Gundeli, Matthäus, St. Johann, die drei Portale für Zuwanderer bringen die Stadt an neue Grenzen. Für die Stadtentwickler steht das Gundeli derzeit zuoberst auf der Traktandenliste. Dieses Quartier heisst nach wie vor die meisten Auswärtigen in Basel willkommen.
Als ich das erste Mal nach Basel zog, waren mir die unterschiedlichen Quartiere noch kaum ein Begriff; ich kam aus Sissach, war mir die Ruhe und die Beschaulichkeit der ländlichen Umgebung gewohnt. Ich war 22 Jahre alt, studierte noch und zog mit der damaligen Freundin in eine günstige Zweizimmerwohnung im Gellert-Quartier. Viel Grün, viel Ruhe, viele alte Menschen.
Obwohl ich neu in der Stadt war, fühlte ich mich nicht wie ein Zuzüger. Warum auch? Basel war schon immer ein Lebensmittelpunkt, jetzt waren nur die Wege kürzer, die Ruhe war wie auf dem Land. Das Quartier war langweilig und ähnelte dem Dorf mehr, als ich mir damals eingestand, aber was kümmerte es mich: Die Wege waren kurz.
Die TagesWoche beleuchtet die nach Zuwanderungsstatistik dynamischsten drei Basler Quartiere separat.
Dazu haben unsere Quartierblogger das Gundeli, das Matthäus-Quartier und das St. Johann auf ihre Seele hin geprüft – schliesslich sind sie die Experten für das Leben vor der Haustüre. Die Resultate finden Sie in den drei Reports aus den Quartieren.
Lesen Sie:
- Leitartikel: Die Kraft der neuen Bevölkerung
Das Gundeli: Die kleine Stadt hinter den Gleisen - St. Johann: Der rote Faden im Flickwerk
- Matthäus: Das Chaos eines Weltstadtquartiers
- Das Dossier: «Mensch & Stadt»
Wie sehr ich ein Zuzüger war, erkannte ich beim zweiten Mal stadtwärts ziehen. Ich hatte zwischenzeitlich wieder auf dem Land gewohnt und gearbeitet, dort, wo ich aufgewachsen war, und landete nun wieder in der Stadt. Dieses Mal aber im Gundeli, in der Kleinstadt hinter den Gleisen, und es war, als ob ich das erste Mal in diese Stadt kam. Ich war nur ein weiterer dieser vielen Zuzüger, die sich dieses Quartier als erste Station in Basel auswählen, vor fünf Jahren wie heute.
Irgendwann landen alle hier
Seien es Baselbieter, Aargauer, Deutsche, Tamilen, Türken. Irgendwann landen wir alle hier. Denn wir brauchen am Anfang alle dasselbe. Eine günstige Wohnung, den öffentlichen Verkehr, wollen Nähe zum neuen Arbeitsort und am Leben teilnehmen, das sich vor der Haustüre abspielt.
Deshalb also der Entscheid fürs Gundeli und das in guter Gesellschaft. Hier, wo auch der Kanton festhält, dass vor allem jüngere, berufstätige Menschen wohnen, die die Vorzüge zwischen Bahnhof und Bruderholz schätzen, kulturell durchmischt. So war das Gundeli auch 2014 das beliebteste Quartier für Zuzüger von ausserhalb Basel-Stadt, knapp vor dem Matthäus-Quartier und dem St. Johann.
Ein Quartier wie eine Kleinstadt: Das Gundeli hat viel von seinem Charakter allein schon durch seine Lage hinter den Bahngleisen. (Bild: Basile Bornand)
Und genau hier setzt der Kanton seinen Schwerpunkt in der Stadtteilentwicklung. «Gundeli Plus» heisst das Konzept und setzt auf die Ausgestaltung von Grün- und Freiraum, die Bahnhof- und Dreispitzentwicklung sowie Stadtteilrichtplan. Es begegnet damit dem Hauptproblem der wachsenden Stadt: Dass sich zu viele Menschen auf den Füssen herumstehen und sich die Wohnungen streitig machen.
