Europa ist in Gefahr. Eine neue Katastrophe drohe, Schuld daran seien die Marktfetischisten und Nationalisten, lautete am Samstag die Botschaft der SP und ihres Friedenskongresses im Basler Münster. Ein Anlass mit einer grossen Geschichte.
Es war das grosse Treffen der vereinten Linken aus ganz Europa. Und der letzte, gewichtige Versuch die Katastrophe des 1. Weltkrieges zu verhindern: der Friedenskongress vom 24. November 1912 in Basel mit dem Friedensmarsch von der Kaserne auf den Münsterplatz und den Reden im Basler Münster als Höhepunkt.
Auf den Tag genau 100 Jahre danach traf man sich am Samstag auf Einladung der SP am gleichen Ort. Und wieder war die Gewalt, der Krieg das drängende Thema.
Europa ist wieder in Gefahr
Die wahrscheinlich eindrücklichste Rede des Gedenkanlasses hielt der ehemalige Deutsche Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Erhard Eppler, der selbst schon in einem Krieg gekämpft hat … kämpfen musste, als junger Soldat im 2. Weltkrieg. «Wer so etwas überlebt hat, wird seinem Gott jeden Tag dafür danken, dass sich die Nationen Europas in der Europäischen Union zusammengefunden haben», sagte er. Gleichzeitig wies der 86-jährige SPD-Politiker darauf hin, dass der Friede in der EU gefährdet sei. «Wie es in diesen Tagen im Süden brodelt, muss uns zu denken geben», sagte er in seiner Rede.
Im Gegensatz zur Zeit vor hundert Jahren seien heute aber nicht mehr die «allzu starken und autoritären Staaten» die grosse Gefahr. Sondern «die schwachen, zerfallenden, die ihr Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen können.»
Der Grund für den Zerfall scheint für Eppler ebenfalls klar: Die «Hegemonie des marktradikalen Denkens», der zerstörerische Wettbebwerb unter den Ländern und die wachsende Kluft zwischen «mausarm und steinreich». Alles Probleme, auf die wir in unserer TagesWoche-Titelgeschichte zum Basler Friedenskongress (Heft Nummer 46) aufmerksam gemacht haben.
Die Folgen könnten schlimm sein, befürchtet Eppler: «Ich zweifle, ob Europa weiterhin lebens- und friedensfähig ist, wenn die Regierungschefs der einzelnen Nationalstaaten alles tun, um ihren Wählerinnen und Wählern berichten zu können, wie wenig sie für dieses Europa bezahlen mussten und wie viel sie in Brüssel für die eigene Nation herausgeschlagen haben.»
Dabei wäre die Lösung doch so einfach, zumindest nach Eppler: mehr Solidarität unter den Menschen und ihren Ländern, mehr Respekt für die ärmeren Menschen und Länder, mehr Mitsprache für alle. Dafür würden sich die Sozialdemokraten einsetzen, sagte er. Darum seien sie auch heute noch eine wichtige Friedenskraft, folgerte der SPD-Mann nicht ganz überraschend.
Schweiz soll aktiver werden
Eine aktivere Rolle bei diesem gesamteuropäischen, wenn nicht sogar weltweiten Projekt sollte auch die Schweiz spielen. Das jedenfalls sagte die Basler SP-Regierungsrätin Eva Herzog in ihrer Münsterrede: «Wir könnten einen wichtigen Beitrag zur Lösung der vielfältigen Probleme Europas leisten, weil unser förderalistische System ein Erfolgsmodell ist.»
Es waren wohl durchdachte Reden, die Eppler und Herzog da hielten, vornehm im Auftritt und magistral im Duktus.
So lag es schliesslich an SP-Präsident Christian Levrat, die Botschaft in griffige Parolen zu übersetzen: Nieder mit den Marktfetischisten und den Nationalisten! Schluss mit der blindwütigen Sparpolitik! Zurück zur internationalen Solidarität!
Das wiederum waren Worte, die in den vergangenen hundert Jahren wahrscheinlich kaum mehr zu hören waren im Basler Münster. Gott sei Dank hatte Pfarrer Lukas Kundert seinen Segen allerdings schon zu Beginn der Veranstaltung gegeben. Wenn es um den Frieden gehe, dann hätten die Kirche und die SP das genau gleiche Ziel, sagte er.
Friede. Freiheit. Gleichheit. Davon träumt auch die tunesische Menschenrechtsanwältin und Frauenrechtlerin Bochra Bel Haj Hmida. Auch nach den vielen Enttäuschungen und Rückschlägen, die auf den arabischen Frühling folgten. Und trotz der Anfeindungen und Drohungen, mit denen sie leben muss, wollte sie mit ihrer Rede nicht nur Bedenken verbreiten, sondern vor allem auch Hoffnung machen: «Weil die Entwicklung in Tunesien, weil mehr Freiheit so wichtig wäre für die ganze Region.»