Viel wurde darüber geredet. Offiziell lanciert wird sie aber erst morgen Freitag: die Initiative zur Fusion der beiden Basel. Was soll man davon halten? Wir fragten in Hersberg nach, wo die Ablehnung gegen Basel traditionell so gross ist wie nirgendwo sonst.
Man war gewarnt. Der «Schützenstuben»-Wirt sei nett und umgänglich. Plötzlich könne er aber auch ganz anders – vor allem, wenn es um die Wiedervereinigung der beiden Basel gehe. Zu diesem Thema vertrage er nicht einmal an der Fasnacht einen Spruch. Schnitzelbänggler, die sich dennoch auf Kosten ihres finanziell angeschlagenen Kantons lustig machen und billige Fusionspointen bringen, bekommen in der «Schützenstube» kein Getränk offeriert, so einfach ist das.
Hier ist die Welt, hier ist das Baselbiet noch in Ordnung. Die «Schützenstube» in Hersberg ist ein Restaurant wie aus einer anderen Zeit, mit verzierten Plättli, schweren Decken auf den Tischen und einem Menü aus der Zeit vor 1970: Kuttelsalat einfach für Fr. 12.50 und garniert für Fr. 17.50.
Wir bestellen erst einmal eine Stange, und als sie auf dem Tisch steht, nippen wir ein wenig am Bier. Dann stellen wir uns vor und leiten – etwas umständlich – unsere Frage ein. Der Wirt, eine eindrückliche Erscheinung, auch in seiner leicht gekrümmten Haltung über dem Tresen, löst seinen Blick eher widerwillig von der «Basellandschaftlichen Zeitung» und schaut – mit einer Mischung aus Misstrauen und Verwunderung – zu uns hinüber.
Wir reden und reden, bis sie irgendwann tatsächlich im Raum steht, diese Frage, die hier niemand stellen sollte. «Was halten Sie und Ihre Gäste von der Idee einer Wiedervereinigung der beiden Basel?» Nun schlägt das Misstrauen in Missmut um. «Darüber rede ich nicht. Nicht mit Ihnen. Ich kenne die Medien», sagt der Wirt und wendet sich wieder seiner Zeitung zu.
Zwei, drei Minuten später stehen wir wieder drausssen vor der Tür, das Bier war plötzlich rasch getrunken und bezahlt. Auf den Kuttelsalat verzichten wir.
«E dummi Schnuure»
Sehr viel freundlicher werden wir im Dorf unten empfangen. Ueli Imhof hat den vereinbarten Termin zwar vergessen, aber, kein Problem, wenn jemand von der Zeitung extra zu ihm hoch nach Hersberg kommt, dann nimmt er sich selbstverständlich Zeit. Der Blumengarten könne auch noch ein wenig warten.
Imhof, 64, ist Hersberger durch und durch. Früher lebten er und seine Familie noch vom Hof, bis das Gesetz vor rund 15 Jahren wieder einmal verschärft wurde. Imhof hätte den Tieren mehr Auslauf geben müssen, ihm fehlte aber der Platz. Das war ärgerlich und gleichzeitig: wieder mal typisch. Die Behörden machen immer mehr Vorgaben und haben dann auch noch «e dummi Schnuure», wenn man sich nicht übertrieben exakt daran hält. Aber was will man da schon machen?
Nur einer hätte fast verschlafen
Imhof hörte mit Bauern auf und arbeitete danach noch ein paar Jahre als Angestellter in Füllinsdorf. Lieber als über diese Zeit redet er über früher. Über die Abstimmung vom 7. Dezember 1969 zum Beispiel, als letztmals über die Wiedervereinigung der beiden Basel abgestimmt wurde.
Die Stadt sagte damals deutlich Ja zur neuen Verfassung für den gemeinsamen Kanton Basel, zu den neuen Grundzügen der Gesetzgebung, zum neuen Wahlgesetz und der Geschäftsordnung des neuen Kantonsrates. Das Baselbiet lehnte aber ebenfalls deutlich ab, mit fast 60 Prozent der Stimmen. Der untere Kantonsteil wäre eigentlich dafür gewesen, schliesslich gab aber die wuchtige Ablehnung aus dem Oberbaselbiet den Ausschlag.
