Polen steckt in einer schweren Krise: Das Verfassungsgericht erklärte ein Gesetz der Regierung für verfassungswidrig, diese erkennt ihrerseits das höchste Justizorgan nicht mehr an. Faktisch bedeutet dies ein Ende der Gewaltenteilung.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, das weiss auch Polens Aussenminister Witold Waszczykowski. Am Donnerstag reiste eine Delegation seines Ressorts als Vertreter der in Warschau regierenden «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) nach Venedig. Erklärtes Ziel: «Die Vorwürfe gegen unsere Verfassungsreform widerlegen», so Waszczykowski.
Im Auftrag des Europarates prüft die Venedig-Kommission, eine von der EU unabhängige Einrichtung, die umstrittene Novelle zur Arbeit des Verfassungsgerichts, die im Dezember 2015 im Eiltempo durch das Parlament gebracht worden war.
Die Venedig-Kommission dürfte ihre Position am Samstag veröffentlichen. Ihr rechtlich nicht bindendes Gutachten, so viel steht bereits fest, wird ähnlich vernichtend ausfallen wie das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vom Mittwoch. Dieses verwarf weite Teile der Novelle als verfassungswidrig, weil die Vorgaben darin «das Systemwesen der Republik» und die Unabhängigkeit des höchsten Gerichtes verletzten, heisst es in der Begründung.
«Eine Situation wie in Weissrussland»
Doch das Urteil will die Regierung von Premierministerin Beata Szydlo nicht akzeptieren. Es werde nicht im Amtsblatt veröffentlicht, die Verhandlung sei «illegal» gewesen, so die PiS. Etliche Verfassungsrechtler kritisieren dies scharf. Auch Adam Bodnar, der Beauftragte für Bürgerrechte, der ebenfalls geklagt hatte, sagt: «Das ist eine Situation wie in Weissrussland. Wenn das Urteil nicht veröffentlicht wird, wird es ein rechtliches Chaos geben.»
Etliche Beobachter sehen das Land nun in einer tiefen Verfassungskrise – und vor der internationalen Isolation. Denn PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bezeichnete den Gutachten-Entwurf der Venedig-Experten, der Ende Februar an die Medien durchgesickert war, als «rechtlich absurd». PiS-Fraktionschef Ryszard Terlecki geht noch weiter: «Kein Staat auf der Welt kann Polen etwas in Fragen des polnischen Rechts diktieren.»
Die Zeichen stehen damit auf Sturm. Denn die EU-Kommission in Brüssel will das Votum der Venedig-Experten als Grundlage für ihr weiteres Vorgehen gegen Polen nutzen. Sie hatte im Januar ein rechtsstaatliches Prüfverfahren gegen Warschau eingeleitet. Nun könnten weitere Schritte folgen, auch wenn das theoretisch mögliche Zünden der «Atombombe» – ein Stimmrechtsentzug für Polen im EU-Rat – politisch kaum durchsetzbar ist.
Der Druck steigt
Doch der politische Druck auf Warschau wird nicht nur vonseiten der EU immer grösser. Auch US-Aussenminister John Kerry hatte Warschau vor wenigen Wochen angemahnt, das Gutachten der Venedig-Kommission zu akzeptieren.
All dies kümmert die Regierung in Warschau bislang nicht. Sie versucht, die Voten der Warschauer Verfassungsrichter wie auch der Venedig-Experten in Misskredit zu ziehen – beide waren vorab an die Medien gelangt. Das Urteil der Verfassungsrichter sei womöglich mit der grössten Oppositionspartei, der Bürgerplattform (PO), abgesprochen worden, so der Vorwurf. Die PO selbst weist dies zurück. Parteichef Grzegorz Schetyna hatte bereits zuvor eine «totale Opposition» angekündigt – auch auf den Strassen Warschaus, wo bereits seit Mittwoch Protestler die Veröffentlichung des Verfassungsgericht-Urteils im Amtsblatt fordern. Bislang vergeblich.