Die Favoriten für Ratzingers Nachfolge

Am Dienstag beginnt das Konklave zur Wahl des nächsten Papstes. Das sind die Favoriten für die Nachfolge von Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI.

Kardinal Gianfranco Ravasi, Präsident des Päpstlichen Kulturrates, ist ein grosser Twitterer vor dem Herrn. (Bild: Keystone/CLAUDIO PERI)

Am Dienstag beginnt das Konklave zur Wahl des nächsten Papstes. Das sind die Favoriten für die Nachfolge von Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI.

500 Jahre lang wählten die Kardinäle italienische Päpste. Dann folgten 1978 der Pole Karol Wojtyla und 2005 der Deutsche Joseph Ratzinger auf dem Stuhl Petri. Viele italienische Kuriale wünschen sich deshalb künftig wieder ein Italiener als Papst.

Favorit unter den 28 italienischen Kardinälen ist Angelo Scola, 71, ehemaliger Patriarch von Venedig. Scola ist ein Schüler Ratzingers und gilt als intellektuell gewandt sowie als willensstark. Die beiden kennen sich aus gemeinsamen Tagen bei der Zeitschrift Communio in den 70er Jahren. Überraschend hob Benedikt seinen Freund im Juni 2011 auf den wichtigen Posten als Erzbischof von Mailand. Seit Ratzinger diesen Konservativen auf ein und derselben Wellenlänge mit ihm auf einen so wichtigen Posten beförderte, gilt Scola unzweifelhaft als Nachfolge-Kandidat.

Berlusconis Nachhilfelehrer

In der Diözese mit den weltweit meisten Gläubigen waren mit den Kardinälen Carlo Maria Martini und Dionigi Tettamanzi zuletzt eher progressive Denker im Amt. Scola hingegen legte sich sofort mit der Stadtverwaltung an, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften befürwortete. Der Sohn eines Lastwagenfahrers und einer Hausfrau aus der Lombardei kämpft leidenschaftlich gegen den «staatlichen Laizismus, der die Religionsfreiheit beeinträchtigt». Kurios: Als der aufsteigende Mailänder Unternehmer Silvio Berlusconi Ende der 70er Jahre seine Bildungslücken schliessen wollte, engagierte er verschiedene Nachhilfelehrer. Einer von ihnen war Angelo Scola.

Wenn die Beschreibung der Qualitäten, die der neue Papst mit sich bringen soll, auf einen Kandidaten ganz besonders zutrifft, dann auf Marc Ouellet. Der Kanadier aus Quebec ist mit 68 Jahren ein vergleichsweise junger Kandidat, macht einen kräftigen, durchsetzungsstarken und charismatischen Eindruck. Während Ouellet in der Öffentlichkeit lange relativ unbekannt war, ist er in der Kurie besonders geschätzt. Seit 2010 ist er Präfekt der Bischofskongregation, einem der wichtigsten Posten im Vatikan.

Ratzingers Gefolgsmann

Stets werden neue Bischöfe ernannt, die Entscheidung liegt beim Papst, doch Ouellet ist die entscheidende Schnittstelle bei den Nominierungen und bewies Führungsqualitäten, nicht zuletzt, weil er sechs Sprachen spricht, darunter Deutsch. Er war einer der wenigen, die zuletzt einen direkten Draht zu Benedikt XVI. hatten. Seine theologische Fähigkeiten zeigte Ouellet zwischen 1996 und 2002 als Ordinarius an der Lateran-Universität. Der Kanadier, der früher Eishockey spielte, liegt theologisch und dogmatisch auf einer Linie mit Joseph Ratzinger. Zwar könnte er der Mann sein, der die Kurie wieder eint, eine progressives Pontifikat ist unter ihm aber keineswegs zu erwarten.

