Die Flüchtlingsquote – ein Konzept, das nicht zu Ende gedacht ist

Die Flüchtlingskrise hält Europa in Atem. Eine von der EU-Kommission entwickelte Strategie findet keine Mehrheit in Brüssel, und nun macht auch noch Berlin Probleme.

A migrant takes a selfie with German Chancellor Angela Merkel outside a refugee camp near the Federal Office for Migration and Refugees after registration at Berlin's Spandau district, Germany in this September 10, 2015 file photo. Merkel, known for her caution, has taken the high-risk step of opening Germany's doors wide, and implored her European Union partners to follow the example. To match Insight EUROPE-MIGRANTS/GERMANY-INSIGHT REUTERS/Fabrizio Bensch/Files

(Bild: FABRIZIO BENSCH)

Die Flüchtlingskrise hält Europa in Atem. Eine von der EU-Kommission entwickelte Strategie findet keine Mehrheit in Brüssel, und nun macht auch noch Berlin Probleme.

«Zu wenig Europa, zu wenig Union»: Gerade einmal eine Woche ist es her, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Europäischen Union dieses blamable Zeugnis ausgestellt hat. Nationalismus und Egoismus machten eine gemeinsame Flüchtlingspolitik fast unmöglich, klagte der Luxemburger in seiner Rede zur «Lage der Union».

Das Treffen der EU-Innenminister am Montagabend in Brüssel lieferte dafür erneut einen traurigen Beweis. Der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière und seine 27 Amtskollegen konnten sich nicht einmal auf eine Quote zur fairen Verteilung der Flüchtlinge einigen. Sogar die Zahl von 160’000 umzuverteilenden Menschen war umstritten. 

De Maizière will nun Druck machen – und eine Entscheidung beim nächsten Ministertreffen am 8. Oktober erzwingen. Zur Not müsse man den unsolidarischen Staaten in Osteuropa eben die EU-Subventionen kürzen, fordert der CDU-Mann. Aus Berliner Sicht gibt es zu diesem harten Kurs wohl keine Alternative. Schliesslich kann Deutschland die Last der Krise nicht mehr lange allein schultern.

Problem 1: Die Flüchtlinge wollen nach Deutschland

Indes: Die Umverteilung von Flüchtlingen lässt sich nicht erzwingen – schon gar nicht, wenn weder Menschen noch Staaten mitspielen. Genau das ist aber das Problem. Die meisten Flüchtlinge wollen unbedingt weiter nach Deutschland – da haben Kritiker der Quote wie der slowakische Innenminister Robert Kalinak durchaus recht. Man wird sie nur mit Zwang in andere Länder schicken können.

Will de Maizière das? Ist er bereit, Flüchtlingstransporte aus Griechenland oder sogar Deutschland nach Polen zu organisieren? Wie will er reagieren, wenn die zwangsverschickten Menschen aus Warschau nach Berlin zurückkehren? Nach Darstellung der EU-Kommission haben die Quoten-Flüchtlinge keine Wahl mehr. Sie müssten also gegen ihren Willen zurückgeschickt oder ausgewiesen werden.

Die Quote ist offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat sie sogar als «weltfremd» kritisiert. «Eine Quote, wo man kreuz und quer Menschen durch Europa schiebt, gegen ihren Willen, wird scheitern», warnen die Experten. Zudem ist die Zahl von 160’000 überholt. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk fordert, Europa müsse mindestens 200’000 Menschen aufnehmen.

Problem 2: Dublin wird schon seit Jahren gebrochen

Die Quote ist jedoch nicht die einzige Schwachstelle im deutsch-europäischen Krisenplan. Noch problematischer ist, dass Brüssel und Berlin an der gescheiterten Dublin-III-Verordnung festhalten. Sie sieht vor, dass für die Flüchtlinge in der Regel derjenige EU-Staat zuständig ist, in dem sie ankommen. Doch diese Regel wird schon seit Jahren gebrochen – zuerst von Italien und Griechenland, zuletzt auch ganz offen von Deutschland.

«Dublin ist tot», hiess es in Berlin vor zwei Wochen, als es galt, den in Ungarn malträtierten Syrern zu helfen. Doch nun soll die Leiche wiederbelebt werden. Deutschland soll wieder eine Insel der Seligen werden – umgeben von sicheren Herkunftsländern (auf dem Westbalkan) und zuverlässigen EU-Partnern, die Dublin wortgetreu umsetzen. Man muss kein Experte für EU-Recht sein, um zu sehen, dass sich diese Position nicht halten lässt. Dies hat auch Simonetta Sommaruga enttäuscht mitgeteilt. Nach dem Treffen in Brüssel – an dem die Bundespräsidentin teilnahm – wählte sie klare Worte und forderte: «Dublin muss weiterentwickelt werden

Problem 3: Die Grenzkontrollen sind als Druckmittel gescheitert

Und es gibt noch eine dritte Sollbruchstelle – Schengen. In seiner Amtszeit werde am Abkommen für die grenzenlose Reisefreiheit nicht gerüttelt, sagte Juncker in seiner Rede. Offenbar wusste er da noch nicht, was de Maizière im Schilde führte. Mit seiner Entscheidung, die Grenzkontrollen zu Österreich wieder einzuführen, hat der deutsche Bundesinnenminister eine Kettenreaktion ausgelöst. Immer mehr Staaten folgen dem schlechten deutschen Beispiel und machen ihre Grenzen dicht.

De Maizière hat das Gegenteil dessen erreicht, was er bezweckt hatte: Die im Alleingang verhängten Grenzkontrollen sollten Druck auf die Osteuropäer machen, sich endlich solidarisch zu zeigen. Stattdessen fühlen sich Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn in ihrer harten Haltung bestätigt; Premier Viktor Orban beglückwünschte de Maizière sogar ausdrücklich. Und nun wackelt auch noch Schengen und damit ein Grundpfeiler der europäischen Einigung.

«Zu wenig Europa, zu wenig Union»: Junckers Klage ist heute aktueller denn je. Doch leider haben dazu auch jene beigetragen, die – völlig zu Recht – mehr Solidarität einfordern. Auch Juncker selbst ist nicht ganz unschuldig. Sein Krisenplan kam zu spät, er geht nicht weit genug und nährt neue Illusionen. «Too little, too late» hiess es in der Eurokrise immer wieder. In der Flüchtlingskrise scheint sich das zu wiederholen.

Nächster Artikel