Die Queen und die gekrönte Republik

Heute feiert Königin Elizabeth II. ihr 60-jähriges Thronjubiläum. Sie sitzt fester auf dem Thron denn je. Nach einem baldigen Ende der Monarchie, sieht es heute jedenfalls nicht aus. Und das hat auch sein Gutes. Denn die Monarchie ist mehr als ein Relikt aus der Vergangenheit, sie kann Demokratien schützen.

Queen Elizabeth II besucht bei stürmischen Wetter ihren Enkel, Prinz William in Wales. (Bild: Reuters/Phil Noble)

Heute feiert Königin Elizabeth II. ihr 60-jähriges Thronjubiläum. Sie sitzt fester auf dem Thron denn je. Nach einem baldigen Ende der Monarchie, sieht es heute jedenfalls nicht aus. Und das hat auch sein Gutes. Denn die Monarchie ist mehr als ein Relikt aus der Vergangenheit, sie kann Demokratien schützen.

Königin Elizabeth II. hat allen Grund zur Zuversicht. Rundherum sieht die Welt für den Windsor-Clan so rosig aus wie schon lange nicht mehr. 2012, das 60-Jahr-Jubiläum ihrer Thronbesteigung, dürfte sich als «Annus mirabilis» erweisen, als «wunderbares Jahr» für das Königshaus.

20 Jahre ist es her, da sprach Elizabeth II. öffentlich von ihrem «Annus horribilis». Der explosive Ehekrieg zwischen Charles und Diana, brisante Enthüllungen, abfällige Schlagzeilen, Lauschangriffe – bis heute nicht aufgeklärt – aufs telefonische «Tampon-Geflüster» zwischen Charles und Camilla, der Thron­folger als «grüner Spinner» verspottet, zu allem Übel noch der Brand in Windsor Castle.

Prognosen zum Untergang der Windsors

Vor gut zehn Jahren sah es fast nach dem Ende der Monarchie aus. Die Erregung tränenreicher Massen über den Tod von Prinzessin Diana, vor allem aber die mangelnde Trauerbereitschaft der Monarchin, erreichte hysterische Ausmasse. Alles schien möglich, selbst der Sturz des populärsten Königshauses der Welt. Prognosen über den «Untergang der Windsors» hatten Hochkonjunktur. «Bringt heim die Revolu­tion», lautete der hoffnungsfrohe Titel eines Buches, das die Stimmung in weiten Teilen der Medien und der politischen Klasse wiedergab.

Wie anders sieht es heute aus: Die Windsors erfreuen sich breiterer öffentlicher Zustimmung denn je zuvor. Die Hochzeit von Prinz William und Kate erwies sich als ungewöhnlicher PR-Coup für die Königsfamilie: Zu den Windsors stiess eine attraktive, diskrete Frau aus dem aufstrebenden Bürgertum, die an Charme und Massenfaszination einer Diana gleichkommt, ohne ihre dunklen, neurotisch-verschwenderischen Seiten zu besitzen. Seit der «Glo­rious Revolution» von 1688, die in Wahrheit eine ­permanente «Reform von oben» einleitete, hat es das Königshaus im Laufe der Jahrhunderte stets aufs Neue verstanden, durch Modernisierung und Reform seinen Feinden den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Positive Schlagzeilen

Im Zeitalter rabiater Medien und eines entfesselten Boulevards, stets auf der Suche nach Skandalen und Enthüllungen, ist es gelungen, zuletzt eigentlich nur für positive Schlagzeilen zu sorgen. Selbst Prinz Harry liess die wilderen Zeiten samt Joints, Partydress mit Hakenkreuz und Saufgelagen hinter sich, bestand stattdessen auf den Militärdienst in Afghani­stan – wie jeder andere auch.

Ehemann Prinz Philip, gerade aus dem Krankenhaus entlassen, hat es nun schon geraume Zeit geschafft, seine scharfe, politisch inkorrekte Zunge im Zaum zu halten. Das, was herausdrang, etwa seine Philippika gegen «landschaftszerstörende, nutzlose Windturbinen», stiess weithin auf Beifall.

