«Die Ereignisse» am Theater Basel: Kann man einen Terroristen verstehen?

Mit den Anschlägen in Paris wurde das Theater Basel rechts überholt. Trotzdem oder gerade deswegen wirft das Stück «Die Ereignisse» von David Greig zur richtigen Zeit ein beklemmendes Licht auf die Hilflosigkeit im Umgang mit Terroranschlägen und den Verantwortlichen.

Die Überlebende, der Terrorist und der Chor (Inga Eickemeier, Elias Eilinghoff und der Motettenchor der Region Basel

(Bild: Simon Hallström)

Mit den Anschlägen in Paris wurde das Theater Basel rechts überholt. Trotzdem oder gerade deswegen wirft das Stück «Die Ereignisse» von David Greig zur richtigen Zeit ein beklemmendes Licht auf die Hilflosigkeit im Umgang mit Terroranschlägen und den Verantwortlichen.

Was ist es, was Terroranschläge in uns auslösen? Oder erst recht bei denen, die solche Anschläge nur knapp überlebt haben? Wut und Vergeltungsgedanken, Trauer und Hilflosigkeit, Sprachlosigleit und Verdrängungsgefühle. Dies hat sich nach den Terroranschlägen in Paris wieder in aller Deutlichkeit gezeigt.

Diese Palette an Emotionen hat der schottische Dramatiker David Greig auch in sein Stück «Die Ereignisse» gepackt, das 2013 in Edinburgh uraufgeführt wurde und nun am Donnerstag als Schweizerische Erstaufführung auf der Kleinen Bühne des Theater Basel Premiere hatte.

Der Premierentermin knapp eine Woche nach Paris hat der Aufführung unverhofft ein enormes Mass an brisanter Aktualität zugeschanzt. «Wir sind von den Anschlägen rechts überholt worden», sagt die Kommunikationsbeauftragte des Theaters, Ingrid Trobitz, fast entschuldigend. Doch eine Entschuldigung wäre gar nicht nötig. Denn mit der klugen Distanziertheit von Text und Inszenierung bleibt die Aufführung bewahrt von jeglicher Effekthascherei.

Rechtsextremist Breivik als Anstoss

Für Autor Greig war der schreckliche Terrorakt des Rechtsextremisten Anders Breivik 2011 in Norwegen Anstoss für sein Stück. Er übertrug den Anschlag auf einen Multikulti-Chor in irgend einer westeuropäischen oder US-amerikanischen Stadt. Der Chor ist auf der Bühne anwesend – je nachdem, ob man sich in den Zeitsprüngen im Stück vor oder nach dem Anschlag befindet, als Gesamtensemble oder als die Gruppe der Überlebenden.

Dieser Chor auf der Bühne ist, wie Greig dies auch vorschreibt, ein Laienchor aus der Region. Bei der Premiere war es der Motettenchor der Region Basel. In den kommenden Aufführungen werden es, jeweils wechselnd, andere Laienchöre sein. Die Produktion wird nach den ersten paar Vorstellungen das Theater verlassen und zu weiteren Laienchören im Baselbiet reisen.

Die Chorleiterin und das Monster

Im Zentrum der Geschichte stehen aber die junge Pastorin und Chorleiterin Claire, die den Anschlag knapp überlebt hat und nun verzweifelt einen Ausweg aus ihrer Hoffnungslosigkeit sucht, und «Der Junge», der, wie er sagt, nicht Ausländer hasst, sondern den Umstand, dass die Ausländer da sind.

Es sind dies auf den ersten Blick zwei fast ganz normale junge Menschen – so normal wie der Chor, der ja tatsächlich ein normaler Chor ist. Auf den zweiten Blick jedoch wird sogleich klar: Bei diesen jungen Menschen ist ganz und gar nichts mehr normal. Claire schwankt zwischen Selbstaufgabe, hysterischen Bewältigungsversuchen und Vergeltungsplänen. Und «Der Junge», der auf die Frage nach dem «Warum?» banal mit «Ich war wütend und hatte eine Waffe» antwortet, ist ein Monster im Schafspelz.

Keine künstliche Dämonisierung

Das Stück und auch die Regisseurin Daniele Kranz verzichten auf jegliche künstliche Dämonisierung der Tat und des Täters. Der Text hält Distanz. Es sind nicht die schrecklichen rassistischen und menschenverachtenden Entgleisungen, wie sie in sozialen Medien oder auf Pegida-Demonstrationen zu vernehmen sind, sondern ganz banal klingende trockene Beschreibungen, die der Täter von sich gibt. Und auch die Regie verzichtet auf jegliche Knalleffekte.

Dazu kommt, dass «Der Junge» nicht nur als Täter in Erscheinung tritt, sondern auch als Therapeut, als Lebenspartnerin von Claire, als Rechtspolitiker und als Vater des Täters, wobei Claire sich stets dem unverrückbaren Bild des Täters gegenübersieht. Auch die Tat wird nicht nachgespielt. Sie kommt vor, aber lediglich als protokollartige Nacherzählung der persönlichen Erfahrungen von Täter und (Beinahe-)Opfer während der eigentlich unbeschreiblichen Tat.

Das verleiht dem Gezeigten eine unterschwellige und ausgesprochen unbehagliche Unheimlichkeit. Wenn «Der Junge» zu Beginn inmitten des wunderbar singenden Chores aufgereiht steht und stumm und starr in die Ferne blickt, wirkt das auf der Bühne beklemmender als eine Sturmgewehr-Salve.

Beeindruckende Bühnenpräsenz

Dieser Blick des hervorragenden Schauspielers Elias Eilinghoff, aus dem eine Mischung aus unterschwelliger Anspannung und despektierlicher Verständnislosigkeit für das Multikulti-Zusammensein blitzt, lässt den Eklat vorausahnen, der folgen wird. Als Gegenüber fesselt Inga Eikemeier als dünnhäutig-intellektueller Gutmensch, für den alles zusammengebrochen ist, woran er einst geglaubt hat.

Und dazwischen greift, wie es in der antiken Tragödie üblich ist, der Chor mit eigenen Repertoire-Liedern und vom Stück vorgegebenen Partien ins Geschehen ein. Der von seinem Leiter Ambros Ott bestens vorbereitete Motetten-Chor sorgte, begleitet von Stephen Delaney am Flügel, für musikalisch bemerkenswerte Kontrapunkte.

Dass das Theater knapp eine Woche nach den schrecklichen Taten in Paris ein Stück zum Thema Terror auf die Bühne bringt, ist Zufall. Dass es aber für seine bevorstehende Tour durch das Baselbiet eine Vorlage gewählt hat, die alles andere ist als ein anbiedernder PR-Akt, ist bemerkenswert.

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