Ägypten will in der jüngsten Gaza-Krise nicht aktiv zwischen Israel und Hamas vermitteln. Für Präsident Sisi eine heikle Gratwanderung, denn mit jedem Toten steigt die Solidarität der Ägypter mit den Palästinensern. Kairo hat humanitäre Hilfe zugesagt.
Ägyptische Medien haben in den letzten Tagen ungewöhnlich zurückhaltend über die israelische Offensive in Gaza berichtet. Nach der Entmachtung von Präsident Mohammed Morsi und den regierenden Muslimbrüdern im vergangenen Sommer hatten die ägyptischen Generäle auch die Hamas – ihre Schwesterorganisation im benachbarten Gaza-Streifen – in die Zange genommen.
Die Armee hat Dutzende der Tunnels zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen zerstört und den Grenzübergang in Rafah – die einzige Aussenverbindung der 1,7 Millionen Einwohner – praktisch geschlossen. Der Transit wird nur noch tageweise für spezielle Gruppen, etwa Studenten oder Pilger, möglich gemacht. In einem grossen Prozess gegen die Spitze der Muslimbrüder sind auch mehrere Hamas-Mitglieder angeklagt.
Sisi will mehr Briefträger als Vermittler sein
Mit dieser Politik der neuen ägyptischen Führung unter Präsident Abdelfattah as-Sisi wurde auch die traditionelle Vermittlerrolle Ägyptens im israelisch-palästinensischen Konflikt tangiert. Der letzte Waffenstillstand zwischen Israel und Hamas wurde nach dem Krieg im November 2012 in Morsis Regierungszeit ausgehandelt, als die Verbindungen zwischen Ägypten und Hamas besonders eng waren. Aber auch unter seinem Vorgänger Hosni Mubarak gab es immer eingespielte Kanäle, um die Vermittler-Rolle auszuführen. Der Mubarak-Geheimdienst hatte trotz der politischer Nähe zu Fatah auch gute Drähte zu Hamas.
Rauchschwaden über Rafah, die Folge eines Luftangriffes gemäss Augenzeugen. (Bild: IBRAHEEM ABU MUSTAFA)
Im jüngsten Konflikt scheint Präsident Sisi, diese aktive Vermittlungsfunktion nicht wahrnehmen zu wollen und sich mit Briefträgerdiensten zu begnügen. Die ägyptischen Behörden haben am Mittwoch sowohl Hamas als auch dem Islamischen Jihad eine Botschaft überbracht, dass Israel die Militäroperation ausweiten werde, sollte der Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen nicht aufhören. Die ägyptischen Geheimdienstvertreter hätten klar gemacht, dass eine Eskalation vermieden werden müsse, aber zum ersten Mal hätte man gespürt, dass sie nicht eingreifen wollten, zitierte die Tageszeitung «al-Hayat» auf ihrer Webseite palästinensische Quellen.
Ägyptische Spitäler helfen aus
Sisi, der in seiner ersten Rede nach der Wahl versprochen hatte, das Palästinenserproblem werde eine Priorität seiner Aussenpolitik sein, war immerhin auf der internationalen Ebene aktiv. Er führte ein Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Kairo will sich auch im Rahmen der Arabischen Liga einbringen. Ägypten sei in engem Kontakt mit allen betroffenen Parteien, um das palästinensische Volk von der Plage der israelischen Militäroperation zu verschonen. Man halte Israel als Besatzungsmacht wie in den Genfer Konventionen verbrieft, verantwortlich für den Schutz der Zivilbevölkerung, erklärte Sisis Sprecher in einer Mitteilung.
Nachdem die Spitäler im Gaza-Streifen mit den hunderten Verletzten überfordert sind, hat Ägypten am Donnerstag den Grenzübergang in Rafah für den Transport von Verletzten geöffnet und die Krankenhäuser im Nord-Sinai, insbesondere in der Stadt al-Arish, in Alarmbereitschaft versetzt. Die schweren Fälle werden nach Kairo überstellt.
Eine Palästinenserin wartet in Rafah auf die Überführung nach Ägypten. Sie soll bei einem israelischen Luftangriff verletzt worden sein. (Bild: IBRAHEEM ABU MUSTAFA)
Die Gewaltexplosion in Gaza kommt für Sisi, nur einem Monat nach seiner Vereidigung, in einem heiklen Moment, da schon mit der Eskalation des Krieges in Syrien und im Irak seine aussenpolitische Kompetenz geprüft wird. Gaza ist auch ein erster Test für das sensible Verhältnis zu Israel. Die israelische Regierung erwartet von ihm, dass er mit aller Härte gegen Hamas vorgeht. Israelische Medien haben berichtet, dass vor wenigen Tagen der ägyptische Geheimdienstchef Mohammed Farid al-Tohamy Tel Aviv besucht hätte.
Frage der nationalen Sicherheit
Verhandlungen über einen Waffenstillstand wären in den laufenden bewaffneten Auseinandersetzungen äussert komplex. Sie umfassen nicht nur Sicherheitsaspekte, sondern auch Klauseln aus alten Vereinbarungen – Israel hat in den letzten Wochen entlassene Palästinenser wieder verhaftet – sowie politische Fragen im Zusammenhang mit der palästinensischen Einheitsregierung, wie die umstrittene Bezahlung der von Hamas in Gaza eingestellten Beamten.
Sisi steht vor einer schwierigen Gratwanderung, denn jeder Konflikt in Gaza ist auch eine Bedrohung der nationalen Sicherheit und je mehr Palästinenser sterben, je lauter wird der Ruf nach Solidarität in der eigenen Bevölkerung, ungeachtet des angespannten Verhältnisses zu Hamas. Die toten Palästinenser würden Sisi noch auf den Kopf fallen, hat ein ägyptischer Journalist gewarnt.