Die neue Kapitale soll aus der Wüste wachsen

Die ersten Bagger sind aufgefahren. Ägyptens Präsident Sisi nimmt ein weiteres gigantisches Prestigeprojekt in Angriff, den Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt. Staat und Armee haben die Federführung für eine erste Phase. Die New Capital soll 45 Milliarden Dollar verschlingen. Ökonomen äussern Zweifel am sinnvollen Einsatz dieses Geldes.

So sieht sie im Modell aus, die neue Kapitale Ägyptens.

(Bild: Keystone)

Die ersten Bagger sind aufgefahren. Ägyptens Präsident Sisi nimmt ein weiteres gigantisches Prestigeprojekt in Angriff, den Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt. Staat und Armee haben die Federführung für eine erste Phase. Die New Capital soll 45 Milliarden Dollar verschlingen. Ökonomen äussern Zweifel am sinnvollen Einsatz dieses Geldes.

Was bis jetzt Maquette, Masterplan und Hochglanz-Animation war, nimmt Gestalt an. Von Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt, genannt «The Capital Cairo», ist entlang der Autobahn nach Ain-Suchna eine riesige Baustelle mit Beton-Silos, schwerem Gerät und ersten Metallkonstruktionen zu sehen. Siemens und Orascom bauen gemäss Werbetafel ein Kraftwerk.

Seit einigen Wochen wird laut Wohnbauminister Mustafa Madbouli rund um die Uhr an der Infrastruktur, 210 Kilometern neue Strassen, Tunnels und Brücken gearbeitet. Ein Militärflugplatz soll künftig von den Investoren genützt werden können. Phase eins umfasst 12 Ministerien, eine Reihe anderer Regierungsinstitutionen, ein Konferenzzentrum, 30’000 Wohneinheiten der unteren und mittleren Preisklasse und den grössten Park weltweit – und soll in zwei Jahren fertig gestellt sein.

Gegenentwurf zu Kairo

Das Vorhaben ist gigantisch, die Fläche der neuen Verwaltungshauptstadt doppelt so gross wie das heutige Kairo. Und die New Capital ist alles, was Kairo nicht ist: sauber, grün, umweltfreundlich, verkehrsberuhigt, fussgängerfreundlich und mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen; alles nach höchsten Standards, wie Präsident Abdelfattah al-Sisi kürzlich versicherte. Im Endausbau ist sie auf fünf Millionen Einwohner ausgelegt. In Kairo selbst leben heute schon 20 Millionen.

Die Idee ist nicht neu. Die ersten Entwürfe mit dem Ziel, die Ministerien aus dem verstopften Zentrum an die Peripherie zu verlegen, stammen noch aus der Mubarak-Zeit. Die Neuauflage der New Capital in der Wüste östlich von Kairo hatte an einer internationalen Investorenkonferenz in Sharm el-Sheikh im Frühjahr 2015 Mohammed al-Abbar, ein Immobilien-Tycoon aus Dubai, präsentiert. Er ist heute nicht mehr die treibende Kraft, seine Rolle unklar. Die ägyptische Führung setzt jetzt auf viele Investoren. Ein grösseres Stück des Bauauftrages geht an eine chinesische Staatsfirma. Chinesische Staatsbanken geben zudem günstige Kredite in unbekannter Höhe.

Den Masterplan haben mehrere renommierte ägyptische Professoren erstellt, die bei verschiedenen Firmen arbeiten. Eine Arbeitsgruppe aus dem Verteidigungs- und dem Wohnbauministerium übt heute die Oberaufsicht über das Projekt aus, von dem Madbouli sagt, es sei so bedeutend wie einst der Bau das Nasser-Staudammes. Die Arbeitsgruppe kümmert sich etwa um den Mangel an Beton und Geräten, verursacht durch die Dimension der Baustelle.

Mega-Projekte nicht unumstritten

Präsident Sisi und seine Regierung haben Mega-Projekte als Motoren des wirtschaftlichen Aufschwunges identifiziert; hauptsächlich mit der Begründung, dass nicht alle Probleme auf einmal gelöst werden könnten. In seiner Bilanz zum zweijährigen Amtsjubiläum erklärte der Präsident im Sommer, der Staat manage derzeit acht nationale Projekte, die von rund 1000 Firmen mit zwei Millionen Arbeitern ausgeführt würden. Er bestritt Vorwürfe, die Armee dominiere die Realisierung dieser Projekte. Die Rolle der Militärkräfte sei nur organisatorisch und überwachend, präzisierte Sisi.

Tatsächlich ist die Armee mit ihrer Ingenieur-Abteilung bei vielen Vorhaben dabei, manchmal springt sie ein, wenn Probleme auftauchen oder Stillstand droht. «Die Armee ist wie ein One-Stop-Shop, wenn sie eingreift, sind alle bürokratischen und finanziellen Hürden beseitigt», weiss ein Brancheninsider aus eigener Erfahrung.

Grossprojekte sind nicht unumstritten. Die internationale Beratungsfirma McKinsey hat kürzlich in einer Studie festgestellt, dass weltweit neun von zehn Milliardenprojekten über dem Budget liegen. Als Gründe werden übertriebener Optimismus und hohe Komplexität, mangelhafte  Ausführung und organisatorische Schwächen genannt. Ägypten hat selbst eine Geschichte von gescheiterten Mega-Projekten – darunter insbesondere das gigantische Bewässerungsprojekt Toshka, wo Milliarden in den Sand gesetzt worden sind.

Die von Sisi angestossenen Vorhaben, etwa die prestigeträchtige Erweiterung des Suez-Kanals, haben bis jetzt nichts am schwächelnden Wachstum – aktuell etwa 3,5 Prozent – der ägyptischen Wirtschaft geändert.

Schulden für Generationen

Auch bei der New Capital gibt es Fragezeichen, etwa was den hohen Wasser- und Stromverbrauch in solch grünen Oasen betrifft. Vor allem das Wasser ist extrem knapp. In den letzten Monaten gab es in mehreren Provinzen des Landes eine Krise bei der Wasserversorgung. Die Menschen gingen auf die Strasse, weil Trinkwasser oder Wasser zur Bewässerung in der Landwirtschaft fehlte. Bei all diesen Mega-Projekten bleibt die Frage, ob das Geld dort eingesetzt wird, wo es den meisten Nutzen bringt. So fliesst mindestens 50 Mal mehr Geld in die neuen Städte als in die Sanierung der informellen Wohngebiete, wo mehr als die Hälfte der Ägypter lebt.

Die Schulden der Grossprojekte, die über Jahrzehnte zurückgezahlt werden müssen, sind enorm. Allein das geplante Atomkraftwerk wird mit russischen Krediten in der Höhe von 25 Milliarden Dollar finanziert. Die Begeisterung in der Bevölkerung für die New Capital hält sich deshalb in Grenzen. Skeptiker fragen, ob jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist, und kritisieren die mangelhafte Information.

Es würden die falschen Prioritäten gesetzt, mahnt der renommierte ägyptische Ökonom Ziad Bahaa Eddin. Ägypten steckt mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise. Für Schulen und Spitäler etwa gibt es viel zu wenig Geld. Der Präsident erwähnt in seinen Reden das Prestigeprojekt zwar immer wieder, auf eine medial ausgeschlachtete offizielle Grundsteinlegung mit grossem Pomp hat er bis jetzt allerdings verzichtet.

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