Nordkorea öffnet sich behutsam dem westlichen Tourismus.
Nordkoreas sanfte Öffnung zur Welt lässt sich in Zahlen fassen: Allein letztes Jahr bereisten rund 5000 westliche Touristen in geführten Touren das Land. Darunter auch die beiden Basler Michael Wüthrich und Thomas Baumgartner. Sie erzählen eine Geschichte von falschen Bildern im Kopf, gefährlichen Fragen und dem zaghaften Beginn einer Freundschaft.
Es ist gar nicht so einfach, eine Reise nach Nordkorea zu rechtfertigen. Vor sich selbst nicht. Vor seinen Freunden nicht. «Ihr unterstützt eine grausame Diktatur!», wurde uns vorgeworfen. Aber irgendwann kommt man an einen Punkt hinter den Bedenken. Reisen ist unser Beruf, und da sollen wir ausgerechnet ein Land auslassen, das derart anders und fremd ist? Wir sind politisch interessiert, wir sind kritisch, wir erkennen Propaganda, wenn wir sie sehen (hoffentlich). Und vor allem gilt nicht nur für diese Reise: Einmal gesehen ist besser als tausendmal gehört.
Der Staat will es wissen
In Nordkorea gibt es genau eine staatliche Reiseagentur, erreichbar über jede lokale Botschaft – in unserem Fall in Bern. Der Staat will genau wissen, wer nach Nordkorea reist und was er dort zu tun gedenkt. Schweizern gegenüber sind die nordkoreanischen Behörden aber ausnehmend freundlich gesinnt. Die Überschreitung der Demarkationslinie durch die ehemalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey wirkt noch nach; wir wurden auch im Land selber oft darauf angesprochen (zur Beziehung zwischen Nord- und Südkorea empfehlen wir diesen Text aus der «taz»).
Normalerweise reisen Touristen in grösseren Touren durch das Land, wir aber hatten uns eine private Zweier-Tour organisieren können (gegen einen entsprechenden Aufpreis) und verknüpften damit die leise Hoffnung, auch ein Nordkorea hinter dem Reisekatalog zu sehen.
Tja, und dann waren wir da. Täglich geht ein Flug von Peking und Wladiwostok nach Pjöngjang, in Maschinen, die bei uns vor dreissig Jahren aus dem Verkehr gezogen wurden. Nordkorea ist darum ein beliebtes Ziel von Aviatik-Freaks, aber das nur nebenbei. Der Flughafen von Pjöngjang ist etwas gar gross (für die paar Flüge pro Tag) und menschenleer. Unser Gepäck wurde gescannt, durchsucht, das Handy ausgeschaltet und in einem Plastiksack versiegelt. Wir sollten es erst wieder bei der Ausreise in zehn Tagen erhalten (inzwischen dürfen Touristen ihre Handys behalten).
«Welcome to Nordkorea»
Raus ins Licht der riesigen Ankunftshalle. Keine in die Höhe gehobenen Schilder, keine finsteren Taxifahrer, die dich in ihren Wagen zerren wollen. Ein schüchtern wirkender Nordkoreaner trat auf uns zu: «Hello Michael, hello Thomas», heisst er uns willkommen. Er wirkte zwar schüchtern, aber überzeugt. Wir hatten mit niemandem auf diesem Flughafen gesprochen, niemand hatte uns zu einem Treffpunkt bestellt. Wir waren da, wir wurden ohne Weiteres erkannt und ab sofort nicht mehr aus den Augen gelassen.
Die beiden Guides, wir nennen sie Kim und Kahn (die nordkoreanischen Beamten lesen auch Zeitungen in der Schweiz) nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. In der ersten Nacht konnte ich, Thomas, nicht schlafen und ging nach draussen, um eine zu rauchen. Es war drei Uhr morgens. Ich hatte noch keinen einzigen Lungenzug getan, da stand Kim schon hinter mir und wünschte einen guten Abend. Wie hatte er das nur gemacht?
