«Die Revision ist Kosmetik»

Für den SP-Nationalrat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch sind Massnahmen zum Schutz von Whistleblowern wichtiger als die Revision des Korruptionsstrafrechts.

Nationalrat und Strafrechtsprofessor: Daniel Jositsch ist skeptisch, was die Wirksamkeit des neuen Korruptionsstrafrechts betrifft. (Bild: PETER KLAUNZER)

Für den SP-Nationalrat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch sind Massnahmen zum Schutz von Whistleblowern wichtiger als die Revision des Korruptionsstrafrechts.

Daniel Jositsch, bei der Privatkorruption geht man von einer Aufklärungsquote von null Prozent, in der öffentlichen Korruption von zwei bis drei Prozent aus. Wie korrupt ist die Schweiz?

Die Dunkelziffer ist sehr hoch. In der Privatwirtschaft kommt es zu keinen Verurteilungen, und in den öffentlichen Institutionen höchst selten. Fälle wie der Seco-Informatik-Skandal und der BVG-Pensionskassenskandal in Zürich sind die oberste Spitze des Eisbergs. Es ist wahrscheinlich, dass Fälle von ähnlicher Grössenordnung unentdeckt geblieben sind.

Was taugen die heutigen Gesetze gegen Korruption?

Sie sind ausreichend. Das Problem ist, dass sie nicht häufig angewendet werden. Es fehlt ein wirksamer Schutz für Whistleblower. Und ohne diesen ist eine wirksame Korruptionsbekämpfung sowieso nicht möglich.

Wie sieht denn die rechtliche Situation für Whistleblower aus?

Sie ist unklar. Als Anwalt würde ich einem Klienten heute abraten, Missbräuche an Medien oder Amtsstellen weiterzuleiten. Es kommt sehr auf das Gericht an, wie es den einzelnen Fall beurteilt.

Heute kann ein Richter einem Whistleblower recht geben, wenn er das öffentliche Interesse höher gewichtet als die Treuepflicht zum Arbeitgeber. Aber das passiert selten. Mangelt es an einer Rechtskultur, die Verständnis für Whistleblower aufbringt?

Die Gerichte sind Whistleblowern gegenüber eher feindlich eingestellt. Die meisten Richter machen einen Denkfehler: Sie glauben, dass es gesetzeswidrig ist, ein Geheimnis zu verraten, auch wenn das Geheimnis eine unrechtmässige Handlung umfasst. Das hat man im Fall von Zopfi/Wyler, die der «Weltwoche» Dokumente über den Missbrauch von Sozialhilfe zugespielt haben, gesehen.

«Wenn wir auf einer Skala zum Schutz von Whistleblowern, die von 0 bis 10 reicht, bisher auf 0 sind, sind wir nach einer Annahme des neuen Gesetzes auf 0.5.»

Eine Gesetzesvorlage zur Besserstellung von Whistleblowern, die auf eine Motion von alt Nationalrat Remo Gysin zurückgeht, kommt demnächst in die Rechtskommission des Nationalrats. Was bringt sie?

Sie bringt keinen massiv verstärkten Schutz, aber sie verbessert die Situation von Whistleblowern. Wenn wir auf einer Skala von 0 bis 10 bisher auf 0 sind, sind wir danach auf 0,5. Ich plädiere im Gegensatz zu den Kritikern dafür, dem Gesetz trotzdem zuzustimmen. Denn das ist alles, was wir in nächster Zeit angesichts der politischen Kräfteverhältnisse kriegen. Mit der Zeit wird man sehen, dass der Schutz noch immer nicht genügt, dann können wir eine Revision anstreben.

Zudem steht auch die Revision des Korruptionsstrafrechts an. Was bringt die?

Nicht besonders viel. Es ist eine zweckmässige Anpassung. Für die Strafverfolgung wird sich aber nicht viel ändern. Sie werden nur ermitteln können, wenn ihnen ein Fall zugetragen wird. Die Revision ist Kosmetik.

Die Befürchtungen von Bürgerlichen, dass sich Staatsanwälte auf Quittungen von Mittagessen in KMUs stürzen werden, sind also unbegründet?

Sie sind genauso unbegründet wie die Hoffnungen, dass Privatkorruption danach wesentlich wirksamer bekämpft wird.

«Wir haben bei der Korruption grössere Probleme, als uns zu fragen, ob es bei der Vergabe einer WM mit rechten Dingen zugegangen ist.»

Aber im Falle einer erneuten Fifa-WM-Vergabe, bei der ein Korruptionsverdacht aufkommt, würde sie den Zürcher Staatsanwälten erlauben, von sich aus Ermittlungen aufzunehmen.

Das ist einer der wenigen Fälle, bei denen die Revision die Ausgangslage ändert. Für diese Fälle wurde die Gesetzesänderung ja vor allem gemacht. Für mich ist das aber kein wichtiger Punkt. Der Reputationsschaden, von dem oft gesprochen wird, bezieht sich vor allem auf die Fifa selbst. Ich glaube, wir haben im Bereich der Korruption grössere Probleme, als uns zu fragen, wo die nächste Weltmeisterschaft stattfindet und ob es dabei mit rechten Dingen zugegangen ist. Zu denken ist da an Milliarden von öffentlichen Geldern, die in private Taschen wandern statt zum Beispiel ins Gesundheitswesen.

Wie sind die Aussichten, dass die Revision des Korruptionsstrafrechts angenommen wird?

Ich glaube, dass die Revision eine gute Chance hat, durchs Parlament zu kommen. Aber noch einmal: Es ist Kosmetik, es wird sich nichts ändern. Und auf keinen Fall darf sich das Parlament danach sagen: Jetzt haben wir etwas gegen die Korruption gemacht, die Whistleblower müssen jetzt warten.

«Firmen wollen einen korrupten Angestellten entlassen und auf Schadenersatz verklagen; nicht, dass er nach einem Strafverfahren eine bedingte Busse bekommt.»

Trotzdem herrscht bei Wirtschaftsverbänden und Bürgerlichen Skepsis vor, die Privatkorruption zum Offizialdelikt zu machen. Wäre es ein denkbarer Kompromiss, nur die Sportverbände einer solchen Regelung zu unterwerfen?

Das wäre nun wirklich unsinnig, politisch wie juristisch. Man kann nicht eine Branche einem Gesetz unterwerfen und die anderen nicht.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass ein öffentliches Interesse an der Bekämpfung der Privatkorruption besteht. Sie könne die öffentliche Gesundheit und Sicherheit gefährden und untergrabe das Vertrauen in eine faire Marktwirtschaft, argumentiert er.

Das halte ich für kein zwingendes Argument. Man kann sich ebenso gut auf den Standpunkt stellen, dass der Geschädigte, und das sind die Firmen, entscheiden sollen, ob sie eine Strafuntersuchung wollen oder nicht. Aber die sind in erster Linie an einer zivilrechtlichen Verfolgung interessiert: Sie wollen den Angestellten entlassen und auf Schadenersatz verklagen; nicht, dass er nach einem Strafverfahren eine bedingte Busse bekommt.

Viele Bürgerliche sagen, die Compliance-Richtlinien in der Privatwirtschaft seien scharf genug.

Es ist sicher so, dass die Privatwirtschaft die Mechanismen verbessert, mit denen sie Korruption verhindert. Sie hat ja auch ein Interesse daran, denn Korruption schadet in erster Linie den Firmen.

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