Die Guerilla-Offensive sunnitischer Jihadisten bringt den Irak erneut an die Schwelle eines offenen Bürgerkrieges. Premier Maliki trägt als Oberbefehlshaber der Armee und als Verfechter einer autoritären Politik, die nur nach Sekten-Kriterien ausgerichtet ist, die volle Verantwortung.
Fällt auch Bagdad in die Hände der Krieger des Islamischen Staates im Irak und der Levante (ISIL)? Diese Frage scheint nach den militärischen Blitz-Erfolgen der letzten Tage in der Millionenstadt Mosul und den angrenzen Provinzen gar nicht mehr so absurd. ISIL-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani hat jedenfalls bereits versprochen, die Schlacht würde die Tore der Hauptstadt erreichen und auch vor der heiligen, schiitischen Städte Kerbala und Najaf nicht halt machen. So einfach ist der Durchmarsch von Daesh – wie sie arabisch heisst – allerdings nicht. Irakische Truppen eroberten Tikrit, die Heimatstadt des ermordeten Diktators Saddam Hussein zurück und kurdische Peshmergas brachten die multi-ethnische Öl-Stadt Kirkuk unter ihre Kontrolle.
ISIL hat das erklärte Ziel, in Teilen von Syrien und des Irak ein islamisches Kalifat einzurichten und ist deshalb auch über die für sie nicht existierenden Grenzen hinweg in beiden Ländern aktiv. In den syrischen Kriegswirren hat sie an Stärke zugelegt und mehrere Gebiete im Nordosten unter ihre Kontrolle gebracht. Ihre Wurzeln hat sie in al-Qaida im Irak, deren Anhänger gegen die US-Invasion im Irak 2003 gekämpft hatten.
ISIL verfügt über Tausende Kämpfer. Über ihre Organisation ist allerdings wenig bekannt. Von ihrem Anführer Abu Bakr al-Baghdadi wird vermutet, dass er aus Samarra stammt. Die Guerilla-Armee ist bestens ausgerüstet. Sie verfügt über Raketen und Panzerabwehr-Waffen, die nicht einfach auf dem Schwarzmarkt erhältlich sind und hat jetzt weitere Waffen und modernes Kriegsgerät von den überrannten, irakischen Sicherheitskräften erbeutet. Arabische Beobachter schätzen, dass ISIL monatlich 50 Millionen Dollar aus Steuern, Abgaben, Spenden und Raubzügen einnimmt.
Maliki wollte am Donnerstag den Ausnahmezustand verkünden und diesen Entscheid vom Parlament absegnen lassen. Seine Gegner blieben der Sitzung aber fern und verhinderten damit, dass das Quorum erreicht wurde. Der Vormarsch der Jihadisten wird ohne Zweifel die nationale Krise noch verschärfen.
Maliki hat im Juni zwar die Parlamentswahlen gewonnen. Er hat aber nicht genug Parlamentssitze, um eine Regierung zu bilden. Rivalisierende schiitische Blöcke, der Präsident Kurdistans und sunnitische Führungsfiguren sind vehement gegen eine dritte Amtszeit für Maliki, der zunehmend autoritär und abgehoben agiert, seine ganze Politik auf Sekten-Kriterien abstellt und nicht bereit ist, die tief verwurzelten Ursachen der nationalen Krise mit einer ernst gemeinten Aussöhnung anzugehen.