Die Löcher im Zaun führen in eine Sackgasse

Die Balkanroute ist nicht geschlossen, aber unterbrochen. Die ungarische Polizei misshandelt Flüchtlinge und schiebt sie illegal nach Serbien ab. Dort profitieren die Schlepper.

FILE PHOTO: Syrian migrants cross under a fence as they enter Hungary at the border with Serbia, near Roszke, August 27, 2015. REUTERS/Bernadett Szabo/File photo TPX IMAGES OF THE DAY

(Bild: © Reuters/Bernadett Szabo)

Die Balkanroute ist nicht geschlossen, aber unterbrochen. Die ungarische Polizei misshandelt Flüchtlinge und schiebt sie illegal nach Serbien ab. Dort profitieren die Schlepper.

Der Park neben dem Belgrader Busbahnhof ist ein Indikator für das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik und der Beweis dafür, dass die Balkanroute keineswegs geschlossen ist. Hier sitzen dieser Tage Dutzende Flüchtlinge im Schatten und vertreiben sich die Zeit mit Gesprächen und ihren Smartphones. Bei Temperaturen über 30 Grad beginnen die herumliegenden Essensreste schnell zu stinken. Die sanitäre und medizinische Versorgung ist schlecht. Viele der Menschen konnten seit Tagen nicht duschen. Freiwillige Helfer verteilen Essen und Getränke. Geduldig warten die Flüchtlinge, bis sie an der Reihe sind. 

Diese Zustände sind das Ergebnis von «Löchern in den Zäunen», wie die Belgrader zu sagen pflegen. Die meisten Flüchtlinge hier sind mithilfe von Schleppern über Mazedonien eingereist. Allein seit Jahresbeginn wurden mehr als 100’000 Flüchtlinge in Serbien registriert. Das sind deutlich weniger als im Sommer und Herbst vergangenen Jahres. Aber von einer geschlossenen Balkanroute, wie es die EU behauptet, kann keine Rede sein. Allerdings macht Ungarn die Route zur Sackgasse. 

Inzwischen tummeln sich im Park auch Personen, die aus dem Nachbarland zurückgeschickt worden sind. Am 5. Juli verabschiedete die Regierung in Budapest ein Gesetz, das sogenannte Push-Backs ermöglicht. Flüchtlinge, die nahe der Grenze aufgegriffen werden, können demzufolge nach Serbien abgeschoben werden. Diese Personen gelten als nicht eingereist, weil die ungarische Regierung einen acht Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze als Transitzone definiert. Inzwischen befinden sich mehr als 1000 Menschen in dieser Transitzone an der serbisch-ungarischen Grenze. 

 Experten halten ungarische Praxis für rechtswidrig

Maximilian Pichl, juristischer Mitarbeiter bei der deutschen Menschenrechtsorganisation ProAsyl, hält diese Praxis für rechtswidrig: «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied schon 2012, dass Push-Back-Aktionen illegal sind. Wenn der ungarische Staat effektive Kontrolle über Flüchtlinge ausübt, weil sie von ungarischen Polizisten aufgegriffen werden, müssen die Menschen die Möglichkeit auf Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben», sagt er. «Alles andere verstösst gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention.» Ausserdem wundert sich Pichl über die Transitzone: «Ungarn kann nicht einfach ein rechtliches Niemandsland ausrufen und dann behaupten, dort gelten die Menschenrechte nicht mehr.» 

Die Menschen im Belgrader Park berichten darüber hinaus von weiteren Menschenrechtsverletzungen durch die ungarischen Behörden. Ein junger Pakistaner zeigt auf sein verbundenes Bein und sagt in einfachem Englisch: «Ungarische Polizei, böse!» Er ruft auf dem Smartphone Google Maps auf und zeigt auf einen Ort mitten in Ungarn. Dort habe die Polizei ihn aufgegriffen, verprügelt und ausgeschafft. Erst in Serbien habe er medizinische Betreuung erhalten.



