Die Kleinen machen es spannend

Im September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Die grossen Parteien tun sich mit dem Wahlkampf schwer und halten sich zurück. Die Kleinen werden das Zünglein an der Waage spielen.

Deutsche Farbspiele: Bei der Regierungsbildung in Deutschland ist im Herbst vieles möglich. (Bild: Markus Schreiber/AP)

Im September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Die grossen Parteien tun sich mit dem Wahlkampf schwer und halten sich zurück. Die Kleinen werden das Zünglein an der Waage spielen.

Noch gut vier Monate sind es bis zur Bundestagswahl in Deutschland, doch von hartem Ringen um Wählerstimmen ist noch nicht viel zu spüren. Die Parteien suchen verzweifelt nach Themen, mit denen sie sich voneinander abgrenzen können.

CDU und SPD fällt das nicht leicht, haben sie sich doch in vielen Fragen zu Zeiten der Grossen Koalition 2005 bis 2009 angenähert. Zudem wünscht sich die Mehrheit der Bundesbürger ohnehin wieder eine schwarz-rote ­Koalition für die nächste Legislaturperiode. Zu frisch ist vielen Wählern die Erinnerung an lange Monate des Streits und des politischen Stillstands der derzeitigen schwarz-gelben Regierung von CDU/CSU und FDP.

Spannung versprechen einzig zwei Parteien, die erstmals für den Bundestag kandidieren: Den Piraten ist bereits der Einzug in mehrere Länderparlamente gelungen; ihr bundespolitisches Spitzenpersonal ist derzeit jedoch so sehr zerstritten, dass selbst begeisterte Anhänger an einem Erfolg zu zweifeln beginnen. Politisch auf der anderen Seite steht die Alternative für Deutschland (AfD). Sie will mit dem Ausstieg aus dem Euro bei den Wählerinnen und Wählern punkten.

Die Chancen der beiden Newcomer sind ungewiss. Nach jüngsten Prognosen schaffen sie am 22. September die Wahl in den Bundestag nicht. Sie könnten aber den etablierten Parteien so viele ­Stimmen abnehmen, dass es für die Wunsch­koalition nicht reicht. Union und FDP auf der einen, SPD und ­Grüne auf der anderen Seite beobachten mit Argusaugen, was sich an den Rändern tut.

Das Volk steht zu Merkel

Noch vermeidet es die CDU, mit inhaltlichen Positionen in Erscheinung zu treten. Ihre Spitzenkandidatin, Bun­des­kanzlerin Angela Merkel, erfreut sich im Volk grösster Be­liebtheit. Merkel ­allein garantiert die 38 bis 40 Prozent Stimmenanteile, die Wahlforscher für die Union vorhersagen. Inhaltliche Auseinandersetzungen könnten da womöglich nur schaden.

So hat etwa der unionsinterne Streit um eine Frauenquote in den Aufsichtsräten von Grossfirmen die Wahlstrategen alarmiert. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hatte sich dafür starkgemacht. Mit ihrer Drohung, für den Gesetzesvorschlag der rot-grünen Opposition zu stimmen, hatte sie den konservativen Flügel der Union gegen sich aufgebracht. Die Konservativen nahmen den durch von der Leyen eingebrachten Kompromiss, die Einführung einer festen Quote bis 2020, nur zähneknirschend hin. Die Spitzen der Partei hatten alle Hände voll zu tun, den Konflikt möglichst rasch im Keim zu ersticken.

Seither herrscht Ruhe in der CDU. Dafür macht die Schwesterpartei CSU Sorgen. Die Christsozialen kämpfen aktuell gegen die Wiederbelebung ihres Rufes als «Amigo»-Partei. Der hing ihr wegen Vetternwirtschaft in längst vergangen geglaubten Zeiten an. Nun schallt er wieder durch Bayern: Etliche CSU-Abgeordnete im Landtag hätten auf Staatskosten Familienangehörige in ihren Parlamentsbüros beschäftigt, wird kolportiert.

«Amigo»-Politiker machen Ärger

Zwar sind auch Parlamentarier von SPD und Grünen ins Gerede geraten, doch punkto Anzahl und Ausmass der Verfehlungen übertreffen die Christ­sozialen alles. Krassestes Beispiel ist der mittlerweile zurückgetretene CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid. Über Jahre hatte er seine Ehefrau für 5500 Euro im Monat als Sekretärin beschäftigt. Auch zu Uli Hoeness versucht die CSU verzweifelt Abstand zu gewinnen. Der Bayern-München-Präsident, der mit Hilfe eines Schweizer Kontos in grossem Stil Steuern hinterzog und dem deshalb Gefängnis droht, war von der CSU wegen seiner Prominenz und Beliebtheit in der Bevölkerung lange Zeit hofiert worden. Vor einigen Jahren hatten die CSU-­Politiker Hoeness sogar ein Landtagsmandat angeboten. Jetzt sind sie froh, dass Hoeness damals absagte.

