Dieser Sommer war heiss. Zu heiss für die Fische im Rhein. Zu heiss auch für Klimaforscher. Der Klimarat hat am 8. Oktober einen Bericht zur Klimaerwärmung vorgelegt. Fazit: Wenn wir so weitermachen, sind tote Fische unser kleinstes Problem.
Doch eine Partei scheint davon profitiert zu haben – die Grünen. Letztes Wochenende gewannen sie im Zuger Parlament einen Sitz dazu, in Genf waren es im April sogar fünf Sitze.
Noch vor drei Jahren hiess es, den Grünen sei ihr einziges Thema abhanden gekommen.
Und der Trend hält an: Wenn die Umfragen verschiedener Medien recht behalten, legt die Ökopartei in den Nationalratswahlen nächstes Jahr um bis zu 2 Prozent zu. Auch die Grünliberalen sollen gewinnen. Das euphorisiert die beiden Umweltparteien so sehr, dass sie sogleich alte Bundesrats-Gelüste wieder ausbuddeln.
Diese mussten die Grünen im Herbst 2015 tief, tief vergraben. Man erinnere sich: Bei den damaligen nationalen Wahlen schnitten die Grünen (–1,3 Prozent) und die Grünliberalen (–0,8 Prozent) so schlecht ab, dass die Medien sie für tot erklärten. Den Grünen sei ihr einziges Thema abhanden gekommen: die Atomenergie, analysierten die Politjournalisten hüben und drüben. Die Bevölkerung habe drängendere Sorgen als die Umwelt, etwa den starken Euro oder die Altersvorsorge. Und darauf hätten die Grünen keine gescheiten Antworten.
Und jetzt die Trendwende, so scheint es. Was ist da passiert?
Es muss am Hitzesommer liegen! Könnte man meinen. Aber nein: Die Gleichung «Tote Fische = viele grüne Wählerstimmen» geht nicht auf. Die Grünen fanden nämlich bereits in kantonalen Wahlen 2016 zurück auf die Erfolgsspur, ein Jahr nach den letzten Nationalratswahlen.
Schweizer sorgen sich vor allem um ihre Rente
Doch es ist nicht so, dass der Umweltschutz die Bevölkerung heute mehr umtriebe als noch vor drei Jahren. Die 1980er-Jahre, das waren die Zeiten des Umweltschutzes. Damals, als die Grünen gegründet wurden, machte sich beinahe jeder Schweizer Sorgen um den sauren Regen und das Waldsterben.
Seit den 1990er-Jahren ist es damit vorbei, wie das Sorgenbarometer der Credit Suisse zeigt. Stattdessen ängstigen heute Arbeitslosigkeit und Altersvorsorge die Schweizerinnen und Schweizer. Keine Themen, in denen sich die Grünen besonders hervortun. Ihre neusten Wahlerfolge haben andere Gründe.
Da ist einmal der Rechtsrutsch. Bei den letzten Nationalratswahlen holten SVP und FDP die Parlamentsmehrheit. Und setzten, wie erwartet, ihre Prioritäten um: Steuergeschenke für Reiche, Bundesmillionen für die Bauern, das Militär, die Strassen, aber keine für den Vaterschaftsurlaub. Entfesselte Schnüffler in den Sozialversicherungen, aber Seidenhandschuhe bei den Lohnkontrollen.
Mit den Entscheidungen in Bundesbern wurden die Ängste in der Bevölkerung aber nicht kleiner, sondern teilweise noch weiter bedient. Gerade die Debatten rund um die Rentenreform sorgten bei jüngeren Arbeitnehmern wie auch bei Frauen und Männern kurz vor der Rente für Existenzängste.
Das brachte linke Politiker auf Touren und Wähler an die Urnen, etwa bei der Abstimmung über die Steuerreform III oder eben in kantonalen Wahlen.
Während beim Ständerat nächstes Jahr ein Rechtsrutsch anstehen könnte, sagt der Politologe Daniel Bochsler deshalb über den Nationalrat: «Es findet insgesamt eine Verschiebung – oder eher eine Rückverschiebung – zwischen den Blöcken statt.»
Zwar ist die auffälligste Gewinnerin die FDP. Sie trocknet alle Parteien in den kantonalen Wahlen ab – auf Kosten von CVP, BDP und SVP. Doch auch die Erfolgswelle der Grünen ist auffällig. Sie gewannen seit 2015 gleich viele Sitze dazu wie die Sozialdemokraten: 18.
Das hat die Partei vor allem sich selber zu verdanken. Sie macht drei Dinge besser seit 2015:
Erstens haben sie das leidige Co-Präsidium über Bord geworfen. Zwischen 2012 bis 2016 hatten die Grünen zwei Präsidentinnen, Regula Rytz und Adèle Thorens (beide Nationalrätinnen). Keine gute Sache: Niemand wusste recht, wer wofür zuständig ist. Im Jahr 2016 wählte die Partei dann Regula Rytz als alleinige Präsidentin. Seither hat die Partei ein Gesicht – das ihrige. Es ist ein Gesicht, das gefällt: Rytz ist unaufgeregt deutlich. Sie poltert nicht, sondern behält die Fassung, spricht ruhig, aber bestimmt. Sie ist kompromissbereit, aber mit klaren Standpunkten.
«Man nimmt die Partei wahr, sie hat klare Positionen.»
Zweitens die Kampagnenorganisation. Die Grünen setzten Themen. Etwa mit der Atomausstiegsinitiative. Das Volk lehnte den gestaffelten Atomausstieg vor zwei Jahren zwar mit 54 Prozent Wählerstimmen ab. Aber grüne Wählerinnen und Wähler, die bei den nationalen Wahlen der Urne ferngeblieben waren, merkten wohl: Da geht noch was. Dazu kommen die Initiative für eine grüne Wirtschaft, die Energiestrategie 2050, die Fairfood-Initiative. Politologe Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs in Bern sagt: «Man nimmt die Partei wahr, sie hat klare Positionen.»