Besonders wichtig für die Queen: Die Popularitätswerte für ihren Ältesten, Thronfolger Charles, zufrieden in der Ehe mit Camilla, sind nach oben geschnellt. Angesichts der robusten Gesundheit der Königin wird Charles sich wohl weiterhin gedulden müssen. Dafür spricht auch die eindrucksvolle Statistik über öffentliche Auftritte und Funktionen der Königin.

Die Antimonarchisten von rechts

Die stille Würde, mit der sie nun seit 60 Jahren dem aufreibenden Job nachgeht, bringt ihr widerwillige Elogen selbst aus verbitterten antimonarchischen Zirkeln ein, deren Hoffnungen auf die britische Republik stets aufs Neue enttäuscht werden. Linksliberale Blätter wie «Guardian», «Independent» und «Observer» starteten in den letzten 25 Jahren immer wieder hoffnungsvoll Kampagnen für die «britische Republik»; sie wetterten gegen den «Anachronismus» der Monarchie und forderten ein «rationales» demokratisches System.

Die beste Chance für das Ende der Monarchie bestand ironischerweise in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren, als die Linke politisch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt war, die neokonservative Thatcher-Revolution ihren ideologischen Höhepunkt erreichte. Viele Jungtürken unter den Tories sahen in der Monarchie nicht nur eine verstaubte, sondern eine lästige Institution; galt sie ihnen doch als Hindernis für den finalen Triumph der modernen «Enterprise culture». George Orwell, der Grossbritannien eine «gekrönte Republik» nannte, hat diesen Zusammenhang erkannt und betrachtete das Königshaus – wie ein Gutteil der Arbeiterklasse auch – als Verbündeten gegen überbordende gesellschaftliche wie wirtschaftliche Macht.

Die Antimonarchisten von rechts erwiesen sich gefährlicher als die von links. Doch beide werden sich in Geduld üben müssen. Vermutlich für sehr lange Zeit. Bis dahin wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als im Jubiläumsjahr 2012 ins allgemeine Loblied auf die Queen einzustimmen: wie pflichtbewusst und immens fleissig, wie bescheiden und frei von ­jeglichem Dünkel, dazu garantiert skandalfrei! Zuneigung und Respekt der Nation geniesst Elizabeth II., obwohl oder vielleicht gerade weil sie in gewisser Weise die Antithese zur Moderne personifiziert. Mit ureigenem Stil, nicht dem Diktat der Modepolizei unterworfen, wie ihre Kostüme und Hüte demonstrieren, nicht bereit zu Konzessionen an die voyeuristisch-emotionalisierte Mediendemokratie.

Die Monarchie ist und bleibt ein Relikt, das eigentlich längst auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, sagen die Antimonarchisten und führen ihr stärkstes Argument an: Auch an der konstitutionellen Monarchie haftet der Makel mangelnder demokratischer Legitimität. Doch diese Sicht der Dinge verpasst das, worauf es ankommt.

Erstaunlich hohes Mass an Stabilität

Wer Stärken und Schwächen moderner Staaten vergleichend betrachtet, muss vom «britischen Modell» beeindruckt sein, zu dem die Monarchie samt ihrer Rituale dazugehört. Gerade auf dem europäischen Kontinent hat man gute Gründe, die Briten um ihr politisches System zu beneiden. Die Kombination von parlamentarischer Demokratie und konstitutioneller Monarchie stellt offenkundig den Hauptgrund dar für das erstaunlich hohe Mass an Stabilität und Widerstandsfähigkeit der britischen Gesellschaft.

Gewiss stimmt, dass die Republik als Ausdruck ra­tionaler Herrschaft logischer konstruiert ist. Doch leidet sie an dem, was rationale Konstruktionen, gerade der Versuch, die perfekte, gerechte Gesellschaftsordnung zu schaffen, in der Praxis immer wieder, oft auf furchtbare Weise, scheitern lässt: Die «human condition», die menschliche Natur wird ignoriert.