Als die Kardinäle 2005 zum Konklave nach Rom gerufen wurden, irrte einige Tage vor der Wahl Benedikts zum Papst ein Mann im Talar am Bahnhof Termini herum auf der Suche nach einem Taxi. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn war mit dem Nachtzug aus Österreich angereist. Manchen Beobachtern kam diese Bescheidenheit seltsam vor angesichts des Brimboriums, das andere Purpurträger um sich machen.

Ein Dominikaner als Mittler

Der vor 68 Jahren geborene Dominikaner Schönborn hat Chancen auf die Nachfolge Ratzingers, weil er als unkonventionell gilt und als Mittler zwischen progressiven und konservativen Kräften in der Kirche wirken könnte. Seine Fähigkeit zur Selbstkritik hat Schönborn bei vielen Gläubigen und Kardinälen Kredit gebracht, möglicherweise sind seine Meinungswandel in der Kurie aber nicht mehrheitsfähig.

Homosexualität verurteilte Schönborn einst als Vergehen, 2010 äusserte er sich dann aufgeschlossen über das Thema. Als 1995 der Wiener Erzbischof Groer in einen Missbrauchsskandal verwickelt wurde, verteidigte Schönborn seinen Vorgänger zunächst. Später widerrief er seine Meinung. Kardinaldekan Angelo Sodano musste sich einst heftig von Schönborn kritisieren lassen. Er habe 15 Jahre lang die Bildung einer Kommission zur Aufklärung von Missbrauchsfällen behindert.

Der einzige Twitterer

Natürlich haben auch andere Kandidaten Chancen. Als einer der besten Manager in der Kurie gilt der 70 Jahre alte Kurienkardinal Gianfranco Ravasi. Vor allem seine Aufgeschlossenheit gegenüber den Medien macht ihn zu einer modernen Lösung. Ravasi, Präsident des Päpstlichen Kulturrates und somit eine Art Kultusminister, ist sprachgewandt und twittert als einer der wenigen Kardinäle. Kürzlich äusserte er sich beeindruckt von den «tiefen und verstörenden» Songs der verstorbenen Sängerin Amy Winehouse. Benedikt wählte den Bibelkenner aus, die vatikanischen Fastenexerzitien zu leiten.

Eine weitere interessante Personalie ist der philippinische Erzbischof von Manila, Luis Antonio Tagle. Mit seinen nur 56 Jahren ist er einer der jüngsten Kardinäle, vielleicht ist das aber auch sein Handicap, denn zu erwarten wäre ein langes Pontifikat. Tagle gilt als Mann mit großem Charisma und konservativen Positionen, im September 2012 ernannte ihn Benedikt XVI. zu einem der Synodenväter, zwei Monate später wurde Tagle Kardinal und musste vor Rührung vom Papst getröstet werden.

Oder doch aus einer aus dem Süden?

Bereits im Konklave 2005 wurden dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio Chancen eingeräumt, er soll 40 von 115 Stimmen bekommen haben. Der Jesuit und Erzbischof von Buenos Aires ist einer der südamerikanischen Kandidaten und könnte verschiedene Strömungen ausbalancieren. Allerdings ist er inzwischen bereits 76 Jahre alt. «Papabili» aus Lateinamerika sind auch Kurienkardinal Leonardo Sandri aus Argentinien sowie der deutschstämmige Brasilianer Odilo Pedro Scherer.

Die Wahl eines Papstes aus der südlichen Hemisphäre würde die Zahl der Gläubigen widerspiegeln, die grosse Mehrheit der Katholiken lebt auf der Südhalbkugel. So geht der Blick auch nach Afrika. Dort wird der Name von Peter Turkson am häufigsten genannt. Seit 2009 ist der Kurienkardinal aus Ghana Leiter des Päpstlichen Rates für Frieden und Gerechtigkeit. Turkson ist 64 Jahre alt und studierte Theologie in New York. 2003 wurde er zum ersten Kardinal aus Afrika. Anerkannt ist sein Einsatz für die Dritte Welt, Kondome zur Aids-Bekämpfung akzeptiert Turkson aber nicht.

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