Mit der Räumung von Idomeni ist zwar ein Schandfleck getilgt. Aber was wird aus den Menschen? Das Flüchtlingsproblem in Griechenland bleibt ungelöst. Die Schutzsuchenden haben dort keine Perspektive. Das liegt an den Versäumnissen der griechischen Regierung, aber auch an der Untätigkeit Europas.
Das Elendslager bei Idomeni in Nordgriechenland ist geräumt – überraschend reibungslos. Aber was wird nun aus den Flüchtlingen? In Griechenland haben sie keine Perspektive. Das liegt an den Versäumnissen der griechischen Regierung, aber auch an der Untätigkeit Europas.
Die griechische Regierung und die Polizei verdienen ein grosses Lob: Sie gingen bei der Räumung des Lagers Idomeni mit äusserster Umsicht und ohne Anwendung von Gewalt vor. Statt veranschlagter zehn Tage dauerte die Aktion nur drei Tage. Die befürchteten Zwischenfälle blieben aus – keine Selbstverständlichkeit angesichts der Ausschreitungen, mit denen Idomeni in den vergangen Monaten immer wieder Schlagzeilen machte.
Es entstehen neue «wilde» Camps
Aber das ist auch schon der einzige Lichtblick. Das Flüchtlingschaos in Griechenland dauert an. Von den rund 8’200 Menschen, die sich nach offiziellen Angaben zu Beginn der Räumung in dem Lager aufhielten, wurde nur etwa die Hälfte in staatlich geführte Aufnahmeeinrichtungen gebracht. Die anderen packten ihr Hab und Gut und versuchen nun, sich auf eigene Faust durchzuschlagen.
Viele Kriegsflüchtlinge wollen nicht in die offiziellen Lager. Sie fürchten, dort vergessen zu werden.
Vor allem die Armutsmigranten aus afrikanischen und asiatischen Ländern, die keinerlei Aussicht auf politisches Asyl in Griechenland haben, suchen weiter Wege nach Nordeuropa. Auch viele Kriegsflüchtlinge wollen nicht in die offiziellen Lager. Sie fürchten, dort vergessen zu werden. So entstehen nun in der Umgebung von Idomeni bereits wieder neue wilde Zeltlager. Die Flüchtlinge campieren in den Wäldern oder auf Feldern in der Nähe der mazedonischen Grenze. Dass die sich in absehbarer Zeit wieder öffnet, ist zwar nicht zu erwarten. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Griechenland komplett überfordert
Die Zustände in den staatlichen Flüchtlingsunterkünften sind zwar besser als in den wilden Lagern. Aber gut sind sie nicht. Im Terminal des früheren Athener Flughafens Ellinikon hausen fast 4000 Menschen unter unzumutbaren Bedingungen, darunter hunderte Familien mit kleinen Kindern. Selbst in dem Vorzeigecamp Schisto im Westen Athens, das von der Armee betrieben wird, leben die Menschen in Zelten, die nicht beheizt werden können. Doch der nächste Winter kommt bestimmt.
Viel zu lange verliess sich die griechische Regierung darauf, die aus der Türkei über die Ägäis kommenden Flüchtlinge einfach durchwinken zu können. Mit der Schliessung der Grenzen auf dem Balkan Ende Februar ist Griechenland von einer Durchgangs- zur Endstation geworden. Die Regierung aus Links- und Rechtspopulisten ist mit der Unterbringung und Versorgung der rund 54’000 Flüchtlinge heillos überfordert.
Das Wort Integration kommt bisher in der griechischen Flüchtlingsdebatte überhaupt nicht vor.
Es fehlt nicht nur an menschenwürdigen Unterkünften sondern auch an politischen Konzepten. Die griechische Regierung verdrängt bisher den Gedanken, dass zehntausende Flüchtlinge auf Jahre, möglicherweise sogar dauerhaft im Land bleiben werden. Das Wort Integration kommt bisher in der griechischen Flüchtlingsdebatte überhaupt nicht vor. Es gibt weder Schulunterricht für die Flüchtlingskinder noch Bildungsangebote für die Erwachsenen, nicht einmal Sprachkurse.
Kein Fortschritt erkennbar
Aber das allein zu beklagen, reicht nicht. Europa muss helfen, mit Expertise und Mitteln. Die EU verfehlte ihr Ziel, bis Mitte Mai 20’000 Flüchtlinge aus Griechenland umzusiedeln. Nicht einmal 1000 Menschen wurden bisher von anderen EU-Staaten aufgenommen.
Die Asylverfahren ziehen sich endlos hin, weil die europäischen Partner immer noch nicht die versprochenen Beamten nach Griechenland geschickt haben. Die Verzögerungen gehen vor allem zu Lasten der rund 8’500 Menschen, die auf den ostägäischen Inseln seit Monaten wie Sträflinge in Internierungslagern festgehalten werden. Die Asylverfahren werden darüber entscheiden, ob sie in der EU bleiben dürfen oder in die Türkei zurückgeschickt werden – falls die sie zurücknimmt.
Vor allem die Zustände in den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln sind unhaltbar. Mit der Räumung von Idomeni wurde zwar ein Schandfleck getilgt. Aber ein wirklicher Fortschritt ist das nicht. Europas Schande bleibt.