Mit dem Ukraine-Konflikt tauchte die OSZE dieses Jahr aus der Versenkung auf. Doch die Bilanz ihres Engagements fällt ernüchternd aus.
Seit den jugoslawischen Zerfallskriegen in den 1990er-Jahren hat kein Thema mehr die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) so stark beschäftigt wie der Ukraine-Konflikt im jetzt ablaufenden Jahr der Schweizer OSZE-Präsidentschaft. Aussenminister Didier Burkhalter wird das vielfältige Engagement der OSZE in dem Rechenschaftsbericht auflisten, den er am kommenden Donnerstag in Basel seinen Amtskollegen aus den anderen 56 Teilnehmerstaaten der OSZE vorlegen wird.
Das Ergebnis des vielfältigen OSZE-Engagements im Ukraine-Konflikt ist allerdings dürftig. Die ständige gewaltsame Eskalation des Konflikts mit inwischen rund 4500 Toten und fast einer halben Million Flüchtlingen aus der Ostukraine und der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Krim konnte die OSZE nicht verhindern. Der Anfang September in Minsk unter Vermittlung der OSZE vereinbarte Waffenstillstand für die Ostukraine wurde von den Konfliktparteien ebenso wenig eingehalten wie andere Abmachungen und Zusagen. Selbst ihre Aufgabe der Konfliktbeobachtung konnte die OSZE bisland nur sehr unzureichend erfüllen.
Dürftiges Ergebnis
Gründe für dieses dürftige Ergebnis des OSZE-Engagements sind die schon seit vielen Jahren völlig unzureichenden finanziellen, personellen und logistischen (Transportmittel etc.) Ressourcen, die die 57 Teilnehmerstaaten für die Arbeit der OSZE zur Verfügung stellen; die besonders starke politische Blockade der OSZE in diesem Ukrainekonflikt, da die drei Schwergewichte Russland, die EU-Staaten und die USA zu den Konfliktparteien gehören; und schliesslich der mangelnde Mut der Schweizer OSZE-Präsidentschaft.
Im Februar befassten sich erstmals der «Ständige Rat» der 57 Botschafter in der Wiener OSZE-Zentrale und die «Parlamentarische Versammlung» mit Abgeordneten aus allen Teilnehmerstaaten mit dem Ukraine-Konflikt. Die OSZE-Abteilung für die Führung nationaler Dialoge bei innerstaatlichen Konflikten bot sich der ukrainischen Regierung und der Opposition als Gesprächsvermittler an. Anfang März beschloss der «Ständige Rat» mit der von der OSZE-Satzung vorgeschriebenen Zustimmung aller 57 Teilnehmerstaaten zunächst einmal für sechs Monate die Entsendung von bis zu 500 Konfliktbeobachtern.
Bereits diese Zahl war angesichts der Grösse der zu beobachtenden Konfliktregion viel zu gering. Und da die Teilnehmerstaaten nur sehr zögerlich Personal zur Verfügung stellten, waren bis Juli lediglich 100 Beobachter tatsächlich vor Ort.
Verhaftete «Spione» und ein Imageschaden
Angesichts der Eskalation des Konflikts wurde die Beobachtermission im Oktober zwar bis März 2015 verlängert. Doch nach wie vor befinden sich nur knapp 300 OSZE-Beobachter in der Ukraine. Und ihre Bewegungsfreiheit ist entgegen der gültigen OSZE-Regeln für derartige Missionen sowie ausdrücklicher Zusagen der Konfliktparteien weiterhin erheblich eingeschränkt. Von russisch-stämmigen Bewaffneten völlig verhindert wurde der Zugang der OSZE-Beobachter zur Krim im Vorfeld des mit Hilfe von Soldaten und Waffen aus Russland durchgesetzten Abspaltungsreferendums vom 18. März. Das Referendum fand ohne internationale Beobachter statt. Sein Ergebnis ist allein schon aus diesem Grund völkerrechtlich null und nichtig.