Negativschlagzeilen kommen nicht nur wegen der Bundestagswahl ungelegen: Eine Woche zuvor wählen die Bayern ein neues Landesparlament. CSU-Chef Horst Seehofer will deshalb die Affären so schnell wie möglich beenden: Schmid spielt politisch keine Rolle mehr, und zu Uli Hoeness werden nach Möglichkeit alle Kontakte eingestellt.

Während die Union sich zurückhält und auf die Aura von Kanzlerin Merkel setzt, bemüht sich die SPD krampfhaft um öffentliche Aufmerksamkeit, allerdings um positive: Die Partei hat lange genug all die Fettnäpfchen aus dem Weg zu räumen versucht, in die ihr Spitzenkandidat Peer Steinbrück tappte. In jüngster Zeit gelingt ihr das offensichtlich besser. Auf Nachfragen zu wichtigen politischen Themen antwortet Steinbrück neuerdings zurückhaltend mit allgemeinen Floskeln.

Die SPD setzt auf Weichspülen – so gewinnt man keine Wahl.

Doch haben es die SPD-Helfer mit dem Weichspülen vielleicht übertrieben. Steinbrück unterdrückt nun seine provokante Prägnanz, mit der er vor Monaten auffiel und die ihn, trotz aller Peinlichkeiten, doch wenigstens unterscheidbar machte von den Kontrahenten. Jetzt droht er zum Langweiler zu werden. So gewinnt man keinen Wahlkampf. Die Partei dümpelt in den Prognosen zwischen 25 und 27 Prozent.

Von der Schwäche der SPD profitieren die Grünen. Sie schwimmen auf einer Erfolgswelle, obwohl ihnen viele ihrer Themen abhanden gekommen sind: Der Atomausstieg ist beschlossen, die Energiewende kommt, und Angela Merkel inszeniert sich als «Klimakanzlerin». Die Grünen interpretieren das so, dass sie sich mit ihren Positionen durchgesetzt haben. Sie fühlen sich so stark, dass sie es sogar wagen, mit dem Thema Steuer­erhöhungen um Wähler zu werben. Erstaunlich genug halten sie sich in den Umfragen bei bislang auf Bundesebene noch nie erreichten 15 Prozent. Offensichtlich haben die Grünen ihre Klientel, die gut situierte ökobewusste Mittelschicht, von der Notwendigkeit höherer Staats­einnah­men überzeugen können – obwohl diese davon nicht unberührt bliebe. Dazu gewinnt sie neue Wähler links der Mitte, die sich weder bei der SPD noch bei der Linken heimisch fühlen.

Steilvorlage für die FDP

Die Forderung nach höheren Steuern ist eine Steilvorlage für die FDP. Deren Spitzen warnten kürzlich am FDP-Parteitag vor dem «drohenden Sozialismus» und brandmarkten Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin als Dracula, der dem Mittelstand das Blut aussauge.

Die FDP inszeniert sich als Steuer­erhöhungs-Verhinderungspartei, vergisst dabei aber, dass das eher wie ein Rückzugsgefecht wirkt. Bei der Wahl 2009 hatte die FDP mit der Forderung nach Steuersenkungen ihr Traumergebnis von 14 Prozent erzielt. Von dieser Forderung ist nicht mehr die Rede, die Prognosen sehen die Liberalen bei vier bis fünf Prozent. Ob sie die Fünf-Prozent-Hürde überspringen werden, hängt auch vom Erfolg der neuen AfD ab, diese sucht ihre Anhänger auch bei den Liberalen. In Hessen ist der erste FDP-Landtagsabgeordnete schon zu den Euro-Rebellen übergelaufen.

Bleibt noch die Linke. Mit ihren inhaltlichen Positionen steht sie im Bundestag am Rande. Und doch wird sie womöglich das Zünglein an der Waage spielen: Sie liegt in den Umfragen stabil bei sechs bis sieben Prozent und würde damit vermutlich die beiden klassischen Koalitionen Schwarz-Gelb und Rot-Grün verhindern – selbst wenn Piraten und AfD nur wenige Stimmen von den etablierten Parteien abziehen. Möglicherweise kommt es im deutschen Herbst zu ganz neuen Farbspielen bei der Regierungsbildung.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.05.13

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