Die Angst vor dem Öl

Die Suche nach Öl verursacht tödlichen Lärm im Meer. Gegen solche Projekte vor Spaniens Küste regt sich nun Protest.

Playa de Palma: Empörte Aktivisten simulieren einen Ölteppich an Mallorcas berühmtestem Strand. (Bild: Manu Mielniezuk)

Die Bewohner der Balearen und Kanaren protestieren gegen die Unterwassersuche nach Öl mit Druckluftkanonen. Sie befürchten ein Massensterben von Meeresbewohnern und warnen vor einer Ölkatastrophe.

Sie tanzten zu rhythmischen Trommelschlägen, doch sie waren nicht zum Feiern an die berühmte Playa de Palma auf Mallorca gekommen. Dort, wo sonst der Sangria in Strömen fliesst und alle Hemmungen fallen, bildeten sie eine Menschenkette, viele Hundert Personen lang. Die meisten waren in Schwarz gekleidet. Sie wollten eine Katastrophe simulieren: einen Ölteppich an den beliebten Stränden der Ferieninsel.

Die Menschen auf den Baleareninseln Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera haben Angst. Seit Monaten protestieren sie gegen die geplante Suche nach Erdöl und Erdgas im Meeresboden. Das schottische Unternehmen Cairn Energy und die britische Firma Spectrum Geo Limited dürfen bestimmte Gebiete nach Rohstoffvorkommen durchsuchen. Auch rund 53 Kilometer vor Ibiza und 80 Kilometer vor Mallorca, so hat es die konservative Regierung in Madrid erlaubt.

Mit Druckluftkanonen Richtung Meeresboden

«Das ist ein Angriff der Ölindustrie auf die fragilen Lebensräume im Mittelmeer», sagt Sigrid Lüber, Präsidentin von Oceancare. Die Schweizer Organisation mit Sitz in Wädenswil setzt sich seit 1989 für die Ozeane und deren Bewohner ein und unterstützt die Spanier bei ihrem Protest.

Die Ölsuche verursacht Lärm von bis zu 255 Dezibel. Ein Düsenjet bringt es auf 130 Dezibel.

Laut wollen sie auf den Inseln sein in ihrer Empörung, damit sie Gehör finden. Laut wie die Ölsuche selbst, die durch den Lärm das Leben im Mittelmeer massiv bedrohe, sagt Lüber.

Sie schlägt Alarm. Die Ölindustrie feuere mit seismischen Druckluftkanonen Richtung Meeresboden. Erst jagt die Luft mit hohem Druck durchs Wasser, dann bis zu 15 Kilometer in den Grund. Das Echo gibt Auskunft über mögliche Vorkommen.

Es ist eine laute Suche. Die Schallkanonen verursachen Lärm von bis zu 255 Dezibel. Ein Düsenjet bringt es auf 130 Dezibel. «Von diesen Kanonen werden bis zu 20 Stück gleichzeitig abgefeuert, alle zehn Sekunden, 24 Stunden am Tag, oft über mehrere Wochen», sagt Lüber. «Für Meerestiere ist dieser Lärm eine tödliche Gefahr.»

Tödlicher Lärm

Die Naturschützer fürchten um das marine Leben. Sie haben Angst um all die Schnabelwale und Pottwale, Fische und Korallen. Extremer Schall könne Gefässe in Hirn, Lunge und anderen Organen schädigen, sagt Lüber. Die Meeresbewohner seien für Beutefang, Orientierung und Kommunikation auf das Gehör angewiesen; der Unterwasserkrach verwirre die Tiere.

Immer wieder passiere es, dass lärmgeplagte Wale zu schnell auftauchten. Dabei würden sich Stickstoffbläschen bilden, die folgende Embolie könne tödlich sein. Schwimmen Wale weniger als 500 Meter von der Schallquelle entfernt, gleiche die Druckwelle einer Bombe, so Experten. Das Tier könne sofort tot sein.

Manche Meeresbewohner sterben, andere fliehen. Lüber befürchtet in den betroffenen Gebieten eine Entleerung der Meere. Die Fischer auf den Balearen sorgen sich um ihre Existenz. Sie kennen das Youtube-Video, in dem ein norwegischer Fischer erzählt, was den spanischen Kollegen mit dem Beginn der seismologischen Suche drohen könnte. «Die Fische verschwanden und die Fangquote ging um 60 Prozent zurück. Sie kamen nie zurück», sagt der Mann.

Eine Anfrage der TagesWoche zu den Risiken und Folgen der Suche liess Spectrum Geo Limited unbeantwortet. Cairn Energy verwies lediglich auf ein nach den Protesten erstelltes Statement auf der Website des Unternehmens. Dort heisst es, dass man die Gegner des Projekts respektiere und eng mit den Behörden und Ortschaften zusammenarbeite. Die Firma wolle hauptsächlich in den Wintermonaten suchen, um den Tourismus so wenig wie möglich zu belasten. Zum Weltkulturerbe gehörende Bereiche würden ausgelassen. «Wir führen eine sorgfältige Umweltverträglichkeitsprüfung durch», schreibt Cairn Energy. Die Firma arbeite mit unabhängigen Umweltexperten zusammen.

