Die Kraft der Kurve: Fans solidarisieren sich nach Tod eines Zuschauers

Mainz verliert gegen Dortmund 2:0. Doch der Tod eines 79-jährigen Zuschauers überschattet das Spiel. Die Fans trauern gemeinsam – erst mit Stille, dann mit dem Anstimmen von «You’ll never walk alone».

epa05209821 Dortmund's Marco Reus (L) and Julian Baumgartlinger from Mainz vie for the ball during the German Bundesliga soccer match between Borussia Dortmunand FSV Mainz 05 in Signal Iduna Park in Dortmund, Germany, 13 March 2016. ..(EMBARGO CONDITIONS - ATTENTION - Due to the accreditation guidelines, the DFL only permits the publication and utilisation of up to 15 pictures per match on the internet and in online media during the match)

(Bild: EPA/BERND THISSEN)

Mainz verliert gegen Dortmund 2:0. Doch der Tod eines 79-jährigen Zuschauers überschattet das Spiel. Die Fans trauern gemeinsam – erst mit Stille, dann mit dem Anstimmen von «You’ll never walk alone».

Manchmal illustrieren einfache Worte ein komplexes Phänomen viel treffender als irgendwelche verflochtenen Erläuterungen. «Das hat so ein Miteinander gegeben, die einzigen, die gegeneinander gekämpft haben, waren die 22 auf dem Platz, alle anderen waren eine Einheit», beschrieb der Mainzer Fussball-Trainer Martin Schmidt die denkwürdigen Vorgänge während eines ziemlich seltsamen Fussballspiels.

Am Ende hatten Schmidts Mainzer beim BVB mit 2:0 verloren, aber das Ergebnis stand da längst nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Ein 79-jähriger Dortmunder Anhänger hatte während der Partie einen Herzinfarkt erlitten, er konnte nicht gerettet werden. Und als sich diese traurige Nachricht unter den Zuschauern verbreitet hatte, wurde es ganz still im sonst so stimmungsvollen Stadion.

Auch die Gästefans aus Mainz schlossen sich der stillen Trauer an, plötzlich waren die Rufe der Spieler und die Anweisungen der Trainer zu hören. Und irgendwann begannen die Zuschauer «You’ll never walk alone» zu singen. Dieser wohl berühmteste Song der Fussballgeschichte, der in den 1940er-Jahren für das kitschige Musical «Carousel» geschrieben wurde und knapp 20 Jahre später als Popversion der Liverpooler Band «Gary and the Pacemakers» in den Charts auftauchte, hat die Kraft grosse Gefühle anzusprechen.

 

Es ist ein grandioses Kunstwerk der Hoffnung, des Gemeinschaftsgefühls, der Empathie und der Melancholie, kein Fussballsong kann mehr Trost spenden. Das passte perfekt und war auch eine Art Erleichterung, denn während ihres Schweigens hatten die Fans auf den Rängen merklich unter der verwirrenden Situation gelitten.

Und so wurden die 80’000 im Stadion für ihr Verhalten von allen Seiten mit Lob überschüttet. «Ich fand die Reaktion der Zuschauer, ausgehend von der Südtribüne, sehr, sehr angemessen und respektvoll», sagte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. «Ich muss sagen, was die Fans da zum Ausdruck gebracht haben und wie sie es getan haben, wie sie die Würde eines Menschen und den Respekt und die Trauer zelebriert haben, habe ich so noch nicht erlebt, das ist beispielhaft».

Football Soccer - Borussia Dortmund v FSV Mainz 05 - German Bundesliga - Signal Iduna Park , Dortmund, 13/03/16 Supporters of Borussia Dortmund hold on their scarves after a supporter died during the match in the stadiumREUTERS/Ina Fassbender DFL RULES TO LIMIT THE ONLINE USAGE DURING MATCH TIME TO 15 PICTURES PER GAME. IMAGE SEQUENCES TO SIMULATE VIDEO IS NOT ALLOWED AT ANY TIME. FOR FURTHER QUERIES PLEASE CONTACT DFL DIRECTLY AT + 49 69 650050

Bemerkenswert ist die Reaktion des Publikums auch deshalb, weil ja jeder an die Kanäle der Informationsgesellschaft angeschlossene Bürger täglich mit zahllosen Schreckensnachrichten konfrontiert wird, die ebenfalls Anlass für Trauer, Betroffenheit und Mitgefühl sein könnten. Dass nun der tödliche Herzinfarkt eines 79-Jährigen eine derart intensive Reaktion auslöste, zeigt eindrucksvoll, wie verbunden die Menschen in einem Stadion sich in ihrer Liebe zum Fussball fühlen. Schmidt sprach von einer «bemerkenswerten Solidarität».

 

Die Spieler bekamen von den Vorkommnissen derweil zunächst nur verwirrende Fragmente mit. Er sei «irritiert» gewesen, als die Fans auf der Südtribüne nach knapp einer Stunde Spielzeit ihre Transparente einrollten und den Support einstellten, erzählte Marco Reus. Und Mats Hummels fühlte sich an das Länderspiel gegen Frankreich im vergangenen November erinnert. Am selben Abend ereigneten sich die Terroranschläge von Paris,

Vor dem Hintergrund dieses Erlebnisses befürchtete der Dortmunder Kapitän letzten Sonntag ein neues schreckliches Ereignis im Weltgeschehen. «Wir haben uns während des Spiels kurz ausgetauscht, was sein könnte, haben aber vermutet, dass etwas passiert sein muss, weil diese Stimmung ja so nicht alltäglich ist», erzählte Hummels. «Ich habe das bisher nur in Paris so erlebt, da waren heute grosse Parallelen in der Atmosphäre im Stadion.»

Football Soccer - Borussia Dortmund v FSV Mainz 05 - German Bundesliga - Signal Iduna Park , Dortmund, 13/03/16 The team of Borussia Dortmund commemorates a supporter, who died during the match in the stadium DFL RULES TO LIMIT THE ONLINE USAGE DURING MATCH TIME TO 15 PICTURES PER GAME. IMAGE SEQUENCES TO SIMULATE VIDEO IS NOT ALLOWED AT ANY TIME. FOR FURTHER QUERIES PLEASE CONTACT DFL DIRECTLY AT + 49 69 650050

Es war eine bizarre Situation: Fast alle Anwesenden wussten dank der sozialen Medien oder durch die Berichte eines Sitznachbars Bescheid, nur die Profis unten auf dem Platz mussten sich auf ihre Arbeit konzentrieren, was nach einer sehenswerten ersten Halbzeit nicht mehr besonders gut funktionierte. Es habe sich «eine Lethargie über das Spiel gelegt», sagte der Mainzer Trainer Schmidt.

Und am Ende stand die Dortmunder Mannschaft Arm in Arm vor der singenden Südtribüne und trauerte mit. «Das hat alle bedrückt, das hat man auch gesehen, als wir dort standen», sagte Hummels, der sich mit ein bisschen Abstand aber ganz sicher wieder freuen kann über einen verdienten Sieg und eine insgesamt mal wieder beeindruckende Leistung seines Teams.

(Bild: Screenshot rotblauapp.ch)

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