Die Salafisten kämpfen ums Überleben des politischen Islam

Nach der Entmachtung der Muslimbrüder hält die erzkonservative al-Nour-Partei die Fahne des politischen Islam in Ägypten hoch. Ihre Hochburgen hat sie in den Ashwaiyyats, den Slums der Grossstädte. Dort geniesst sie Sympathien, während auf Landesebene eine erbitterte Kampagne gegen religiöse Parteien rollt.

(Bild: Astrid Frefel)

Nach der Entmachtung der Muslimbrüder hält die erzkonservative al-Nour-Partei die Fahne des politischen Islam in Ägypten hoch. Ihre Hochburgen hat sie in den Ashwaiyyats, den Slums der Grossstädte. Dort geniesst sie Sympathien, während auf Landesebene eine erbitterte Kampagne gegen religiöse Parteien rollt.

Am Morgen hat es etwas geregnet. Am Abend sind die meisten Strassen in Ezzbet Sikkin immer noch matschig. Asphalt gibt es keinen und auch keinen Anschluss ans Gasnetz. Es sind die Armen, die zum Kochen die teuren Gasflaschen kaufen müssen. Und in diesem Slum von Alexandria bestreiten Amr al-Mekki und Hosni al-Masri ein Heimspiel.

Die beiden Parlamentskandidaten der salafistischen al-Nour-Partei schütteln unzählige Männerhände in kleinen Geschäften, Kaffeehäusern oder an Marktständen. Überall werden sie freundlich, manchmal sogar überschwänglich begrüsst. Nour hat die besten Kandidaten sagt ein junger Passant. Ägypten braucht nur Stabilität, das ist das wichtigste, meint ein anderer. Lautsprecherwagen mit den Leuchtreklamen der beiden Kandidaten folgen dem kleinen Zug durch die engen Gassen und plärren ihr «wählt am 18./9. Oktober Laterne und Sonnenschirm, Nummern 27 und 28».

Wahlkampf als Volksfest

Nach dem Abendgebet in einer kleinen Moschee haben sich Hunderte aus der Nachbarschaft – die meist voll verschleierten Frauen und Männer schön getrennt – in einem Zelt zu einer «Konferenz» versammelt. Mehr Volksfest als Informationsveranstaltung mit Fahnenschwingern, feurigen Hymnen und Sprechchören. Auf der Bühne hat auch Bassem al-Zarqa von der Parteiführung Platz genommen. Er erklärt den Anwesenden, mit der neuen Verfassung seien dies die wichtigsten Parlamentswahlen überhaupt. Tatsächlich gab es in Ägypten noch nie eine Volkskammer mit so vielen Befugnissen.

Mekki, der Ingenieur und Masri der Arabisch-Professor – angekündigt als Sohn des Viertels – geben sich volksnah. Das Programm der Nour-Partei sei von unten nach oben entstanden, basiere auf den Problemen der Menschen und wolle ihre Rechte – ausdrücklich auch jene der Frauen – durchsetzen, das heisst in Ezzbet Sikkin für Gasanschluss und mehr öffentliche Busse sorgen.

In solchen Ashwaiyyats, wörtlich informellen Vierteln, lebt etwa 60 Prozent der ägyptischen Bevölkerung. Überhaupt sei Nour die einzige Partei, die in diesem Wahlkampf tatsächlich Probleme anspreche. Wer vom Volk gewählt werde, diene später dem Volk, wer vom Geld gewählt werde, diene später dem Geld, greift Masri unter tosendem Applaus die politischen Gegner an, viele von ihnen reiche Geschäftsleute mit engen Verbindungen zur ehemaligen Mubarak-Regierungspartei.

