Die schlimmste Katastrophe seit dem Krieg

Der Regen hat nachgelassen, doch noch immer stehen weite Teile des Balkans unter Wasser. In Serbien sind noch Hunderttausende ohne Strom. Andernorts machen Krisenprofiteure gute Geschäfte.

A man waits to be rescued from his house during heavy floods in Vojskova May 19, 2014. More than a quarter of Bosnia's four million people have been affected by the worst floods to hit the Balkans in more than a century, the government said on Monday, war (Bild: SRDJAN ZIVULOVIC)

Auf dem Balkan bleibt die Lage nach den Überschwemmungen angespannt. Noch immer stehen ganze Ortschaften unter Wasser. Internationale Hilfe ist angelaufen, wer wovon profitiert, hängt allerdings auch von der Politik ab.

Miroslav Obrenovic ist sichtlich erleichtert: «Endlich Sonne und kein Regen mehr.» Innerhalb von drei Tagen prasselte der Niederschlag von drei Monaten auf die Region um seine Heimatstadt Bijeljina nieder. Weite Teile Bosnien-Herzegowinas und Serbiens stehen nach wie vor unter Wasser. Es sind die schwersten Unwetter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 120 Jahren. Jetzt, da die Wassermassen langsam zurückgehen, wird das ganze Ausmass der Katastrophe ersichtlich.

«Wir hoffen, dass bald alle in ihre Häuser zurückkehren können. Das ist das Schlimmste, was uns seit dem Krieg passiert ist, eine Katastrophe biblischen Ausmasses», betont Obrenovic. Allein in Bijeljina in der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska mussten mehr als 10’000 Menschen evakuiert werden, etwa 5000 Wohnhäuser stehen unter Wasser. Trinkwasser, Essen, Medizin, Decken und Hygieneartikel – in den betroffenen Gebieten mangelt es an allem.

Ein Drittel Serbiens steht unter Wasser

Am Sonntagabend bestätigte Obren Petrovic, der Bürgermeister des bosnischen Doboj, dass in der Stadt mindestens 20 Menschen ums Leben gekommen sind. Der serbische Premier Alexander Vucic meldete, dass 12 Leichen in Obrenovac bei Belgrad gefunden wurden, und ergänzte: «Ich befürchte, dass diese Zahl weiter ansteigen wird.» Die kroatischen Behörden meldeten ein Todesopfer und zwei Vermisste. Die Gesamtzahl der Todesopfer lag am Montagnachmittag nach offiziellen Angaben bei mindestens 46. 

Das Städtchen Obrenovac nahe Belgrad ist noch immer komplett überschwemmt. Fast alle Einwohner wurden evakuiert. Die meisten von ihnen harren nun in Turnhallen in Belgrad aus und wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Ein Drittel Serbiens steht unter Wasser, ein grosser Teil der Ernte ist zerstört und die Kraftwerke bei Obrenovac und Kostolac sind von Wassermassen umschlossen. In ihnen werden etwa 75 Prozent des serbischen Elektrizitätsbedarfs produziert. Hunderttausende Menschen waren am Montag in Serbien noch ohne Strom.

Auch im bosnischen Maglaj ist die Stromversorgung noch nicht wiederhergestellt. «Ich habe versucht, zu meinem Haus zu kommen, aber das ist derzeit unmöglich. Wenigstens sind Menschen aus dem ganzen Land hier, um uns zu helfen», sagt Anwohner Mirza Valjevac. Zugleich kritisiert er: «Manche Leute nutzen die Situation schamlos aus und verkaufen Trinkwasser und Lebensmittel zu völlig überteuerten Preisen.»

Auch Landminen weggespült

Nach der Flut kommen neue Probleme auf Bosnien-Herzegowina zu, denn als Erbe des Bürgerkriegs liegen noch etwa 120’000 Landminen auf 9416 markierten Feldern. Sasa Obradovic, Mitarbeiter des Minenaktionszentrums, warnt: «Es sind bereits Minen in Gebieten aufgetaucht, in denen es sie zuvor nicht gab.» Experten seien mit der Räumung beauftragt worden.

Dass die Fluten die Minen in Bewegung gesetzt haben, wird auch in den Nachbarländern mit Sorge beobachtet. Von den Nebenflüssen aus könnten sie in die Save, dann in die Donau und durch Rumänien und Bulgarien bis ins Schwarze Meer gespült werden. Die Sprengkörper sind schon unter normalen Umständen eine ständige Gefahr: Seit Kriegsende starben in dem Land mindestens 601 Menschen durch Landminen.

Um mit der Flut und ihren Folgen fertig zu werden, sind Bosnien-Herzegowina und Serbien auf Hilfe von Aussen angewiesen. So leistet seit dem Wochenende etwa das deutsche Technische Hilfswerk mit Pumpen Hilfe in der Region. Russland hat bereits am Freitag Katastrophenhelfer und Equipment in die Krisenregion entsandt. EU-Krisenschutzkommissarin Kristalina Georgieva kündigte am Montag an, Serbien könne mit Hilfen von bis zu einer Milliarde Euro jährlich zur Beseitigung der Flutschäden rechnen. Für Bosnien-Herzegowina sei «die Situation komplizierter, da das Land keinen Kandidatenstatus hat».


Das Rote Kreuz sammelt Spenden für die Flutopfer in Serbien, Bosnien und Kroatien. Weiter Informationen finden hier.

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