Bislang beherrschte die Mafia vor allem den Süden Italiens. Heute betreibt sie ihre illegalen Geschäfte auch in der italienischen Hauptstadt. Von ihr profitieren auch Politiker aus dem Umkreis von Ministerpräsident Matteo Renzi.
Ein Olivenhain am Stadtrand von Rom. Der silberne Smart fährt langsam einen schmalen Weg bergauf. Die Polizisten sind in Alarmbereitschaft, das ist an ihren Stimmen zu hören.
«Er sitzt am Steuer», ruft einer der Beamten nervös. Der getarnte Wagen der Carabinieri schneidet dem Smart den Weg ab, zwei Beamte springen aus dem Auto. Einer zielt mit der Maschinenpistole auf Massimo Carminati.
«Der Blinde» ist sein Name in der römischen Unterwelt. Carminati hat nur noch ein Auge, das andere verlor er einst auf der Flucht durch den Schuss eines Polizisten. «König von Rom» nannte er sich selbst.
Video der Festnahme Massimo Carminatis («Daily Mail», 5.12.2014):
Jetzt steigt der selbsternannte König mit erhobenen Händen aus dem Auto. Der von der Polizei aufgenommene Kurzfilm, der auf den meisten italienischen Nachrichtenportalen zu sehen ist, stammt von vergangener Woche.
Die Festnahme Carminatis ist der bislang grösste Schlag gegen die römische Mafia. Mafia, damit waren in Italien bislang vor allem die Clans in Sizilien, Kampanien und Kalabrien gemeint, die ihre Macht mit Gewalt und der Omertà genannten und von Angst genährten Verschwiegenheit aufrechterhalten.
Die römische Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die okkulten Geschäfte des römischen Verbrecherrings der «Bildung einer mafiösen Vereinigung» im italienischen Strafgesetzbuch entsprechen. Ihr Kopf sei Massimo Carminati, einst Mitglied einer rechtsextremen Terrororganisation sowie der berüchtigten Magliana-Bande. Zehn Jahre sass er in Haft, seit 2008 ist er auf freiem Fuss.
Unter der Decke mit korrupten Politikern
Carminati und Co. ersparten sich die im Süden üblichen archaischen Aufnahmeriten mit der Verbrennung von Heiligenbildchen. Auch spielten Familienbande bei der Hauptstadt-Mafia offenbar keine besondere Rolle. Die Gruppe kontrollierte ihr Territorium durch Androhung von Gewalt und die blosse Präsenz Carminatis, die allein schon Schrecken verbreitete.
«Sie haben Angst vor ihm», wird einer der Verdächtigen aus einem abgehörten Telefonat zitiert. Ihr Ziel, das die Hauptstadt-Mafia offenbar auch jahrelang verwirklichte: Erpressungen, Geldwäsche sowie die Abschöpfung von öffentlichen Aufträgen und Geldern mithilfe von korrupten Politikern.
37 Verdächtige nahmen die Carabinieri letzte Woche fest. 205 Millionen Euro wurden beschlagnahmt. Gegen 76 weitere Verdächtige wird ermittelt, unter ihnen ist auch Roms ehemaliger Bürgermeister Gianni Alemanno. Alemanno war früher selbst ein rechter Schläger. Die seit jeher schlecht verwaltete Hauptstadt regierte er zwischen 2008 und 2013 weiter in den Abgrund, er vergab Posten an korrupte und ehemalige rechtsradikale Gesinnungsgenossen.
Renzis Demokratische Partei verwickelt
Doch der römische Mafia-Skandal ist nicht nur eine Moritat aus der rechtsextremen Halbwelt. Zahlreiche Lokalpolitiker der Demokratischen Partei (PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi sind ebenso involviert. Darunter der Präsident des Stadtrats, ein Referent, der Präsident der Kommission für Transparenz und der ehemalige Kabinettschef von Roms früherem linken Bürgermeister Walter Veltroni.
Ihn sollen Carminati und sein engster Kompagnon Salvatore Buzzi mit monatlich 5000 Euro geschmiert haben. Den Verbrechern gelang es, sich die jeweils herrschende Klasse gefügig zu machen. Die dankte mit Aufträgen und Genehmigungen in Rekordzeit.
«Mafia Capitale» haben die Staatsanwälte ihre Ermittlungen genannt. Das bedeutet so viel wie Hauptstadt-Mafia, steht aber auch für eine Mafia, die sich alles Untertan macht. Und nicht einmal vor dem Geschäft mit dem Elend zurückschreckte. «Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie viel ich mit den Immigranten verdient habe», wird Carminatis Alter Ego Salvatore Buzzi in einem abgehörten Gespräch zitiert. «Mit Drogen verdient man weniger.»
Buzzis Kooperative machte nach aussen den Anschein, sozialen Zwecken zu dienen. Stattdessen schaufelte die als soziale Einrichtung getarnte Firma Millionen.
Lukratives Geschäft mit Flüchtlingslagern
Die römischen Mafiosi verdienten mit der Versorgung von Roma-Lagern am Stadtrand und mit Flüchtlingsunterkünften, für die der Staat 35 Euro pro erwachsenem und 91 Euro pro minderjährigem Flüchtling zahlt. Auch die überfüllten Auffanglager auf Sizilien waren deshalb im Visier der Hauptstadt-Gangster.
Rom ist seit langem eine schlecht funktionierende und mit Milliarden verschuldete Grossstadt. Nach den Enthüllungen wirkt es, als hätten auch noch die Geier im römischen Aas geweidet.
Nun steht die Auflösung des Stadtrats wegen Mafia-Infiltrationen zur Debatte. Nur einer hat bislang vom Mafia-Skandal profitiert. Es ist der amtierende Bürgermeister Ignazio Marino (PD), der vor Wochen noch fast über eine Affäre wegen nicht bezahlter Strafzettel und unglückliche politische Entscheidungen gestolpert wäre. Er fährt mit seinem Fahrrad weiter durch die Stadt, als sei nichts passiert.