Der deutsche Journalist und Publizist Andreas Zumach (1954) arbeitet auf den Gebieten des Völkerrechts, der Menschenrechtspolitik, der Sicherheitspolitik, der Rüstungskontrolle und internationaler Organisationen. Bekannt wurde er vor allem auch als Kritiker des Dritten Golfkriegs.
Am 5. Dezember sprechen Andreas Zumach und der Historiker Jo Lang über das Thema «Was heisst Friedenssicherung in Europa heute». Die BastA!-Veranstaltung findet im Restaurant zum Rebhaus, Riehentorstrasse 11, 4058 Basel, statt; Beginn der Veranstaltung ist 20 Uhr.
Zusätzlich zu der vom «Ständigen Rat» entsandten Beobachtermission forderte die ukrainische Regierung ab März mehrfach bilateral bei den Regierungen anderer OSZE-Staaten kleine Teams von unbewaffneten Militärbeobachtern an. Grundlage für derartige Anforderungen ist eine OSZE-Vereinbarung über gegenseitige vertrauensbildende Massnahmen von Anfang der 1990er-Jahre. Ende April wurde ein siebenköpfiges Team von Militärbeobachtern aus Deutschland, Polen, Dänemark und der Tschechien zusammen mit ihren fünf ukrainischen Begleitsoldaten von russisch-stämmigen Rebellen in der Ostukraine gefangen genommen.
Wahlen mit Einschränkungen
Zur Beobachtung der Präsidentschaftswahlen vom 26. Mai entsandte das «Büro für demokratische Insitutionen und Menschenrechte» der OSZE Wahlbeobachter, die einen ordnungsgemässen Ablauf dieser Wahl ohne relevante Störungen oder Manipulationen bestätigten. Zu diesem Ergebnis kamen die OSZE-Beobachter auch nach den Parlamentswahlen vom 26. Oktober – allerdings mit der gravierenden Einschränkung, dass die Menschen in den von russisch-stämmigen Aufständischen besetzten Regionen der Ostukraine sowie auf der Krim an diesen Wahlen nicht teilnehmen konnten.
Zu den von den Aufständischen in den besetzten «Volksrepubliken» Donezk und Lugansk durchgeführten Regionalwahlen vom 2. November entsandte die OSZE keine Wahlbeobachter. Denn diese Regionalwahlen wurden unter Verstoss gegen die Minsker Vereinbarung vom 5. September durchgeführt, gemäss der die Wahlen erst am 7. Dezember sowie unter anderen Bedingungen stattfinden sollten.
Zentraler Punkt der Minsker Vereinbarung war die Vereinbarung eines sofortigen Waffenstillstandes zwischen den Rebellen und den ukrainischen Regierungsstreitkräften in den umkämpften Gebieten der Ostukraine. Beide Seiten haben diese Vereinbarung inzwischen völlig zur Makulatur gemacht.
Die OSZE-Hochkommissarin für nationale Minderheiten, Astrid Thors, kritisierte Ende November zum wiederholten Male die Verletzung der Grund- und Menschenrechte der Krimtataren sowie der nicht-russischstämmigen Ukrainer auf der Krim durch die nach der Annexion von Moskau eingesetzten Behörden. Dunja Mijatovic, OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, monierte schon mehrfach den Missbrauch von Presse-Abzeichen im Konflikt in der Ostukraine.
Ein kleiner, aber mutmasslich zu später Erfolg gelang der OSZE in der letzten Novemberwoche. Auf ihre Vermittlung erlaubten die russisch-stämmigen Rebellen niederländischen Ermittlern erstmals den Zugang zu einigen Absturzstellen von Trümmern des malaysischen Passagierflugzeuges, das am 17. Juli über der Ukraine abgeschossen wurde. Allerdings herrscht auch bei der OSZE die Befürchtung, dass alle Trümmerteile, die Aufschluss geben darüber geben könnten, wer die Maschine abgeschossen hat, inzwischen längst beseitigt wurden.
Kaum Durchblick im militärischen Verkehr
Fast völlig gescheitert ist die OSZE mit der Aufgabe, die Grenze zwischen Russland und der Ukraine zu überwachen und den Verkehr von Waffen, militärischem Personal sowie Hilfsgüterkonvois zu registrieren. Ein entsprechendes Mandat hatte der «Ständige Rat» der 57 Teilnehmerstaaten erstmals am 24. Juli beschlossen.