Immun gegen totalitäre Anwandlungen

George Orwell, ein Sozialist, hatte das bereits vor 70 Jahren erkannt, als er sich bestürzt äusserte über die Unfähigkeit linksliberaler Intellektueller, «die Kräfte zu verstehen, die Geschichte formen»; Patriotismus, Bewunderung für Führungskräfte, das Bedürfnis nach Ritualen und Symbolen, die helfen, nationale Identität zu stiften. An der Schwierigkeit der Intellektuellen hat sich nur wenig verbessert. Immerhin stellte der grosse marxistische Historiker Eric Hobsbawm aus Anlass der königlichen Hochzeit im letzten Jahr fest, dass die konstitutionelle Monarchie einen besonders «verlässlichen Rahmen für die liberale Demokratie bietet».

Der empirische Befund fällt eindeutig zu ihren Gunsten aus. Die konstitutionellen Monarchien Europas, Holland, Belgien, Schweden, Norwegen, Dänemark und Grossbritannien, erwiesen sich als die stabilsten Demokratien Europas, sieht man von der Schweiz ab, deren einzigartiges Modell sich schwerlich auf Staaten mit grösserer Bevölkerungszahl übertragen lässt.

Länder mit einem gekrönten Staatsoberhaupt sind offenkundig fähiger, gesellschaftlichen Konsens zu erzeugen und zu bewahren, der immun macht gegen totalitäre Anwandlungen. Die Staaten Europas, die ihre Monarchen davonjagten, Frankreich, Deutschland, Russland und Italien, schlugen alle zumindest zeitweilig totalitäre Pfade von rechts oder links ein. Vor 30 Jahren rettete der spanische König das demokratische Prinzip. Mit seiner nicht durch Wahlen legitimierten Autorität stemmte er sich erfolgreich gegen den Putsch von rechts.

Das weist auf einen weiteren Vorteil der Monarchie hin. Die Politik bleibt aussen vor bei der Suche nach dem Staatsoberhaupt. Gewiss besitzt das auch Nachteile. Doch kann notfalls auch die genetische Lotterie und ein durchgeknallter König verkraftet werden.

Der demokratische Prozess spült dagegen häufig Politiker ins Amt, die unangenehm, wenn nicht gar gefährlich werden könnten; vor allem in Ländern, in denen der Präsident sowohl Chef der Exekutive wie auch Staatsoberhaupt ist. Oder es landen biedere Parteipolitiker auf dem Posten, die weder den Respekt der Nation geniessen – man denke an den deutschen Bundespräsidenten Wulff – und schon gar nicht vermögen, Identität zu stiften. Königin Elisabeth, seit 60 Jahren im Amt, vermag genau das.

Von der Weisheit der Massen lernen

Intellektuelle mögen sich mokieren über die weltweite Faszination, die von den Royals ausgeht. Sie täten gut daran, von der «Weisheit der Massen» zu lernen. Die Königin erlebt derzeit ihren 12. Premier. Niemand ausser ihr kennt alle Geheimnisse des Staates. 60 Jahre lang gingen alle Akten und Dokumente durch ihre Hände. Nur mit ihr können Regierungschefs offen, völlig frei von der Sorge reden, der Inhalt der Gespräche könnte irgendwann nach aussen sickern. Elisabeth II. ist mehr als nur britische Monarchin. Sie steht an der Spitze der einzigen «internationalen» Monarchie mit «global reach».

Damit ist nicht nur die Faszination der Medien weltweit durch die Windsors gemeint. Elizabeth II. ist Oberhaupt des Commonwealth und Staatsoberhaupt diverser Länder von Australien bis Kanada, beides «gekrönte Republiken», die sich kürzlich aufs Neue entschieden haben, die Monarchin als Staatsoberhaupt zu behalten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06/01/12

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