind grösstenteils ausgeblieben.

Indigene stehen berittener Polizei gegenüber bei Protesten vor dem Nationalstadion in Brasilia Ende Mai.

Indigene stehen berittener Polizei gegenüber bei Protesten vor dem Nationalstadion in Brasilia Ende Mai. (Bild: Keystone)

Gleichzeitig leidet die ärmste Bevölkerung unter den «Aufwertungen» der Quartiere rund um die Stadien. Die Comites Populares da Copa, die den Widerstand gegen die WM koordinieren, gehen von bis zu 170’000 Zwangsumsiedlungen aus. Betroffen sind Favela-Bewohner, die teilweise auf brutale Art und Weise aus ihren Häusern vertrieben werden, ohne dass sie dafür eine angemessene Entschädigung erhalten würden.

Der eben erst in den Jahren des Aufschwungs entstandene Mittelstand, der in der Krise bereits wieder seinen sozialen Abstieg fürchtet. Dazu eine sich immer besser organisierende Unterschicht und Indios, die ebenfalls für ihre Rechte kämpfen: Es ist eine explosive Mischung, die sich an dieser megalomanen WM entzünden könnte.

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