Beim französischen Front National bricht die Familienfehde offen aus: Parteichefin Marine Le Pen entmachtet ihren eigenen Vater. Der hat aber noch eine furchtbare Waffe – sein Mundwerk.
Das schmerzt. Vor allem, wenn man an die guten alten Zeiten zurückdenkt: Damals, in der Familienvilla in Saint-Cloud, einem Anwesen ausserhalb von Paris, das jedem Mafiapaten gut anstehen würde, bezeichnete klein Marine ihren Vater noch voll Bewunderung und Liebe als den «Mann meines Lebens».
Jetzt herrscht zwischen den beiden nur noch Hass. Die Tochter will ihren eigenen Erzeuger um sein Lebenswerk bringen: Auf Betreiben von Marine Le Pen hat das Politbüro des rechtsextremen Front National (FN) mit 40 gegen 4 Stimmen beschlossen, dass Jean-Marie Le Pen als Ehrenpräsident «suspendiert» wird. In etwa drei Monaten soll ein ausserordentlicher Kongress den Parteigründer seines Amtes entheben. Ab sofort darf er nicht mehr im Namen der Partei sprechen.
Also spricht er im eigenen Namen. Er werde sich natürlich nicht aus der Politik zurückziehen, erklärte Le Pen, als er den FN-Sitz in der schwarzen Limousine, aber als Verlierer verliess. «Dafür müsste man mich schon umbringen», lachte er. «Aber empfiehlt nicht Freud, seinen Vater umzubringen?»
Gaskammerspruch als Anstoss
Es war, wie immer bei dem 86-Jährigen, ein höhnisches Lachen. Den Anstoss zum Vatermord hatte er selber gegeben, als er die Salonfähigkeits-Strategie seiner Tochter mit einem bösen Gaskammerspruch hintertrieb. Obwohl er ihr die Parteigeschicke 2011 noch selber abgetreten hatte. Ist das jetzt nicht eher Tochtermord? In der Dynastie der französischen Rechtsextremen schliesst das eine das andere nicht aus. «Ich schäme mich, dass sie meinen Namen trägt», meinte Le Pen am Dienstag am Radio zu seiner jüngsten Tochter. «Ich wünsche, dass sie meinen Namen so schnell wie möglich verliert. Sie kann ja ihren Partner heiraten. Ich will nicht, dass sich die Präsidentin des Front National noch Le Pen nennt.»
Ja, solche Worte müssen schmerzen. Jean-Marie und Marine wirken beide angegriffen, abgekämpft. Kein Wunder. Am 1. Mai, als der FN wie jedes Jahr die französische Volksheldin Jeanne d’Arc zelebrierte, hatte die Tochter ihrem Vater bereits Redeverbot erteilt. Bevor sie aber selbst das Wort ergreifen konnte, trat der greise Dynastiechef in einer knallroten Parka wie der Leibhaftige auf die Redebühne und liess sich von Tausenden von Parteianhängern feiern, obwohl er sich kaum mehr auf den Beinen hielt.
Der Hass gehört zu den Le Pens
Marine Le Pen musste tatenlos zusehen, wie ihr Vater ihr die Schau stahl und sie lächerlich machte. Groggy begann sie ihre eigene Rede. Aber die FN-Chefin erholte sich rasch. Schläge und Gegenschläge, Winkelzüge und Racheakte gehören zu den Le Pens wie ihr Ausländerhass. Am liebsten hassen sie sich selber. Marines Mutter, Pierrette Le Pen, liess sich 1987 im Streit von Jean-Marie Le Pen scheiden. Um ihren Ex-Gatten eins auszuwischen, posierte sie im Zimmermädchen-Look halbnackt im Playboy.
Marine, die in ihrem Vater damals noch den Mann ihres Lebens sah, beschimpfte ihre Maman darauf als «Müllhalde»; selbige gab später zurück, Marine sei doch nur ein «Klon» ihres Vaters.
Marine und ihre ältere Schwester Yann – die im FN für die Organisation von Grossanlässen zuständig ist – geraten sich auch ständig in die Haare. Und immer mehr: Denn Yanns 24-jährige Tochter Marion Maréchal Le Pen tritt als Vertreterin der dritten Generation zunehmend in Erscheinung. Parteiintern ist sie sehr populär. Marine Le Pen ist gewarnt: Das «Küken» Marion zeigt bereits die Krallen und verficht einen ganz anderen, wirtschaftspolitisch liberaleren Kurs als ihre Tante, die sich sozial-protektionistisch gibt.