FILE PHOTO: Hungarian policemen detain a Syrian migrant family after they entered Hungary at the border with Serbia, near Roszke, August 28, 2015. REUTERS/Bernadett Szabo/File photo

Die ungarische Polizei geht mit illegal Eingereisten unzimperlich um. (Bild: © Reuters/Bernadett Szabo)

Flüchtlingshelfer berichten, dass sich solche Misshandlungen und Abschiebungen mehren. Die ungarische Polizei hält sich demnach nicht an die eigenen Gesetze und schiebt auch Personen ab, die sich bereits weit ausserhalb der definierten Transitzone befinden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hält diese Misshandlungen in einem Bericht fest und lässt die Flüchtlinge zu Wort kommen. Die ungarische Polizei habe auch Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt

Ungarn weist Vorwürfe zurück

Lajos Kosa, der Chef der ungarischen Regierungspartei Fidesz weist die Vorwürfe zurück. «Human Rights Watch ist eine voreingenommene Organisation und ein absoluter Befürworter der Zuwanderung.» Darüber hinaus betonte er: «Ungarn ist beinahe das einzige Land, das alle internationalen Rechtsregeln hinsichtlich der Flüchtlinge einhält.» Eine Einschätzung, die ausserhalb ungarischer Regierungskreise, wohl nur die wenigsten teilen.

Medienvertreter sind in der Transitzone unerwünscht. Eine Gruppe Journalisten die vergangene Woche versuchte, in die Transitzone zu gelangen, wurde umgehend weggeschickt.

Die Belgrader nehmen die Situation in ihrem Park gelassen hin. Hier gibt es keine Hetze und keine grossen Anti-Flüchtlingsdemonstrationen wie in vielen Ländern der EU. Studenten der angrenzenden Wirtschaftsfakultät nutzen ihre Freistunden, um den Menschen im Park zu helfen. Eine von ihnen sagt: «Man kann diese Menschen doch nicht weiter im Park vor sich hin vegetieren lassen.» 

Serbien fordert Ende der Transitzone

Die serbische Regierung fordert ein Ende der ungarischen Transitzone und der schlechten Bedingungen an der Grenze zwischen beiden Ländern. Staatssekretär Nenad Ivanisevic erklärte am Mittwoch, dass Asylanträge künftig direkt in den serbischen Aufnahmezentren gestellt werden können. Auch Ungarn könne seine Büros in den serbischen Lagern einrichten, wenn es dies wünsche. 

Jeden Morgen um 7.00 Uhr werden vereinzelt Menschen über die Grenze gelassen. Aktuell erlaubt Ungarn in der Transitzone an den zwei Übergängen Kelebija-Trompa und Horgos-Röszke aber nur 30 Asylanträge täglich. Laut serbischen Medienberichten sind es sogar nur 15 pro Tag. Etwa hundert Personen werden täglich aus Ungarn nach Serbien abgeschoben. Gleichzeitig harren rund 1200 Menschen an der Grenze aus und warten. Es gibt dort keine Duschen, nur schmutzige Toiletten und wachsende Müllberge. Die Flüchtlinge warten wochenlang in der Hoffnung, dass sich die Grenze für sie öffnet. 

Die meisten sind auf die Hilfe von Schleppern angewiesen. Je schwieriger der Weg, je besser bewacht die Grenzen, umso mehr Geld können diese für ihre Dienstleistung verlangen. Die 23-jährige Rana überlegt, mithilfe eines Schleppers zu ihrer Familie nach Deutschland zu gelangen. «Wo soll ich denn sonst hin? In den Irak kann ich nicht zurück.» Ihren echten Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie befürchtet, ihr Asylantrag könnte dann abgelehnt werden.

Polizei lässt Schlepper gewähren

Obwohl es manchmal zu medienwirksamen Verhaftungen von Schleppern kommt, scheinen sie ihrer Arbeit in Serbien immer noch ungestört nachgehen zu können. Rana spricht mit einem serbischen Mann mittleren Alters und versucht sich mit ihm auf einen Preis für die Fahrt nach Ungarn zu einigen. Das geschieht ganz offen, während Polizisten wenige Meter entfernt stehen. Es scheint, als würde es der serbischen Regierung gut passen, wenn die Schlepper dabei helfen, die Flüchtlinge schnell wieder loszuwerden.

Der Schlepper behauptet, mit den ungarischen Grenzwächtern zusammenzuarbeiten und Rana für einige hundert Euro über die Grenze bringen zu können. Wie sie werden meisten Flüchtlinge hier im Park versuchen, nach Ungarn und weiter nach Österreich und Deutschland zu gelangen.

Es wird dunkel im Park, der heisse Sommertag weicht einer angenehm lauen Nacht. Rund hundert Menschen liegen auf der Wiese und schlafen. Sie haben nicht vor, noch lange hier zu bleiben.

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