Am extremsten war Hersberg. Von den 75 Stimmberechtigten gingen hier 75 zu Urne – und sie alle legten ein Nein ein. 100 Prozent Stimmbeteiligung, 100 Prozent Nein-Stimmen. So etwas hatte es im Baselbiet wahrscheinlich noch nie gegeben. Die Hersberger wollten an diesem 7. Dezember unbedingt die ersten Hunderprozentigen sein.
«Ein junger Burscht hätte die Abstimmung fast noch verschlafen», erinnert sich Imhof, «zum Glück konnte er aber gerade noch rechtzeitig ins Wahllokal geholt werden.» Danach wurde gefeiert, bis spätnachts, in der «Schützenstube». Dort kam spontan auch Paul Manz vorbei, der BGB-Regierungsrat (heute SVP) und langjährige Präsident des «Selbständigen Baselbiets». «Es war ein ganz lustiger Abend. Wir haben uns schon das eine oder andere Gläschen gegönnt», sagt Imhof. Man war stolz auf sich selbst und stolz auf das Baselbiet.
Scharfe Worte
Diese Freude, dieses Wir-Gefühl, das ist der vielleicht grösste Erfolg, den das «Selbständige Baselbiet» erreicht hat. Und der überraschendste auch. Ein paar Jahre zuvor schien die Heimat nämlich schon verloren. 1958 sagten die beiden Basel grundsätzlich Ja zu einer Wiedervereinigung und der entsprechenden Initiative. Danach wurde der Verfassungsrat gebildet, und auch in diesem Gremium fanden sich die Fusionsgegner in der Minderheit wieder.
Es klang schon sehr nach Verzweiflung, als Ernst Würgler, Sekretär des «Selbständigen Baselbiets», 1960 seine Durchhalteparolen verbreitete: «Ich habe den Glauben (…), dass es für unsere Volksbewegung noch einen Weg gibt, aus der Zerschlagenheit unseres ‹Dünkirchen› herauszukommen, uns neu zu formieren, unsere Mitkämpfer mit Waffen zu versehen und ihren Kampfgeist anzuspornen.»
Würglers Waffen konnten nicht töten, es waren nur Worte, aber scharfe Worte. Er sprach von einem «Krieg» der Städter, einer geplanten «Annexion» der Landschaft und träumte vom «Endsieg». Gleichzeitig warf er den Gegnern vor, nationalsozialistische Propagandamethoden anzuwenden.
Mitte der 1960er-Jahre hatte man auch im «Selbständigen Baselbiet» genug von der Kriegsrhetorik, Würgler verliess den Verein und damit änderte sich auch der Ton. Man wetterte nicht mehr gegen die Stadt, sondern lobte das Land, das selbstständige Baselbiet, das gerne mit seinen Nachbarn zusammenarbeitet, auch wenn es eigentlich für sich selber schauen kann.
Eine positive Kampagne
Es war eine positive Kampagne, mit dem Baselbieter Stab auf dem Revers vieler Politiker, mit unzähligen rot-weissen Unabhängigkeitsklebern auf den Autos und mit Tausenden von Baselbieter Fahnen in den Gärten, entlang der Strasse und auf der Klus. Es war eine glaubhafte Kampagne auch, weil der Kanton damals noch boomte. Und so kam es vor der Abstimmung vom 7. Dezember 1969 zu diesem drastischen Meinungsumschwung gegen die Wiedervereinigung. Und zu diesem einzigartigen Ergebnis in Hersberg.
Nach diesem historischen Tag waren die Hersberger die Helden des Oberbaselbiets. Den «Hundertprozentigen» wurde nun auch an den Grümpeli zugejubelt.
Jahre später erlangten die Hersberger wieder Berühmtheit, diesmal aus einem ganz anderen Grund. Zuzüger mischten sich unter die eingeschworene Einheit auf dem Hügel, die Lage wurde ungemütlich.
Die explosive Mischung entzündete sich ausgerechnet an einem Feuerwehrmagazin. Der Streit an den Gemeindeversammlungen wurde so heftig, dass der Kanton eingreifen musste. Alt Regierungsrat Erich Straumann wurde 2008 als Statthalter eingesetzt, vorbei war es mit der Selbstständigkeit jener, die so viel auf die Selbstständigkeit geben.