Eine Tochter ist bereits verstossen
Seinen ältesten Spross, Marie-Caroline, hatte Le Pen schon 1997 verstossen. «Du bist nicht mehr meine Tochter», erklärte er ihr mit der gleichen Brutalität wie nun Marine. Später fügte er an: «In meinen Memoiren werde ich nicht von Marie-Caroline sprechen.» Deren Verbrechen war es gewesen, zum Parteiabweichler Bruno Mégret zu halten, der ähnliche Positionen vertrat wie heute Marine Le Pen.
Natürlich geht es um mehr als eine Familienfehde. Damit verbunden sind immer Fragen des politischen Kurses, der politischen Macht. Le Pen senior sah sich stets ausserhalb des «sozialkommunistischen» Systems, das er bekämpfte und mit seinen bewusst platzierten rassistischen Sprüchen provozierte. Sein bestes Resultat erzielte er bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 mit 17,8 Prozent der Stimmen. Marine Le Pen hat diese Stimmenzahl bei den letzten Europa- und Lokalwahlen nahezu verdoppelt, indem sie die Partei konsequent «entteufelte». Sie verurteilt die antisemitischen Sprüche ihres Vaters und schiesst sich wie die neue Generation der europäischen Rechten – Gerd Wilders in den Niederlanden, Heinz-Christian Strache in Österreich – vor allem auf den Islam und die EU ein.
Parteimehrheit im Rücken
Dabei verlangt sie mehr Schutzbarrieren und höhere Mindestlöhne als die Linke. Das sorgt für Widerstände bei der alten Parteigarde um Le Pen senior oder Marines Gegenspieler Bruno Gollnisch. Aber die FN-Chefin hat die Parteimehrheit hinter sich, und die ist es langsam leid, die Rolle der republikanischen Schmuddelkinder zu spielen: Sie will an die Macht.
Noch bewahrt die Partei ihr Flammenzeichen, doch die meisten Franzosen haben längst vergessen, dass es neofaschistischer Herkunft ist: Bei der Gründung des Front National 1972 nahm Le Pen das Movimento Sociale Italiano (MSI) zum Vorbild. Sollte es Marine Le Pen gelingen, ihren Vater ganz aus der Partei zu werfen, dürfte sie zweifellos versuchen, das Kürzel FN durch ihre persönliche Bewegung «Rassemblement Bleu Marine» (RBM) abzulösen. Damit will sie in den Präsidentschaftswahlkampf 2017 ziehen. Und im Unterschied zu ihrem Vater will Marine Le Pen wirklich ins Elysée. Die Kaltstellung ihres Vaters diente laut einem FN-Communique einem einzigen Zweck: «Nichts soll den Front National von seinem Ziel abbringen, im Dienste Frankreichs und des französischen Volkes die Macht zu erobern.»
Verrat und Treuebruch
Jean-Marie Le Pen erklärte am Dienstag allerdings unumwunden, er wünsche «im Moment nicht», dass seine Tochter bei den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren den Sieg davontrage. Zur Begründung meinte er, unmoralische Prinzipien wie Verrat und Treuebruch dürften in Frankreich nicht regieren.
Der «Menhir», wie ihn seine alternden Fans nennen, stellte eine Gerichtsklage gegen seinen Parteiausschluss in Aussicht. Das ist aber nicht einmal das Wesentliche. Vor allem werde Le Pen weiter geifern, um Marine in die Bredouille zu bringen, meint der Politologe Pascal Perrineau. Die Zeitung «Le Monde» sieht in den Äusserungen des Parteigründers gegen seine Tochter gar eine «Kriegserklärung» und schätzt, dass ihre präsidialen Ambitionen zumindest fürs Erste leiden werden. Die Frontisten bieten nun das gleiche Bild einer zerrissenen, sich zerfleischenden Partei, das sie bei den Konservativen und Sozialisten regelmässig verspotten. Auf ihrem Weg ins Elysée wird der Hauptgegner von Marine Le Pen nicht Nicolas Sarkozy heissen, auch nicht François Hollande, sondern Jean-Marie Le Pen. Er bleibt der Mann ihres Lebens.