Die plötzliche Angst um das Erbe

Die Unterschriftensammlung für die Initiative «Erbschafststeuerreform» hat erst begonnen. Dennoch beeilen sich vermögende Leute, ihre Immoblien bereits vor Ende dieses Jahres ihren Nachkommen zu überschreiben. Ein Kommentar.

Sorgt für Verlustängste: Initiative für eine Erbschaftssteuer. (Bild: Keystone)

Die Unterschriftensammlung für die Initiative «Erbschafststeuerreform» hat erst begonnen. Dennoch beeilen sich vermögende Leute, ihre Immoblien bereits vor Ende dieses Jahres ihren Nachkommen zu überschreiben. Ein Kommentar.

Bemerkenswerte Bewegungen entstehen in diesen unsicheren Zeiten. Da sind zum einen die Occupy-Aktivisten, die seit dem Spätsommer immer wieder für kleinere oder grössere Schlagzeilen sorgen. Ihre Ziele sind ­etwas diffus, aber ihre Botschaft ist angekommen: Occupy kritisiert die ­soziale Ungleichheit in der Gesellschaft, prangert die immer weiter auseinanderklaffende Einkommens- und Vermögensschere zwischen Normalverdienenden und Steinreichen an und verurteilt die Geschäftspolitik der Banken.

Für Kinder und Enkel

Seit Kurzem gibt es in der Schweiz eine weitere Bewegung, die auf den ersten Blick zwar nichts, im Grunde genommen aber doch viel mit Occupy zu tun hat: der Marsch der wohlhabenden Immobilienbesitzer auf die Grundbuch-, Bezirksämter und Notariate. Bis Ende dieses Jahres wollen sie ihre Häuser und Wohnungen auf Kinder und Enkel überschreiben, weil sie Angst vor einer eidgenössischen Erbschaftssteuer haben. Wer sein Haus vorher an Kinder und Kindeskinder weitergibt – auch wenn er sich das Nutzungsrecht bis zum Lebensende ­sichert –, kann sie umgehen.

Schuld an einer allfälligen Erbschaftssteuer ist nicht die Occupy-Bewegung. Die Steuer ist eine Forderung schweizerischer Parteien aus dem linken und christlichen Spektrum – SP und ­Grüne erheben sie, die Evangelische Volkspartei ebenfalls. Zurzeit sammeln sie Unterschriften, doch über die Initiative abgestimmt wird wohl frühestens 2015. Eigentlich kein Grund, schon jetzt – beim Stand von erst 33 000 gesammelten Unterschriften – aufs Grundbuchamt und zu ­Notaren zu eilen, um das Immobilienvermögen vor dem Steuervogt zu schüt­­zen. Da steht eben diese verflixte Bestimmung im Initiativtext, wonach die Erbschaftssteuer bei einem Ja des Volkes rückwirkend schon ab Januar 2012 gälte. Sie macht den Wohlhabenden in diesen Tagen Beine: Rette sein Ver­mögen, wer kann – und zwar vor dem kommenden Januar.

Warum eigentlich diese Panik? In den letzten Jahren hat ein Kanton nach dem anderen die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen abgeschafft – und zwar mit durchwegs deutlichen Volksmehrheiten. Was soll sich an der Volksmeinung nun so plötzlich ändern?

Auf offene Ohren

Vielleicht eben das, was die Occupy-Bewegung verkörpert, was sie zu ihrer zentralen Botschaft gemacht hat und was bis weit in die bürgerliche Gesellschaft auf offene Ohren stösst. Die Aktivisten reklamieren für sich, 99 Prozent der Bevölkerung zu ver­treten – jene überwiegende Mehrheit also, die in den letzten Jahren an Wohlstand tendenziell einbüsste, ­während das restliche eine Prozent sich über Massen bereicherte, Abzockerlöhne kassierte und rechtzeitig ­Finanzgewinne einstrich.

Eine recht plakative Botschaft – aber Statistiken unterstreichen sie: In Basel-Stadt etwa entfällt ein Drittel des steuerbaren Einkommens auf die reichsten zehn Prozent der Steuer­zahler. Andernorts in der Schweiz ist das Ungleichgewicht noch grösser. Zudem hat es sich in den letzten Jahren zusehends zuungunsten der tieferen Einkommen und des Mittelstands verschoben.

Das ist eine fatale Fehlentwicklung, der wir so machtlos gegenüberstehen, wie die bunte Schar Protestierender auf dem Zürcher Paradeplatz, Lindenhof oder Stauffacher, in Basel vor dem BIZ und auf Plätzen in der ganzen Welt. Doch: Sind wir wirklich so machtlos? Wir erinnern uns an den 7. März 2010, als das Schweizer Volk einer Senkung der Altersrenten hätte zustimmen sollen, um die Berufliche Vorsorge auf längere Zeit zu sichern. Es war die Zeit, als nach den weltweiten Bankendebakeln der öffentliche Unmut über die sogenannten Abzocker gross war. Fast drei Viertel aller Stimmenden brachten mit ihrem Nein zur Rentensenkung zum Ausdruck, dass sie nicht mehr bereit sind, den Gürtel enger zu schnallen, wenn wenige andere sich schamlos die Taschen füllen.

Das wuchtige Nein zur Rentensenkung vor zwei Jahren war ein Protest gegen die ungleiche Einkommens- und Vermögensentwicklung, die weiterhin anhält. So gesehen ist die Furcht der wohlhabenden Immobilienbesitzer vor einer Erbschaftssteuer durchaus begründet. Trotzdem hat der Sturm auf die Notariate und Grundbuchämter ­etwas Peinliches. Er unterstreicht, wie wenig Einsicht die Wohlhabenden ­zeigen, dass die einseitige Umverteilung vom Mittelstand zu den Reichen in den letzten Jahren gesellschafts­politisch bedenklich ist. Eine Erbschaftssteuer für hohe Vermögen wäre ein kleines Korrektiv zur gegenwär­tigen Entwicklung.

Noch immer eine hohe Summe

Ein Korrektiv, das nicht wirklich weh tut. Wer seinen Nachkommen einen Batzen unter zwei Millionen Franken vererbt – und das wird wohl der überwiegende Teil der Bevölkerung sein –, entrichtet keinen Rappen Erbschaftssteuer. Bei Vermögen über zwei Millionen dürfen sich die Begünstigten im Erbfall immer noch über eine hohe Summe freuen, die ihnen in den Schoss fällt, ohne dass sie etwas dafür geleistet haben. Und es ist ja nicht so, dass der Staat mit den Steuererträgen irgendwelche Luxusprojekte finanzieren kann. Sie sollen die AHV sichern. Ein hehres Ziel in einer Zeit, da die ­ Altersvorsorge für wenig gut Betuchte immer unsicherer wird.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11

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