Die Episode mit dem Rauchen war das erste Erlebnis, das uns in unseren Vorurteilen bestätigte. Hier spürten wir eine Ahnung von der allumfassenden Staatsmacht, die versucht, ihre Bürger und ihre Gäste unter Kontrolle zu halten.
Wolkenkratzer und Farben
Unser Hotel war ein viel zu grosser Klotz, dreissig Etagen, zwei davon mit Touristen belegt. Der Rest? Geplündert für die bewohnten Teile? Spionage-Nest für die Überwacher? Wir fanden es nicht heraus.
Während der Rauch-Episode wurden unsere Vorurteile bestätigt, in den Stunden zuvor war das Gegenteil passiert. Grau hatten wir uns Nordkorea vorgestellt, voller Beton, ohne Autos, die Menschen in Uniform. Auf der Fahrt vom Flughafen in das Stadtzentrum erlebten wir darum die erste richtige Überraschung: Es war wuselig und gross und farbig. Die Strassen ohne Autos? Das war einmal. Wolkenkratzer, Farben, Farben! Und überall Menschen, die anscheinend alle dringend irgendwohin mussten und dabei etwas transportierten.
Wir merkten erst nach ein paar Tagen, dass wir zwar immer andere Wege nach Pjöngjang nahmen, aber dennoch immer nur die gleichen drei Strassen sahen. Genau jene, die wir sehen sollten.
Grau hatten wir uns Nordkorea vorgestellt. Ein Irrtum.
Und natürlich juckt es einem in einem solchen Moment eine aufsässige Frage zu stellen, den Revoluzzer zu geben. «Dürfen wir raus? Dürfen wir den Bahnhof sehen? Dürfen wir spazieren gehen?» Und natürlich gab es in anderen Touristengruppen jene spezielle Art von Reisenden, die die Einheimischen in typisch missionarischem Ton von der Schändlichkeit ihres Lebens überzeugen wollen. «Ihr wisst schon, dass ihr in einer Diktatur lebt? Schlimm, he! Und warum macht ihr nichts dagegen?»
Wir entschieden uns für einen anderen Weg. Die Fragen auf die westlich-direkte Art zu stellen bringt nichts und ist auch gefährlich. Nicht für uns Luxustouristen. Aber für jeden Guide, der nicht auf Anhieb die richtige Antwort weiss, zögert oder gar Kritik äussert. Nicht von ungefähr begleiten immer mindestens zwei Guides die Touristen durch Nordkorea. Die Überwachung funktioniert.
Nein, unser Ansatz war profaner. Uns war mehr als bewusst, dass nordkoreanische Männer äusserst gerne Bier und Schnaps trinken. Kim und Kahn begleiten normalerweise eher ältere Reisende durch ihr Land, die sich nach dem Abendtee auf ihr Zimmer zurückziehen. Wir nicht. Und so besichtigten wir tagsüber Universitäten und landwirtschaftliche Betriebe (wo immer genau ein Ochse seine ewigen Runden dreht) und Plätze, auf denen Kim Jong-il oder – noch besser – sein Vater Kim Il-sung einmal gestanden hatte, machten keine Scherze (denn sie meinen das alles sehr ernst) und abends dann, abends tranken wir.
Blödsinn und Banales
Wir tasteten uns vor, langsam und behutsam. Sprachen über Blödsinn und Banales, öffneten uns und merkten, wie unsere Führer das gleiche taten. Unseren Durchbruch erlebten wir nach vier Tagen, als wir zum ersten Mal richtig aus Pjöngjang herausfuhren. Es war im Auto spürbar: ein Aufatmen, ein Entspannen. Unsere Guides machten Musik an, zogen ihre Mobiltelefone heraus (gefühlt hat hier jeder ausser uns Touristen ein Mobiltelefon) und begannen über ihre Lieblingsfilme zu reden, die auch uns nicht unbekannt waren. Internationales Action-Kino. Jetzt war es an ihnen zu fragen, wie Nordkorea in der restlichen Welt wahrgenommen werde, was man von ihnen halte, von ihrer Art zu leben.