Die Grenze ist 2300 Kilometer lang, davon gelten 500 Kilometer als kritisch. Bis Ende November waren entlang der gesamten Grenze jedoch lediglich 16 OSZE-Beobachter stationiert – und das auch nur an den beiden offiziellen Übergängen Gukovo und Donezk. Allein an diesen beiden Posten registrierten die OSZE-Beobachter in der zweiten Novemberwoche 665 Männer in Militärkleidung, die in beide Richtungen die Grenze überquerten. Am 23. November wurde die Grenzmission der OSZE noch einmal um einen Monat verlängert und auf 22 Beobachter aufgestockt.
Inzwischen wird der OSZE immer häufiger sowohl von Russland und den russisch-stämmigen Rebellen wie von der ukrainischen Regierung Parteinahme für die jeweils andere Seite vorgeworfen. Auch häuften sich in den letzten Wochen die gewaltsamen Angriffe auf OSZE-Beobachter mit dem Ziel sie einzuschüchtern, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken und von Inspektionen abzuhalten.
Ausgezehrt und geschwächt
Der Prozess der politischen und materiellen Auszehrung und Schwächung der OSZE begann ab Mitte der 1990er-Jahre. Damals begannen die NATO-Staaten unter Bruch des Versprechens, das die Regierungen der USA und Westdeutschlands Michail Gorbatschow im Februar 1990 gegeben hatten, sowie unter Abwendung von der im November 1990 auf einem Regierungsgipfel in Paris feierlich vereinbarten «Charta für ein neues Europa» mit der Ostausdehnung der westlichen Militärallianz auf inzwischen 28 Mitglieder. Darunter sind alle ehemaligen Bündnisstaaten der Sowjetunion, die drei baltischen Ex-Republiken der UdSSR, Albanien sowie zwei Ex-Republiken des früheren Jugoslawien. In ihrem Gipfelbeschluss von 2008 hat die NATO die Aufnahme weiterer Staaten für möglich erklärt – darunter ausdrücklich auch die Ukraine, Georgien und Moldawien.
Die OSZE wurde seitdem von den NATO-Staaten zunehmend vernachlässigt. Der völkerrechtswidrige Luftkrieg der NATO gegen Serbien/Montenegro 1999 war ein eklatanter Verstoss nicht nur gegen die UNO-Charta, sondern auch gegen alle Normen und Vereinbarungen der KSZE/OSZE und trug erheblich zur Schwächung dieser einzigen gesamteuropäischen Institution bei.
Ähnliches gilt für die in Folge dieses Krieges vollzogene Anerkennung der Eigenstaatlichkeit Kosovos, deren starke und frühzeitige Befürwortung der grösste Fehler der früheren Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey war. Wie schon damals befürchtet, ist die Abspaltung und verfehlte Anerkennung Kosovos zu einem Präzedenzfall geworden, mit dem die Republika Srpska ihren Abspaltungswillen von Bosnien-Herzegowina ebenso zu rechtfertigen sucht, wie Russlands Präsident Vladimir Putin die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Krim.
Diese Annexion sowie die hybride Kriegsführung in der Ukraine zeigen mehr noch als Russlands militärisches Eingreifen 2008 in Georgien, dass auch Moskau sich trotz aller rhetorischen Bekenntnisse zur OSZE kaum mehr um die Normen dieser Organisation schert. Die grosse Zustimmung in der russischen Bevölkerung – und gerade auch Gorbatschows – zur Annexion der Krim ist nur verständlich auf der Folie der Enttäuschungserfahrungen Russlands mit dem Westen seit 1989.
Dabei zeigt gerade die Ukraine-Krise, wie dringend notwendig und durch keine andere Organisation ersetzbar eine handlungsfähige OSZE wäre als Rahmen und Instrument zur Deeskalation und politischen Lösung von Konflikten auf dem eurasischen Kontinent.
