Ueli Pfister kann im abgelegenen Tecknau nur überleben, weil er einen besseren Service anbietet als die Bahn. Doch jetzt wollen die SBB der privaten Konkurrenz den Geldhahn zudrehen.
«Verhungern lassen»: So sagen Bähnler, wenn sie einen verspäteten Zug von allen pünktlichen Zügen überholen lassen, um einen Dominoeffekt zu verhindern. «Verhungern» lassen jetzt die SBB aber auch die privaten Stationshalter. Deren Provision für den Verkauf eines Generalabonnements (GA) streicht die Bahn auf 50 Franken zusammen. Damit verdienen die privaten Billett-Verkäufer bei einem 2.-Klasse-GA auf einen Schlag 83 Prozent weniger Provision. Das geht nicht nur an die Substanz, das geht an die Existenz.
Ueli Pfister, seit zwanzig Jahren privater Stationshalter in Tecknau, legt die Zahlen seines Verkehrsladens offen: Etwas mehr als die Hälfte des Umsatzes von zwei Millionen Franken macht er mit dem Verkauf von Generalabonnementen. «Wir wissen noch nicht, wie wir mit den Brosamen, die uns die SBB noch als Provision für die GA lassen wollen, überleben können», sagt er. Wir – das sind Pfister und die beiden Angestellten Lena Bringold und Fabienne Moser.
Noch ein Jahr Gnadenfrist
Zusammen mit acht anderen Stationshaltern wehrte sich Pfister in der Interessengemeinschaft Stationshalter vergeblich. Die SBB rückten von den 50 Franken nicht ab. Einzig für den Verkauf von Billetten boten sie eine Provision von zehn statt neun Prozent mehr an. Und so platzte die letzte Verhandlungsrunde. «Das einzige, was wir erreicht haben, ist ein Jahr Gnadenfrist», sagt Verhandlungsleiter Jakob Büchler, St. Galler CVP-Nationalrat, ernüchtert. Die Verträge mit den Privaten kündigen die SBB auf Ende 2012 statt schon auf Dezember 2011.
Und so ist die häufigste Frage, die Pfister und sein Team beantworten müssen: «Wie lange seid ihr noch da?» Denn schon heute kann der Verkehrsladen nur überleben, weil er einen besseren Service anbietet als die Bahnschalter und so Kunden aus der ganzen Schweiz nach Tecknau lockt. «Bei uns misst kein Betriebsökonom hinter dem Rücken mit der Stoppuhr, wie viel Zeit wir pro Kunde benötigen», sagt Pfister. Er profitiert davon, wenn wieder einmal wie vor Jahren ein SBB-internes Papier an ihre Angestellten publik wird: «Der Kunde soll meinen, er sei König. Sie sollen in jeder Situation entscheiden, wie viel Beratung, Service und Zeit Sie einem Kunden widmen können.» Der wahre König heisst inzwischen längst Umsatz.
Frustrierte Kunden
Doch wie kann sich der Verkehrsladen überhaupt abheben? «Bei uns heisst es nicht: Billett ausdrucken, einkassieren und tschüss. Viele Kunden informieren sich heute vorher im Internet, doch häufig finden wir eine bessere Verbindung, ein günstigeres Billett oder haben einen Tipp auf Lager», sagt Pfister. Oft sind es auch kleine Dinge.
So erfahren Frankreich-Reisende, mit welcher Metro sie von einem zum anderen Pariser Bahnhof fahren und wo sie das Billett lösen müssen. Wer eine Fahrkarte ins Glarnerland löst, wird vom Verkaufsteam darauf hingewiesen, dass er im Hauptbahnhof Zürich unbedingt die hintere Unterführung beim Sihlquai benutzen muss für den weiten Weg zu Gleis 53. Und wer in einer Stadt übernachtet, erfährt, dass er besser fährt, wenn er für Bus und Tram eine 24-Stundenkarte kauft statt ein City Ticket. «Wer vorinformiert unterwegs ist, reist besser», so Pfister.
Immer wieder laden Kunden im Verkehrsladen aber auch ihren Frust über die SBB ab. Am heftigsten reagierten Reisende, wenn die Bahn bei einer Panne nicht informiere und die Wartenden an den selbstbedienten Bahnhöfen nicht einmal mit SBB-Personal Kontakt aufnehmen könnten. «Es gab eine Zeit, da schämte ich mich für die SBB. Inzwischen versuchen wir uns abzugrenzen», sagt Pfister.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11