In Kuba herrscht Aufbruchsstimmung: Die Ankündigung der Normalisierung der Beziehung zwischen den USA und der Insel weckt die Fantasie der Kubaner. Aber die Bewohner haben auch Ängste, berichtet unser Korrespondent aus Havanna.
Zu Beginn eines jeden Kalenderjahres warten viele Kubaner gespannt auf den sogenannten Jahresbrief (Letra del Año) der Babalaos, der Priester der afrokubanischen Religion Santería, die ihre Götter mit katholischen Heiligen vermischt und auf der Insel weitverbreitet ist. Dieser enthält, oft in metaphernreicher Sprache, Regeln, die das materielle und spirituelle Leben der Gesellschaft in der nächsten Zeit bewegen werden. Die Gläubigen lesen die verschiedenen Ratschläge und Hinweise aufmerksam – aber auch viele Nicht-Gläubige werfen einen Blick darauf. Man weiss ja nie.
In diesem Jahr haben die Santería-Priester darum gebeten, die Regentschaft des Orisha Baba Eyiobe, Begünstiger des Dialogs und überlegten Handelns, zu nutzen, um die Verhandlungen zwischen Kuba und den USA fortzusetzen und die auf der Insel angestossenen Reformen zu vertiefen. «Baba Eyiobe fordert die Führer der Welt und speziell die der USA und Kubas auf, als Grundlage für die Beziehungen den Kopf zu benutzen, die eigene Intelligenz und sich weder von Situationen aus der Vergangenheit noch von Umständen beeinflussen zu lassen, die ein paar Unruhestifter heraufbeschwören könnten», sagte Babalao Lázaro Cuesta bei der Vorstellung des Orakels Anfang Januar in Havanna.
Gefangenenaustausch und Respekt von Castro
Seit 28 Jahren verbreitet die Kommission Miguel Febles, der Cuesta vorsteht, den Jahresbrief, den ältesten seiner Art auf Kuba. «Wir haben die Gelegenheit, uns weiter an den Verhandlungstisch zu setzen, um jene Dinge zu teilen, die uns verbinden, und wenn wir nicht zu sehr auf jenen Dingen beharren, die uns unbestreitbar trennen, dann können wir Brücken bauen zwischen zwei Ländern, die immer Brüder waren», sagte Cuesta weiter.
Die Schweiz hat Lob aus den USA erhalten: Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet (nicht online), hat sich US-Aussenminister John Kerry bei Aussenminister Didier Burkhalter bedankt für die Dienste auf Kuba. In einem Brief vom 7. Januar drückt Kerry seine grosse Wertschätzung für die Leistungen aus, welche die Schweiz als Schutzmacht während der letzten fünf Jahrzehnte erbracht habe, «besonders während des Kalten Kriegs». Das Schweizer Engagement sei ein «Monument der Geduld im Dienste des Friedens». Aus dem Brief geht weiter hervor, dass die Schweiz, die in Kuba für die USA ein Mandat als Schutzmacht ausübt, hinter den Kulissen zu dieser Annäherung beigetragen hat. Kerry hofft auch weiterhin auf gute Dienste, «nun, da wir, wie wir hoffen, ein neues und konstruktives Kapitel in den Beziehungen zwischen den USA und Kuba aufschlagen», zitiert die «NZZ am Sonntag» weiter aus dem Brief.
Nach einem spektakulären Gefangenenaustausch hatten Mitte Dezember US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro in zeitgleichen Fernsehansprachen den Beginn einer neuen Ära zwischen den beiden Ländern angekündigt. Die seit 1961 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen sollen wieder aufgenommen werden. «Wir können nicht weiterhin dasselbe machen und ein anderes Resultat erwarten», sagte Obama und anerkannte damit das Scheitern der US-amerikanischen Blockadepolitik. Castro zollte der Entscheidung Obamas Respekt, forderte aber zugleich eine endgültige Aufhebung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade.
«Ich konnte es kaum glauben»
Auf Kuba ist die Ankündigung mit grosser Freude und Hoffnung aufgenommen worden. «Ich konnte es kaum glauben», sagt Conner Gorry aus New York, die seit 13 Jahren in Havanna lebt und im Stadtteil Vedado ein kleines Literatur-Café betreibt. «Ein historischer Tag! Ein lange erwarteter Wandel und dann kommt er so unerwartet.»