Die von der Alp
Vier Jahre später blättert Straumann in einem dicken Ordner und lächelt leise dabei. «Das war meini verchachelt dort oben auf der Alp», erzählt der ehemalige Regierungsrat. Anstand habe man den Hersbergern lernen müssen, die einfachsten Regeln. «Aber es hat funktioniert!» Auch eine Fusion stand damals im Raum, mit Arisdorf. Aber die wollten die Probleme «von der Alp» nicht auch noch bei ihnen unten im Tal.
Es sei halt eben so eine Sache mit den Baselbietern und ihrem Stolz. Auch er, sagt Straumann, der immer bestens mit seinen Kollegen von der Stadt zusammengearbeitet habe und grosse Sympathien für die Basler habe, auch er sei «immun» gegen eine Fusion. «Das wurde uns eingeimpft.» Mindestens zwei Generationen dauere es noch, bis die Baselbieterinnen und Baselbieter bereit wären, einen Schritt auf die Basler zuzugehen. Gleiches gelte für Fusionen auf Gemeindeebene. «Der Baselbieter will sein Eigenes behalten. Seine Turnhalle, sein Feuerwehrmagazin, seine Beiz.»
Als Straumanns Arbeit auf der Alp getan war, übergab er an Florian Kron, einen jungen und «hervorragenden» Gemeindepräsidenten. Kron ist offen für eine enge Zusammenarbeit mit anderen Dörfern, mit anderen Kantonen. Aber nur, wenn es auch etwas bringt. Auf einer praktischen, nicht auf einer ideellen Ebene. Darum spricht sich Kron, der in einem Kinderheim in Basel arbeitet, nicht für eine Fusion der beiden Basel aus. «Wenn man fusioniert, dann muss die gesamte Nordwestschweiz zu einem Ganzen werden.»
Es bleibt beim Nein
Abgestimmt wird vorerst aber nur über die alte Forderung – sollte die Wiedervereinigungsinitiative der Grünen tatsächlich zustande kommen. Imhof, der ehemalige Bauer, wird selbstverständlich wieder Nein stimmen. Wie immer noch die deutliche Mehrheit im Dorf, davon ist er überzeugt. «Auch wenn es viele Neuzuzüger gibt, die in der Stadt arbeiten oder aus anderen Gründen häufig dort sind und entsprechend offen für eine Wiedervereinigung sein werden.»
Imhof selbst hat nichts gegen Basel; die Stadt interessiert ihn aber auch nicht mehr als Zürich, Bern oder Bümpliz. «Wir Baselbieter sind halt einfach ein eigenes Völkli, stolz auf unseren Kanton, das Baselbiet.» Sagt er und lacht. Dann wird er wieder ernst, weil er noch einmal auf die ständigen neuen Vorgaben der Liestaler Behörden und die ideenlose Sparerei der Regierung zu sprechen kommt. Diesen Kanton zu lieben, fällt in der aktuellen Lage auch einem Hersberger durch und durch nicht leicht.
Der Anlass zur Lancierung der Initiative für eine Kantonsfusion der beiden Basel findet am Freitag, 3. August, im Merianpark in Brüglingen statt. Der zweite Teil ab 11.30 Uhr ist öffentlich. Auf dem Programm steht dabei – neben den Ansprachen – eine symbolische Unterzeichnung einer «Erklärung vom 3. August». Im ersten Teil des Lancierungs-Events findet eine Medienkonferenz statt, an der CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider, alt Regierungsrat Peter Schmid, Regionalist Hans-Rudolfi Bachmann, der Grüne Landrat Klaus Kirchmayr, alt Regierungsrätin Barbara Schneider, alt CVP-Nationalrätin Kathrin Amacker und SP-Landrat Ruedi Brassel sprechen werden.
Quellen
Medienmitteilung der Baselbieter Regierung zum Streit in Hersberg.
Auszug aus der Baselbieter Geschichte «Nah dran, weit weg» zur Abstimmung von 1969.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12