Einst kämpfte die Mehdi-Armee gegen die USA. Nun demonstriert die Truppe des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr erneut ihre Macht. Gleichzeitig zeigen sich in der Zweckgemeinschaft der ungleichen sunnitischen Aufständischen Risse.
Sie hat einen neuen Namen, lässt aber dennoch die Erinnerung an die Bürgerkriegsjahre neu aufkeimen. Der radikale schiitische Kleriker Muqtada al-Sadr hat in den letzten Tagen seine Saraya al-Salam (Friedensbrigade) aufmarschieren lassen. Seine Kämpfer sind gut bewaffnet, paradieren mit Katyusha Raketenwerfern, Granatwerfern und Maschinengewehren, viele davon fabrikneu.
Die Freiwilligenarmee will vor allem die heiligen Stätten der Schiiten vor den sunnitischen Dschihadisten schützen. Es gebe eine Koordination mit den staatlichen Organen und die «Friedensbrigaden» seien nicht gegen die Bevölkerung gerichtet, sagen die Verantwortlichen. Ihr Einsatz richte sich gegen ein Auseinanderfallen des Staates.
Innerschiitischer Druck auf al-Malaki
2012 hatte Muqtada al-Sadr seine Mehdi-Armee aufgelöst, die mit bis zu 60’000 Mann gegen die amerikanische Besatzung und sunnitische Milizen gekämpft hatte. Diese Woche stellte Sadr erneut klar, er sei auch jetzt gegen jede US-Militärunterstützung. Beobachter sehen in den martialischen Aufmärschen auch ein Muskelspiel Sadrs, um Druck auf Premier Nouri al-Maliki zu machen, auf eine dritte Amtszeit zu verzichten.
Besonders exponiert ist derzeit das schiitische Heiligtum in der Stadt Samarra, die in einer sunnitisch dominierten Region und nahe der aktuellen Frontlinie liegt, die sich in den letzten Tagen nicht mehr näher an Bagdad heran bewegt hat. In ihrem 16-Punkte Verhaltenskodex schreibt Extremistengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante Isil in den eroberten Gebieten auch die Zerstörung aller Schreine vor, das gilt für christliche Kirchen ebenso wie für schiitische Grabstätten.
Warten auf die Gegenoffensive der Regierung
Ein Bombenanschlag auf den al-Askari-Schrein von Samarra hatte im Jahr 2006 den Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten ausgelöst. In der Gegend von Samarra, rund 100 Kilometer nördlich von Bagdad, wird deshalb auch mit einer Gegenoffensive der Regierungskräfte und ihrer Verbündeten gegen die Dschihadisten gerechnet.
Im Zweckbündnis der sunnitischen Aufständischen, der über ein Dutzend verschiedene bewaffnete Gruppen angehören, zeigen sich bereits erste Risse. In der Provinz von Kirkuk kam es zu ersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Isil und Männern der Naqshbandiyya. Die Naqshbandiyya-Bewegung wird von ex-Diktator Saddam Husseins ehemaligem Stellvertreter Izzat Ibrahim al-Douri angeführt. Es gab mehr als ein Dutzend Tote bei diesen Kämpfen.
Die Rückkehr der Sadam-Getreuen
Douri, bei der US-Invasion 2003 der Kreuzkönig im amerikanischen Kartenspiel der meistgesuchten Spitzenfiguren des Baath-Regimes, ist in den letzten Jahren mehrmals totgesagt worden und mehrmals mit Video-Botschaften angeblich wieder aufgetaucht. Auch jetzt gab es Gerüchte, er würde in Mosul auftreten. Für hartgesottene Baathisten ist er nach wie vor der legitime Präsident des Irak.
Die Isil-Offensive hat Offiziere aus der Baath-Armee wieder in die Arena zurückgebracht. Ehemalige Offiziere, Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter sind in den bewaffneten Gruppen zu finden, die diese «sunnitische Revolution» anführen; auch in den Reihen der Isil. Diese Verzettelung ist keine neue Entwicklung. Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich Baathisten al-Qaida angeschlossen, andere hatten vor allem in der Provinz Anbar in den Sahwa-Bürgerwehren gegen al-Qaida gekämpft.
Eine wichtige Zäsur war das Jahr 2012, als sich viele Baathisten den Protesten in den sunnitischen Regionen gegen den schiitischen Premier Nouri al-Maliki anschlossen. Die waren die Keimzelle für den jetzigen Aufstand.
Verbündete mit ideologischen Differenzen
Militärchefs der Saddam-Ära haben wie die Stammesscheichs – beide geniessen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung – eine wichtige Rolle bei der Planung und Durchführung der Offensive im sunnitischen Dreieck gespielt. Mit Isil haben sie ein gemeinsames Ziel, nämlich die Sunniten von der schiitischen Dominanz zu befreien. Ideologisch gibt es aber grosse Differenzen. Die Baathisten sind eher säkular und panarabisch orientiert. Sie treten für eine sunnitische Eigenständigkeit ein und nicht für ein islamisches Kalifat.
Der Streit um die Macht wird in den einzelnen Gebieten des Irak unterschiedlich ablaufen – aber nicht ohne Blutvergiessen.
Einzelne Baathisten und Stammes-Scheichs werfen Isil vor, ihre Revolution gestohlen zu haben. Die Frage ist, wie lange die Sunniten bereit sind, die schwarze Isil-Fahnen in ihren Gebieten zu dulden. Man müsse Isil vom Rest der Bewegung trennen, ihr Terror schaden den Sunniten am meisten, warnte Osama al-Nujaifi, Chef des sunnitischen Muthadoun-Parlamentsblockes.
Der Streit um Territorium, Einfluss, Geld und strategische Einrichtungen wird in den einzelnen, eroberten Gebieten des irakischen Flickenteppichs ganz unterschiedlich ablaufen – aber bestimmt nicht ohne Blutvergiessen. Er gibt unzählige Konflikte innerhalb der Sunniten sowie Abgrenzungsprobleme mit den Kurdengebieten. Und bei einem weiteren Vormarsch auf Bagdad droht ein blutiger Zusammenstoss mit der irakischen Armee und schiitischen Freiwilligenverbänden, etwa Sadrs Saraya al-Salam. Ansätze zu friedlichen, politischen Lösungen sind im Moment keine auszumachen.