Ana Brnabić ist Marketingexpertin, Direktorin eines Energieunternehmens und die neue Verwaltungsministerin Serbiens. Die Öffentlichkeit interessiert sich aber vor allem dafür, dass sie lesbisch ist.
Vergangene Woche stellte der serbische Premierminister Aleksandar Vučić sein neues Kabinett vor. Die gesamte Aufmerksamkeit gebührte dabei der neuen Verwaltungsministerin Ana Brnabić. Sie ist die erste offen lesbische Ministerin auf dem Balkan.
Die 40-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin unterhält beste Kontakte in die USA. Sie arbeitete jahrelang für Usaid, eine Behörde der Vereinigten Staaten für Entwicklungszusammenarbeit. In den vergangenen Jahren war sie Direktorin des US-Unternehmens Continental Wind Serbia (CWS).
Noch 2015 kam es zu einem Streit mit der serbischen Regierung, als Premierminister Vucic dem Unternehmen vorwarf, die Energiepolitik des Landes mithilfe von US-Kongressabgeordneten beeinflussen zu wollen. Auch Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe waren ein Thema. Brnabićs Ernennung zur Ministerin ist ein klares Zeichen dafür, dass dieser Konflikt beigelegt ist.
Doch der war nach ihrer Ernennung sowieso kein grosses Thema in den serbischen Medien. Es ging vor allem um ihre sexuelle Orientierung. Die parteilose Brnabić sagte, sie hoffe, bald als Verwaltungministerin und nicht mehr als Lesbe im Kabinett bekannt zu sein. Premierminister Vučić sagte schlicht, es interessiere ihn nicht, dass die Ministerin «gay» sei.
Auf fröhliche Bärte folgen grimmige Bärte
Nun könnte sich der aufmerksame Beobachter fragen: Warum ist das überhaupt eine Nachricht? Ist es nicht völlig egal, welche sexuelle Orientierung eine Ministerin hat?
Nein, ist es nicht. Nicht in einem Land, in dem knapp die Hälfte der Bevölkerung Homosexualität für eine Krankheit hält. Nicht in einem Land, indem 6000 Gegendemonstranten noch vor wenigen Jahren die Belgrader Innenstadt auseinandernahmen, um eine Parade zum Christopher-Street-Day (CSD) zu verhindern. Nicht in einem Land, in dem der Patriarch der einflussreichen serbisch-orthodoxen Kirche Schwulen und Lesben die Schuld an Naturkatastrophen gibt.
In den vergangenen drei Jahren fand in Belgrad jährlich ein CSD statt, bei dem wenige Hundert Teilnehmer von Tausenden Polizeibeamten geschützt werden mussten. Nach der Parade liefen jeweils Priester die Route ab, um sie von der Sünde zu reinigen. Man könnte auch sagen: Grimmige bärtige Männer in Kleidern segneten die Strasse, weil zuvor fröhliche bärtige Männer in Kleidern dort demonstriert hatten.
Ist die Ernennung ein PR-Coup?
Kritik an Brnabić kam vor allem aus der serbischen LGBT-Szene selbst. Eine Aktivistin, die namentlich nicht genannt werden möchte, sagt: «Diese Frau hat niemals etwas für die LGBT-Community getan und sich jetzt auch noch an eine Regierung verkauft, die uns hasst.» Die Aktivistin glaubt, die Ernennung Brnabićs sei ein PR-Coup der Regierung Vučić, weil diese sich in der Vergangenheit nicht für die Rechte von Minderheiten stark gemacht habe.
Serbien steht nach vorgezogenen Neuwahlen mit einer Regierung da, die sich kaum von der vorangegangenen unterscheidet. Das wirft die Frage auf, warum Premierminister Vucic überhaupt Neuwahlen abhalten liess. Kritiker glauben, sie hätten nur stattgefunden, weil sich der Premierminister vier weitere Regierungsjahre sichern wollte, so lange seine Umfragewerte noch gut sind. Geplante Privatisierungen und Sozialkürzungen könnten die Beliebtheit der regierenden Fortschrittspartei (SNS) nämlich schnell schwinden lassen. Ana Brnabić als frisches Gesicht lenkt davon ab, dass sich ansonsten wenig verändert hat.
Serbien steht zudem in der Kritik seitens der EU-Kommission, weil es die Rechte von Minderheiten nicht ausreichend schützt. Bei den EU-Beitrittsverhandlungen ist es ein starkes Argument, wenn die Regierung darauf verweisen kann, dass Schwule und Lesben Minister werden können. Die Situation der LGBT-Community ist ein eigener Unterpunkt in den EU-Fortschrittsberichten zu Serbien. Es wird dort positiv hervorgehoben, wenn ein paar Hundert Schwule, Lesben und Transpersonen durch Belgrad laufen können, ohne dabei verprügelt zu werden.
Lobende Worte aus der LGBT-Community
In der LGBT-Szene stösst Brnabićs Ernennung nicht allen sauer auf, es gibt auch lobende Stimmen. So schreibt die NGO Gay Straight Alliance, es sei ein historisches Ereignis, dass eine lesbische Frau zur Ministerin ernannt wurde. In einer Stellungnahme heisst es: «Unsere Community ist weiterhin marginalisiert und wird es in den kommenden Jahren auch bleiben. Doch die Ernennung einer lesbischen Ministerin hat mehr gebracht als alle Paraden zusammen. Ana hat ihre Community dem gewöhnlichen Mann nahe gebracht.»
Auch Boris Milićević findet lobende Worte für die Ernennung der Ministerin. Als Funktionär der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) ist er der erste offen schwule Politiker in Serbien: «Alles, was wir tun können, ist, Ana Brnabić zu gratulieren und unseren Respekt zu bekunden. Sie ist eine starke Frau. Ich hoffe, die Entscheidung wird LGBT-Personen dazu ermutigen, sich in der serbischen Politik zu engagieren, und andere Regierungsmitglieder, sich zu outen.»
In Restjugoslawien wurde Homosexualität 1994 entkriminalisiert. Der Minderheitenschutz ist seit 2012 vorbildlich – auf dem Papier. Tatsächlich outet sich in Serbien aus Angst vor Repressionen kaum jemand, und die Polizei verfolgt Gewaltdelikte gegen Schwule und Lesben oft nicht. Da ist es noch eines der kleineren Probleme, dass die Ehe in der Verfassung als Partnerschaft zwischen Mann und Frau definiert ist.