Auf der Liste der Nour-Partei stehen viele ihre Kader. (Bild: Astrid Frefel)

Bollwerk gegen säkulare Einflüsse

Von Religion ist an diesem Abend nicht die Rede. Es ist eher ein Auftritt von vaterlandsliebenden Sozialdemokraten. In der schriftlichen Propaganda ist der Ton ein anderer. Etwa im Pamphlet «Warum Hizb al-Nour?» wird unter den sieben Punkten aufgeführt, weil sie es brilliant geschafft hat, den politischen Islam am Leben zu erhalten; die islamische Identität Ägyptens verteidigt, wo andere versagt haben; damit Ägypten ein undurchdringlicher Wall gegen Schiismus und Atheismus bleibt oder weil al-Nour der Sicherheitszaun in Ägypten gegen Säkularisierung und Verwestlichung ist. Die zentrale Botschaft ihres Walprogrammes heisst Aufbau eines modernen, demokratischen Staates auf der Basis der Sharia, dem islamischen Recht als Quelle der Rechtsordnung.

Im Zentrum von Alexandria, der Millionen-Metropole am Mittelmeer, stechen die Nour-Plakate in dem ganzen Bannerwald nicht mehr heraus. Hier ist die Stimmung eine andere. «Auch ich bin Salafist, aber meine religiöse Überzeugung hat nichts mit Politik zu tun», erklärt ein Student seine Abneigung gegen diese Partei. Der Besitzer eines verstaubten Antiquariates macht keinen Hehl aus seiner Wut über die Islamisten, die Schuld an den Problemen des Landes seien. Die Salafisten wollten jetzt nur die Muslimbrüder beerben, aber ihre Zeit sei vorbei, ist er überzeugt.

Kampagne gegen religiöse Parteien

Als im Sommer 2013 die Armee den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Morsi von den Muslimbrüdern aus dem Amt drängte, hatte sich al-Nour an die Seite der Generäle gestellt und später auch die Wahl von Armeechef Abdelfattah al-Sisi zum Präsidenten unterstützt. Al-Nour hatte damals kritisiert, Morsi sei autokratisch gewesen und hätte gegen demokratische Werte verstossen. Ein Präsident könne nicht gegen die verärgerte Bevölkerung, die Armee und die Polizei im Amt bleiben, hatte der Salafistische Ruf – die sozial-religiöse Mutterorganisation der Nour-Partei – wissen lassen.

Mit der Unterstützung des Umsturzes hat sich der 2011 in Alexandria gegründete politische Arm der Salafisten, die einer strengen Auslegung des Korans folgen, das politische Überleben gesichert. Bei den Parlamentswahlen 2012 war al-Nour nach den Muslimbrüdern mit knapp 20 Prozent der Stimmen bereits zweitstärkste Kraft geworden.

Al-Nour – das Licht – bestreitet eine religiöse Partei zu sein.

Aber unter dem Kampf der Staatsgewalt gegen die Muslimbrüder hat auch die Popularität der Salafisten gelitten. Seit Wochen läuft eine Kampagne gegen religiöse Parteien, einige ihrer Urheber waren schon federführend bei den Protesten gegen die Muslimbrüder. In einer Unterschriftenkampagne und mit juristischen Verfahren soll ein Verbot erreicht werden.

Al-Nour – das Licht – bestreitet, eine religiöse Partei zu sein, sondern eine politische Partei mit religiösen Werten gemäss Verfassung, die Ägypten als islamischen Staat definiert. Die Parteispitze hat aber reagiert und für nur etwa einen Drittel der individuellen Parlamentssitze und die Hälfte der Listenplätze Kandidaten und Kandidatinnen aufgestellt. Darüber, wie stark ihr Abschneiden sein wird, gehen die Meinungen weit auseinander. Das komplizierte Wahlverfahren macht Prognosen schwierig.

Ein Karikaturist hat in seinem Kommentar den Deckel einer Wahlurne geöffnet und heraus kamen vor allem Salafisten. Die Kampagne aller anderen Parteien und Kandidaten schürt die Angst vor einer Rückkehr der Islamisten mit endlosem Trommelfeuer. In Ezzbet Sikkin können sich die beiden Nour-Kandidaten dennoch sicher sein, dass sie hier ein gutes Ergebnis erzielen werden.

Nächster Artikel