«Die Anwohner müssen die Wohnstube teilen»

Mehr Veranstaltungen, mehr Gastronomie und mehr Leben – Regierungspräsident Guy Morin skizziert im Interview sein ideales Basel und fordert mehr Toleranz für die Nutzung des öffentlichen Raums.

«Lebendigkeit bedeutet Lebensqualität»: Guy Morin fordert mehr Leben im öffentlichen Raum und ist überzeugt: Die Basler wollen das auch. (Bild: ANDREAS FROSSARD)

Mehr Veranstaltungen, mehr Gastronomie und mehr Leben – Regierungspräsident Guy Morin skizziert im Interview sein ideales Basel und fordert mehr Toleranz für die Nutzung des öffentlichen Raums.

Einsprachen blockieren die Buvetten, Ihre Parteikollegin Anita Lachenmeier kämpft – wenn auch erfolglos — gegen die Durchführung des Basel Tattoo. Sieht so Ihr ideales Basel aus, Herr Morin?

Nein, wir gehen aber schrittweise in die richtige Richtung. Ich wünsche mir eine pulsierende, lebendige Stadt, die Rücksicht auf die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner nimmt. Der öffentliche Raum gehört aber allen und soll von allen genutzt werden dürfen. Ich persönlich ärgere mich deshalb sehr über die Einsprache gegen das Basel Tattoo – auch wenn sie von meiner Parteikollegin Anita Lachenmeier stammt. Es ist klar, dass auf dem Kasernenareal nicht 52 Wochen im Jahr Scheiaweia herrschen kann. Aber die Kasernenmatte liegt derart zentral in der Stadt, dass eine Nutzung im Interesse der ganzen Region doch möglich sein muss. Der Kaserne Platz soll den Quartierbewohnern zur Verfügung stehen, jedoch nicht ausschliesslich. Es muss eine Misch-Nutzung sein.

Die Einsprachen gegen die Buvetten finden Sie nicht tragisch?

Doch, ich finde das sehr schade, zumal ich mir entlang des Rheins ein grösseres Gastronomie-Angebot wünsche. Die Buvette an der Florastrasse wird wegen den Einsprachen ja erst nächstes Jahr eröffnet. Das ist sehr schade.

Woran liegt es denn, dass gewisse Leute mit allen Mitteln eine lebendige Stadt verhindern wollen?  

Das hat sicher auch damit zu tun, dass in Basel immer mehr läuft. Wir haben eine Vielzahl von tollen Anlässen – beispielsweise das Jugendchor-Festival, das Jugendkultur-Festival, das Imagine und und und. Zudem denken wir über ein Sommerkultur-Festival nach. Mit den Veranstaltungen nimmt auch der Widerstand zu. Es entstehen mehr Reibungsflächen…

…und eine Lösung ist nicht in Sicht.

Ich bezeichne den öffentlichen Raum gerne als öffentliche Wohnstube. Ich stelle fest, dass zwischen den Anwohnern und Veranstaltern nicht immer ein Einvernehmen herrscht. Wir müssen den Anwohnern die Sicherheit geben, dass sich die Lärmbelästigung und der Abfall in Grenzen halten. Die Anwohner müssen aber bereit sein, die Wohnstube zu teilen. Denn diese gehört allen und nicht nur ihnen. Umkehrt muss jeder die Stadt-Wohnstube so pflegen, wie er sein eigenes Wohnzimmer pflegen würde. Von denjenigen, die den öffentlichen Raum nutzen, muss auch etwas gefordert werden. Die Anliegen der Anwohner müssen ernst genommen werden. Wenn alle darauf achten, dass die öffentliche Wohnstube sauber und gepflegt ist, wird es auch für die Anwohner einfacher. Es wird sich aber immer wieder eine Partei nicht genug berücksichtigt fühlen. Doch ein Mit- und Nebeneinander bedeutet ein ständiges Aushandeln und schliesslich muss jede Interessensgruppe auch bereit sein, Kompromisse einzugehen. Die einen werden immer mehr wollen, die anderen weniger. Wir müssen versuchen, die unterschiedlichen Interessen im Dialog unter einen Hut zu bringen. Schauen Sie doch, wie lange Tino Krattiger für sein Floss kämpfen musste.

Das ist kein gutes Beispiel. Tino Krattiger kämpfte bis vors Bundesgericht für sein Floss. Das kann kaum der normale Weg für Veranstalter sein.

Einverstanden. Ich bin der Ansicht, dass man mehr miteinander reden muss, sich offen zeigt und nicht direkt vors Gericht gehen soll. Ich bin kein Befürworter von radikalen Wegen.

Vielleicht wollen Sie eine zu lebendige Stadt. Etwas, dass in Basel gar nicht möglich ist?

Ich habe das Gefühl, dass die Bevölkerung dasselbe will. Viele leben doch gerade in der Stadt, oder ziehen wieder in die Stadt, weil für sie die Abwechslung, die Lebendigkeit der Stadt die Lebensqualität ausmacht.

Sie und Ihr Departement zeigen sich sehr tolerant bei diesem Thema und ermuntern Veranstalter gerne dazu, etwas in dieser Stadt zu organisieren. Bei den Bewilligungen und Ansprüchen scheitert es aber im Bau- oder Umweltdepartement. Das ist doch widersprüchlich.

Das gehört dazu. So wie es in der Bevölkerung die verschiedensten Anliegen gibt, braucht es auch in der Verwaltung stellvertretend beide Seiten. Es muss auch Leute in der Verwaltung geben, die die Anwohnerinteressen vertreten – beispielsweise darauf schauen, dass die Lärmauflagen eingehalten werden. Als Kulturdirektor liegt mir natürlich das Andere besonders am Herzen. Man muss immer den Konsens suchen. Zudem setzen die Mitarbeiter im Baudepartement oder im Umweltdepartement nur das Gesetz um.

Ein sehr, sehr altes Gesetz. So stammt das Allmendgesetz aus dem Jahre 1927.

Es gibt noch Verbesserungspotenzial, ja. Aus diesem Grund revidiert die Regierung derzeit das Allmendgesetz. Ich setze mich dafür ein, dass  Bewilligungen vereinfacht werden und wir einzelne Bewilligungen in eine Meldepflicht umwandeln.

Was stört Sie konkret an der jetzigen Praxis?

Es kann nicht sein, dass jemand für einen Anlass von mehreren Stunden denselben Verwaltungsapparat durchlaufen muss wie jemand, der eine zehntägige Veranstaltung organisiert. Und es braucht eine grössere Verlässlichkeit für Veranstalter – auch punkto Einsprachen. So kann es nicht sein, dass Erik Julliard wenige Wochen vor seinem Basel Tattoo immer noch in einer Unsicherheit lebt. Nun wurde dem Rekurs zum Glück die aufschiebende Wirkung entzogen. Unser Ziel ist ein unbürokratischeres, rasches und klares Gesetz. Wir brauchen zwingend Vereinfachungen. Und vielleicht braucht es in der Verwaltung auch ein grösseres Verständnis für Dienstleistungen.

Sind Sie für eine Jugendbewilligung, wie sie von sämtlichen Jungparteien gefordert wird?

Wenn gewisse Spielregeln eingehalten werden, könnte ich mir die Jugendbewilligung für Basel sehr gut vorstellen. Die Facebook-Beschränkung in Zürich überzeugt mich aber nicht.

Mehr zu diesem Thema in der TagesWoche vom 18.05.2012

Nächster Artikel