Lüber von Oceancare zweifelt an der Aufrichtigkeit eines von der Ölindustrie in Auftrag gegebenen Gutachtens. Noch sind solche Gutachten freiwillig, sie werden erst 2017 Pflicht. Oceancare fordert zudem, Pläne für Risikoszenarien zu erstellen und leisere Technologien zur Ölsuche zu entwickeln.

«In den vergangenen sechzig Jahren hat sich der von Menschen verursachte Unterwasserlärm alle zehn Jahre verdoppelt.»

Oceancare-Präsidentin Sigrid Lüber

Doch es ist nicht nur die Suche nach den Schätzen im Meeresboden, die Lärm verursacht. Unbemerkt von den meisten Menschen erschüttern herbeigeführte Explosionen die Ozeane. Der Schiffsverkehr macht Krach. Militärsonare zur Erkennung von U-Booten und zur Überwachung lärmen ebenso, sie erreichen bis zu 230 Dezibel.

«In den vergangenen sechzig Jahren hat sich der von Menschen verursachte Unterwasserlärm alle zehn Jahre verdoppelt», sagt Lüber. Oceancare hat deswegen die Kampagne Silent Oceans initiiert. Der Zusammenschluss internationaler Organisationen setzt sich gegen den Verursacher des Krachs unter der Wasseroberfläche ein. Auf der Website sammeln sie auch Protestemails an die spanische Regierung.

Breiter Protest gegen Ölindustrie

Auf den Balearen wächst die Protestfront. Die bereits vor einigen Monaten gegründete Initiative «Baleares diu no» (Die Balearen sagen Nein), Umweltschützer, Fischer, Einzelhandelsverband, Lehrerverband und Hoteliers haben sich zur «Alianza Mar Blava» (Allianz blaues Meer) zusammengeschlossen. Sogar Stars wie Kate Moss, Jade Jagger, Paris Hilton und Sienna Miller unterstützen die Aktivisten.

Ihnen machen nicht nur die Schallkanonen Angst. Sie befürchten, dass die Suche erfolgreich ist. Dass Ölbohrplattformen vor den Inseln errichtet werden. Dass Touristen ausbleiben.

«Wir müssen kein Öl suchen. Der Tourismus ist das Öl der Balearen», sagt der balearische Regierungschef José Ramón Bauzá.

Die Inseln leben von den Touristen. Über elf Millionen Urlauber kommen jedes Jahr auf die Balearen. Die Inselregierung ist gegen das Vorhaben. Der balearische Regierungschef José Ramón Bauzá sagte vor Kurzem: «Wir müssen kein Öl suchen. Der Tourismus ist das Öl der Balearen.»

Und Mallorca hat hohe Ziele. Der Sauftourismus am Ballermann soll verschwinden. Die Playa de Palma soll zur Luxusmeile werden und zahlungskräftige Besucher anlocken. Öltürme passen da nicht ins Bild. Eine Ölpest, wie sie die Protestler an der Playa simulierten, wäre eine Katastrophe. «Dann kann man sagen ‹Adios Mittelmeer›», so Lüber.

Nur wenig Wasseraustausch vor Gibraltar

Sie ist überzeugt, dass die Folgen einer Ölkatastrophe vor den Inseln weitaus schlimmer wären als im Golf von Mexiko im Jahr 2010. Damals traten nach der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon geschätzte 800 Millionen Liter Öl aus. «Das Mittelmeer hat bei Gibraltar nur einen kleinen Zugang, wo sich das Wasser austauscht», erklärt Lüber.

Am vierten August reist Lüber nach Madrid zu einem Gespräch mit einem Vertreter des Umweltministeriums. Sie wird schwere Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die bis dahin gesammelten Protestmails wird sie mitnehmen. «Wir erhoffen uns sehr viel von dem Treffen», sagt Lüber. Sie will die Regierung überzeugen, die bereits im Jahr 2010 genehmigte Suche nach Öl doch noch zu verbieten. Oder wenigstens strengste Vorschriften zum Umweltschutz zu erlassen.

Vom Öl besessen

Bisher haben die Verantwortlichen in Madrid jeden Protest abgeschmettert. Wie gering die Chancen eines Erfolgs der Aktivisten von den Balearen sind, zeigt sich auf den Kanaren. Die Vulkaninseln im Atlantischen Ozean sind wie die Balearen ein beliebtes Urlaubsziel. Im Mai hat die spanische Regierung dort Probebohrungen nach Öl genehmigt. In Madrid erhofft man sich, zwanzig Jahre lang 140’000 Barrel Öl pro Tag zu fördern und die trotz des Tourismus hohe Arbeitslosenquote von 35 Prozent zu senken.

Lokalpolitiker, Tourismusbranche und Umweltschützer sind dagegen. Auf Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera beobachten sie die dortige Entwicklung mit Sorge. Sie werden weiter protestieren, damit ihre Befürchtungen sich nicht bewahrheiten.

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