An diesem Abend, weit draussen auf dem Land, war von der anfänglichen Zurückhaltung unserer Guides nichts mehr zu spüren. Sie wissen um den schlechten Ruf ihres Landes, ihres Systems und ihrer Führer. Aber sie wirken gleichzeitig auch optimistisch, voller Hoffnung. Hoffnung auf mehr Touristen, mehr Offenheit, mehr Jobs.
Das Parteikader
Nach der Annäherung an unsere Guides waren die letzten Tage unserer Reise beinahe wie eine Reise mit Freunden. Wir fragten viel, wir getrauten uns mehr, wir lachten mit ihnen. Es gab natürlich immer noch Tabus. Die Armut ihrer Mitbürger, die Strafkolonien, die militärische Aufrüstung – wir waren uns zwar nahe gekommen, aber gewisse Gräben überwindest du nicht in ein paar Tagen. Dennoch redeten wir offener und sahen mehr, als wir uns das vorgestellt hatten. Unsere Guides arrangierten einen – vorher nicht angekündigten – Besuch in den nordkoreanischen Filmstudios, eines Vergnügungsparks und einer Karaokeveranstaltung mit Einheimischen (wo wir kräftig mitmischten).
Noch bizarrer war der Besuch in Kumgangsan. Die ehemalige südkoreanische Exklave ist ein gigantischer Erholungspark im Diamantgebirge. Bis vor ein paar Jahren kamen Tausende von Südkoreanern hier in die Ferien – bis ein Wachmann eine Touristin erschoss (ein Video einer Bergwanderung durch das Gebiet sehen Sie am Ende des Textes). Vorläufig ist der Ort nur von Nordkorea aus zu besichtigen. Was für ein Gegensatz zu Nordkorea! Perfekte Strassen, perfekte Häuser.
Wir logierten in einem echten, schönen Hotel. Und wir getrauten uns, anders als in Pjöngjang, einen kleinen individuellen Ausflug in die oberen Stockwerke zu unternehmen. Zuoberst war eine riesige Bar, in der mitten am Nachmittag eine feuchtfröhliche Feier stattfand. Die Männer und Frauen winkten uns zu sich, bestellten Bier, kamen ins Gespräch.
Die grosse Hoffnung
Nach ein paar Minuten, wir hatten uns kurz auf Schweizerdeutsch unterhalten, kam eine ältere Dame auf uns zu und begrüsste uns in perfektem Hochdeutsch: «Sie kommen aus der Schweiz?» Sieben Jahre Ausbildungsaufenthalt in der DDR, Reisen durch die ganze Bundesrepublik und die angrenzenden Länder. Wir waren auf einer Party von Angehörigen des Parteikaders gelandet.
Die Dame merkte, dass wir das gemerkt hatten, liess sich aber nicht beirren. Sie sprach, ganz ähnlich wie unsere Guides, von der grossen Hoffnung, die sie in den jüngsten Kim setze, etwas anders zu machen als sein Vater und sein Grossvater vor ihm. Ob sie so offen sprach, weil sie die Einzige ausser uns im Raum war, die Deutsch verstand?
Wir kamen nicht dahinter. Ein paar Wochen nach unserer Rückkehr geriet Nordkorea wieder in den Fokus der Welt: Kim Jong-un lässt Atombomben testen, versetzt die Welt in Angst und Schrecken (Artikel dazu finden Sie auf der Rückseite). Wir haben uns gefragt: Wie geht das zusammen? Atombomben und die sanfte Öffnung hin zur Welt und zum Tourismus? Wir kamen nicht dahinter. Wir verstanden es nicht. Wie so vieles in Nordkorea.
Aufgezeichnet von Philipp Loser
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13