Drittens haben sich die Grünen den sozialen Bewegungen wieder angenähert. «Die Grünen haben ein besseres Relais zu ausserinstitutionellen Bewegungen», sagt Longchamp. Ein Beispiel ist das Referendum gegen die Versicherungsdetektive, das auch die TagesWoche unterstützt. Als das Parlament beschloss, im Schnelldurchlauf ausgebildeten Sozialschnüfflern Überwachungskompetenzen zu geben, auf welche die Terrorabwehr neidisch blicken würde, machten SP und Grüne erst einmal gar nichts.
Es war eine Gruppe um die Autorin Sibylle Berg, die das Referendum ergriff. Grüne Nationalräte standen dann ziemlich schnell auf der Matte und sagten: Dieses Gesetz geht nicht. Und die SP? Zögerte und zauderte, zerbrach sich den Kopf darüber, ob das jetzt strategisch klug sei, bis sie sich endlich dazu durchrang, das Referendum zu unterstützen.
Staatskritisch, jung und feminin
Grün und rot ist eben doch nicht ganz dasselbe. Auch aus der Innenperspektive nicht. So glaubt etwa Balthasar Glättli, Fraktionspräsident der Grünen im Nationalrat, seine Partei sei in Migrationsfragen glaubwürdiger. «SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga musste als Bundesrätin doch einige Verschärfungen mittragen.» Ausserdem seien die Grünen unter dem Strich staatskritischer und skeptischer gegenüber dem Wirtschaftswachstum. «Für die Grünen ist klar: Um den Klimawandel aufzuhalten, müssen wir weniger produzieren.» Bei der SP sei diese Haltung weniger ausgeprägt – gerade im Gewerkschaftsflügel.
Auch sei es gelungen, junge Leute und Frauen aufzustellen. «Die grüne Fraktion ist die jüngste und weiblichste im Parlament. Diese Lebendigkeit kommt rüber.» So hat sich etwa die Nationalrätin Lisa Mazzone in der Romandie in kürzester Zeit einen Namen gemacht. Mazzone war zum Zeitpunkt der Wahl das jüngste Parlamentsmitglied.
Tatsächlich gingen einige Sitzgewinne der Grünen in der Romandie auf Kosten der SP, etwa in Fribourg oder der Waadt. Hinzu kommen soziale Umschichtungen: Im Wallis etwa konnten die Grünen bei den kantonalen Wahlen massiv zulegen. Das liegt laut Longchamp an Wählerstimmen von Zuzügern aus dem Einzugsgebiet des Genfersees. «Sie ziehen wegen günstiger Wohnungen in die neuen Gegenden, wählen aber weiterhin links. Da die Grünen dort die profilierteren Kandidaten haben, wählen sie eben die Grünen.»
Baselbieter Grüne sind in den Startlöchern
Die Linke wirkt insgesamt stärker als 2015. Politologe Longchamp rechnet für die nächsten Wahlen mit einer Verschiebung von gut zwei Prozentpunkten. Entscheiden wird letztlich, wie gut die verschiedenen Parteien mobilisieren können.
Im Baselbiet ist der Wahlkampf bereit lanciert: Am 31. März 2019 wählt das Baselland Parlament und Regierung. Obwohl die SP derzeit mit ihrer Regierungsratskandidatin Kathrin Schweizer stärker im Rampenlicht steht, wollen auch die Grünen im Landrat zulegen, um die Dominanz von SVP und FDP wieder zu brechen.
Der Parteipräsident setzt im Wahlkampf auf die eigenen Kernkompetenzen: «Der Umweltschutz ist das existenzielle Thema des 21. Jahrhunderts», sagt Bálint Csontos. «Wir schauen nicht, mit welchen anderen Themen man sonst punkten kann. Wir bleiben unserer Identität treu.»
Vor allem die Bau- und Umweltschutzdirektion darf sich auf einen Frontalangriff der Grünen einstellen: Sei es beim Strassenbau, dem öffentlichen Verkehr oder bei Investitionen in öffentliche Gebäude – die Grünen haben eine völlig andere Sicht auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Kantons als die amtierende FDP-Regierungsrätin Sabine Pegoraro.
In der Stadt steht die Strategie noch nicht
Gar nichts in Sachen Wahlkampf spürt man dagegen von den städtischen Grünen. «Die Wahlen sind noch weit weg», sagt Präsident Harald Friedl. Die Wahlen im Stadtkanton finden erst ein Jahr nach den nationalen Wahlen statt.
Natürlich will Friedl, was jeder Parteipräsident will – mehr Sitze. Aber wie? «Im Frühjahr werden wir unsere Strategie diskutieren. Umweltschutz wird sicher ein Thema sein.»
Die Prognose des Politologen löst bei ihm keine Begeisterung aus. «Zwei Prozent für die Linke machen noch keinen Erdrutsch», sagt er. Zwar verzeichnete seine Partei in den letzten Jahren wachsende Mitgliederzahlen, aber keinen «Wahnsinnsschub». Doch das könnte sich ändern: «Nach dem Hitzesommer ist den Leuten endlich bewusst, dass der Klimawandel eine Realität ist.»
Bis im Oktober 2019 wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen. Hoffentlich kühles Wasser – im Interesse der Fische. Auch wenn überhitzte Forellen noch keinen fundamentalen Wandel der Politik auslösen.
Doch die Frage lautet ohnehin nicht: Was kann der Fisch für die Grünen tun? Sondern: Was können die Grünen für den Fisch tun?