Das Gundeli zeigt auch exemplarisch, wo die Konfliktlinien liegen. Kaum irgendwo ist die Bevölkerung gegenüber der eigenen Stadt streitbarer und debattierfreudiger. Die gut organisierte und vernetzte Quartierlobby kippte nicht nur ein vom Kanton verordnetes Verkehrskonzept, sie hat sich auch eine gewichtige Mitsprache bei allen weiteren Entwicklungen erkämpft. Wer in diesem Quartier mit den zähen Verhandlungspartnern Erfolge erzielt, der kann das dabei Gelernte auch anderswo als Erfolgsrezept einsetzen.
Denn insgesamt wächst Basel nicht nur im Gundeli, sondern überall. Die Stadt gilt immer noch als attraktiv, sagt Roland Frank, Leiter der Fachstelle Stadtteilentwicklung, und weist darauf hin: «Die leichte Verschiebung der Herkunftsgruppen zeigt auch die internationale wirtschaftliche Dynamik in einer Zeit sich rasch wandelnder Verhältnisse, die sich schnell in solchen Veränderungen niederschlagen kann.» Will heissen: Ausländische, oft hochqualifizierte Arbeitskräfte sind gefragt – und sie folgen dem Ruf.
Der Kanton begegnet der Entwicklung mit Gesetzen wie dem Wohnraumfördergesetz und dem Gesetz über die Nutzung des öffentlichen Raumes. Beide sind umstritten; so brandmarkt der Mieterverband Basel das Wohnraumgesetz als Papiertiger, der der Spekulation und damit der Verteuerung von Wohnraum zu viel Raum lässt.
Beispielhaft dichtes Matthäus-Quartier
Auch das Gesetz zur Nutzung des öffentlichen Raums führte zu heissen Debatten und erst diesen Frühling wurde das so genannte Clubsterben zum Politikum. Die Gesetzgebung nehme einer kreativen und mutigen Musikclubszene die Luft zum Atmen; im Dschungel aus Paragrafen würden nur wenige das Risiko eingehen wollen, einen Unterhaltungsbetrieb zu führen. Es sind Debatten über die Lebensqualität, über die Sicherheit und letztlich darüber, wie die Stadt mit ihrer Bevölkerung umgeht, die mehr und mehr will.
Der Erasmusplatz, eine Perle im Kleinbasel. (Bild: Basile Bornand)
Und diese Bevölkerung strömt unablässig hierher. Deren grösste Drehscheiben bleiben die drei Quartiere: Das Gundeli, das Matthäus-Quartier im Kleinbasel und das St. Johann, das Zuhause des Novartis-Campus. Alle drei gehören zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Stadt, wie Stadtentwickler Frank sagt, und alle drei würden sich nach wie vor grosser Beliebtheit erfreuen, was aus Sicht der Stadt «erfreulich» sei.
Von den dreien zeigt gerade das Matthäus, wie ein Miteinander funktionieren kann und das nicht von ungefähr: Das Quartier rund um die Klybeck- und Feldbergstrasse gehört zu den am dichtesten besiedelten der Schweiz. Die Bevölkerung organisiert hier selbst einen Matthäus-Markt, der von der ganzen Stadt frequentiert wird, hier reihen sich muslimische Teehäuser an hippe Speiserestaurants und trotzdem: «Menschen, die seit Generationen hier wohnen, können sich gewisse Dinge einfach nicht mehr leisten, allem voran den Wohnraum.» Das sagt Heike Oldörp vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel, die Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Kanton.