Handlungsfähigkeit ist abgesehen von finanziellen und personellen Ressourcen sowie dem politischen Willen gewichtiger Teilnehmerstaaten der OSZE auch abhängig vom jeweiligen Vorsitzland und seinem Aussenminister.
Ängstlich statt aktiv
Die Schweiz als Nichtmitglied von NATO und EU, die beide Teil des Konflikts in der Ukraine-Krise sind, war geradezu prädestiniert für eine aktive Rolle zur Überwindung dieser Krise. Sogar mehr noch als Finnland und Schweden, die wegen ihrer geografischen Nähe zu Russland und den baltischen Staaten zumindest indirekt von den Auswirkungen der Ukrainekrise betroffen sind.
Doch leider hat die Schweiz diese aktive Rolle nur sehr unzureichend wahrgenommen. So hätte Aussenminister Didier Burkhalter auch ohne vorherige Absegnung durch die 57 OSZE-Teilnehmerstaaten spätestens bei der Genfer Ukraine-Konferenz Mitte April öffentlich mit jeweils drei, vier klaren Forderungen an Moskau und Kiew zur Deeskalation auftreten müssen. Das hätte dem Konflikt vielleicht eine andere Dynamik gegeben.
Selbst bei seinem Besuch in Moskau im Juni hätte der OSZE-Vorsitzende mit entsprechenden Forderungen an beide Konfliktparteien und einem selbstbewussteren Auftreten zumindest verhindern können, dass sein Besuch von Putin und den staatlichen Medien für die russische Propaganda instrumentalisiert wurde.
Die Ängstlichkeit Burkhalters erinnert an die letzte Schweizer OSZE-Präsidentschaft im Jahre 1996. Nach dem Dayton-Vertrag vom Dezember 1995 drang die Clinton-Administration in Washington auf die schnelle Durchführung von Wahlen in Bosnien. Davor warnten die Jugoslawien-Experten im EDA ihren Chef Flavio Cotti. Sie fürchteten, bei zu frühen Wahlen könnten die Kandidaten der nationalistischen Parteien der Serben, Kroaten und muslimischen Bosniaken demokratisch legitimiert und auf Jahre hinaus in ihren Ämtern bestätigt werden, weil neue Parteien noch nicht existierten oder noch zu schwach waren.
Doch nach einem Besuch von US-Aussenministerin Madeleine Albright in Bern fiel Cotti um und setzte die Wahlen für September 1996 an. Die Wahlergebnisse bestätigten alle Befürchtungen.
Jüngste Kritik von Links
Von der Regierung Serbiens, die den OSZE-Vorsitz im Januar übernimmt, sind leider noch weniger Impulse für eine Überwindung der Ukrainekrise zu erwarten. Die wirtschaftlich katastrophale Lage des Landes, für die es keine Aussicht auf Besserung gibt, spielt den nationalistischen und russophilen Kräfte in die Hände, für die Putin der grosse Held ist.
Das zeigte zuletzt Mitte November der von Tausenden umjubelte Belgrader Auftritt von Vojislav Sesely, des wegen einer Krebserkrankung aus dem Gefängnis des Den Haager Jugoslawientribunals der UNO entlassenen Kriegsverbrechers und früheren Chefs der Serbischen Radikalen Partei (SRS). Im schlimmsten Fall kommt es 2015 in der Ukrainekrise zu einer offenen Parteinahme des OSZE-Vorsitzlandes Serbien mit der Konfliktpartei Russland.
Neben der Schwächung zunächst durch die NATO-Staaten und jetzt auch durch Russland sieht sich die OSZE auch der Kritik (vermeintlich) linker Kräfte ausgesetzt. Ein Beispiel dafür ist der Aufruf «Widerstand gegen die OSZE in Basel» zu einer Demonstration gegen die Aussenministerkonferenz. In dem Aufruf wird die OSZE mitverantwortlich gemacht für die Politik ihrer Teilnehmerstaaten, die auch Mitglieder der NATO und der EU sind. Unter anderem behauptet der Aufruf eine «Beteiligung der OSZE an der EU-Grenzschutzagentur Frontex». Diese Behauptung ist falsch.
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