Conner Gorry wollte ihr Café eigentlich schliessen, die Ankündigung des US-Präsidenten hat ihre Pläne verändert. (Bild: Andreas Knobloch)
Ihre Familie habe sofort angerufen, alle seien ziemlich aufgekratzt gewesen. «Vieles wird nun einfacher werden», sagt Gorry, «die Reisen, die Geldüberweisungen.» Sie habe Pläne gehabt, das Café zu schliessen, aber die werde sie nun wohl doch noch einmal überdenken. «Alles wird sich verändern, aber wie schnell?» Es klingt, als ob ihr auch ein bisschen bange vor dem sich ankündigenden Wandel ist.
Überhaupt nicht bange ist dagegen Fahd Miguel Pereira, der Gastronom gelernt hat, als Theaterschauspieler tätig war und nun als Computertechniker sein Geld verdient. «Ich bin einfach nur froh und gespannt, was die ersten Schritte der Verhandlungen sein werden.»
Hochrangige Delegation Mitte Januar erwartet
Am 21./22. Januar wird eine hochrangige US-Delegation nach Havanna reisen, um über Migrationsthemen und die Wiedereröffnung der jeweiligen Botschaften zu verhandeln. Zuvor hatten die kubanischen Behörden insgesamt 53 Gefangene freigelassen, die auf einer von den USA aufgestellten Liste standen. Dies war Teil der Übereinkunft zwischen Obama und Castro vom 17. Dezember.
Hofft auf einen Schub in der Computerbranche: Techniker Fahd Miguel Pereira. (Bild: Andreas Knobloch)
«Dieser Tag setzt einen Wendepunkt – es gibt ein Vorher und ein Nachher», sagt Pereira. Es sei, als habe ihm jemand eine schwere Last abgenommen. Er hofft, dass nun alles besser wird: zum Beispiel die Kommunikation. Und dass es neue Beschäftigungen geben wird, gerade im Bereich Computertechnik, wenn neue Technologien auf der Insel Einzug halten. Auch überlegt er, sich selbstständig zu machen.
Auf schnelle US-Investitionen hofft dagegen die Hausfrau Rosa Guadelupe García Araneta. «Keine Sorge, wir werden in guten Händen sein. In jedem Fall wird es besser werden.» Und in Anspielung darauf, dass die Annäherung ausgerechnet am 17. Dezember geschah, dem Tag des heiligen Lazarus oder des Babalú Ayé, wie die entsprechende Santería-Gottheit heisst, die bekannt dafür ist, Wunder zu vollbringen, sagt sie mit einem Augenzwinkern: «San Lázaro hat da wohl seine Hände im Spiel gehabt und Obama angestossen.» Den historischen Tag hat García in Miami erlebt, wo vier ihrer Töchter und ihre Enkelkinder leben.
Hofft auf schnelle Fortschritte: Hausfrau Rosa Guadelupe García Araneta. (Bild: Andreas Knobloch)
Zwar habe es dort auch negative Reaktionen gegeben, vor allem der «alten Garde» der Exilkubaner. «Von der neuen Generation aber sind alle froh, dass es endlich zu einer Annäherung kommt.» Sie hofft, dass ihre Familie nun leichter zu Besuch kommen kann und die Geldüberweisungen einfacher werden. Laut Ankündigung Obamas sollen in den USA lebende Exilkubaner vierteljährig künftig 2000 statt 500 US-Dollar nach Kuba überweisen dürfen.
Reynier Gonzalez Palais macht sich Sorgen, dass nicht alle Landsleute mit der neuen Freiheit umgehen könnten. (Bild: Andreas Knobloch)
Reynier Gonzalez Palais hat davon nichts. Der 27-jährige studierte Psychologie, hat weder Familie oder Freunde, die in die USA ausgereist sind. Trotzdem freut er sich, dass US-amerikanische Touristen künftig leichter nach Kuba reisen können und es mehr direkte Kontakte und Austausch zwischen den Bevölkerungen beider Länder geben wird. «Die Annäherung hätte schon vor langer Zeit passieren müssen», sagt er und hofft, dass es eine Öffnung in allen Bereichen geben wird, die Wirtschaft in Schwung kommt und die Löhne endlich ausreichen, um ein würdiges Leben kraft der eigenen Arbeit zu führen.
«Aber», sagt Gonzalez Palais, «ich habe auch die Sorge, dass Kuba sich in ein grenzenloses Konsumland verwandelt.» Viele Leute seien auf den Wandel nicht vorbereitet. Es gebe einen urgewaltigen Durst nach Konsum, was nach mehr als 20 Jahren Mangelwirtschaft verständlich sei. «Ich habe aber die Sorge, dass sich die Errungenschaften Kubas verlieren, unser Gesundheitssystem, unser Bildungssystem…»
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Die Annäherung dürfte auch den Schweizer Unternehmern helfen, wie Andreas Knobloch von der Ferienmesse berichtete, entdecken auch sie den kubanischen Markt.