Diese Aufwertung und damit das Schreckgespenst der «Gentrifizierung»: Es droht immer irgendwo bei kantonalen Eingriffen, und es ist letztlich die Angst vor der Verdrängung ärmerer Einkommensschichten durch Gutverdienende. Dennoch sagt Oldörp: «Seit mehreren Jahrzehnten herrscht hier Aufbruchstimmung, und trotzdem haben wir noch immer ein bunt gemischtes Quartier.» Wer im Matthäus von auswärts angekommen ist, der zieht oft auch weiter – aber nicht nur irgendwohin in die Schweiz, sondern vor allem innerhalb der Stadt selbst. So ist das Quartier eines der grössten Portale für die künftige Durchmischung der Stadt. Eine Durchmischung, wie sie jetzt schon im Quartier selbst stattfindet.
Handlungsbedarf im Flickenteppich St. Johann
Diese Entwicklung zeichnet sich im St. Johann nur zögerlich ab; das Quartier, das sich vom Grossbasler Rheinbord bis zur gutbürgerlichen Wohngegend erstreckt, ist noch ein städtebaulicher Flickenteppich. Es sei eine «sterile Umgestaltung», die der Kanton aufgenommen hat, schreibt TagesWoche-Blogger Michel Schultheiss. Die Fluktuation in den Läden ist hoch und selbst die Elsässerstrasse als Lebensader weise noch «deutlichen Handlungsbedarf auf», wie die Betriebsleiterinnen des Stadtteilsekretariats Basel West sagen.
Im Vordergrund der Novartis Campus im St. Johann. Im Hintergrund der Euro-Airport. (Bild: Erich Meyer)
Das ist der Beliebtheit des Quartiers aber nicht abträglich. Denn das St. Johann weist «einen Umzugsgewinn auf, der auf einen Einzugsüberschuss der Schweizer Bevölkerung zurückzuführen ist», sagt Stadtentwickler Frank. Dies zeige, dass das Quartier weiter an Lebensqualität gewonnen habe, und bestätige damit auch die Ergebnisse, welche die 2012 durchgeführte Befragung der Bevölkerung im Voltagebiet aufgezeigt hatte.
Doch letztlich ist das St. Johann derzeit vor allem «die Schweiz zum Kennenlernen». Wie aus der Zuwanderungsstatistik hervorgeht, zogen 2014 648 Personen aus Europa ins St. Johann. Gleichzeitig zogen aber auch 343 Personen wieder weg – knapp die Hälfte der Neuankömmlinge. Und wiederum rund die Hälfte davon zog es nach Deutschland.
Sind die drei Quartiere das Hauptportal nach Basel, so sind sie auch der Ort, wo das neue Basel keimt. Hier lernt der Zuzüger im Stossverkehr zwischen Tramschienen und Seitenspiegeln die normative Kraft des Basler Alltags kennen, hier frequentiert er aber auch das Restaurant für den gepflegten Junggebliebenen. Und hier beginnt er, die Wirtschaftskraft der alten Stadt am Rheinknie zu prägen, ob er aus dem Baselbiet kommt, aus Europa oder aus Asien. Ob er «Bebbi-Segg» einsammelt, einen Club auf die Beine stellt oder seinen Unterhalt mit dem Schreiben von Artikeln verdient.
Die Kraft der Bevölkerung
Die Herausforderung liegt darin, das Leben in den Portalen wachsen zu lassen, jenseits von Regulierung und Konzepten. Und da bildet vielleicht das Matthäus-Quartier eher das Vorbild als das Gundeli: Das Miteinander der Ankömmlinge und die Aufwertung in Balance zu halten. Wobei das Gundeli stets aufs Neue zeigt, wie Aufwertungspläne des Kantons am erfolgreichen Widerstand der Bevölkerung scheitern.
Und überhaupt – nichts gegen das wunderschöne und beschauliche Gellert. Vielleicht ziehe ich ja irgendwann wieder dorthin – zusammen mit dem Rest derer, für die das Leben in den Eingangsportalen zur Stadt zu hektisch und zu verbaut geworden ist.