Die Schweiz gibt Apartheid-Akten frei und will es doch nicht so genau wissen

Elf Jahre lang waren die Akten zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika unter dem Apartheid-Regime unter Verschluss. Nun sind diese Unterlagung wieder für die Forschung zugänglich, allzu viel sollte man sich davon aber nicht versprechen.

Proteste gegen Geschäfte mit dem Apartheid-Regime in Südafrika gab es in der Schweiz schon in den 80ern. Politik und Wirtschaft tun sich bis heute schwer mit der Aufarbeitung dieser Vergangenheit. (Bild: LUKAS LEHMANN)

Elf Jahre lang waren die Akten zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika unter dem Apartheid-Regime unter Verschluss. Nun sind diese Unterlagung wieder für die Forschung zugänglich, allzu viel sollte man sich davon aber nicht versprechen.

Am Karfreitag 2003 fiel das Fallgatter über den amtlichen Archiven. Damit wurde ein wichtiger Teil der Abklärungen verunmöglicht, die Licht in die Geschichte der Kooperation mit Apartheid-Südafrika bringen sollen.

Beauftragt mit diesen Abklärungen war der Schweizerische Nationalfonds SNF, Aufraggeber war der Bundesrat der damit einen Parlamentsbesschluss umsetzte. Es ging insbesondere darum, die Bedeutung der schweizerischen Kreditexporte abzuklären sowie der Lieferungen von Hochleistungsmaschinen, der militärischen Zusammenarbeit auch im Atombereich und in der Gegenrichtung des Gold- und Diamantenhandels sowie der von der Schweiz aus getätigten Erdölgeschäfte zur Umgehung von internationalen Boykottmassnahmen.

Aktensperre aus Angst vor Klagen

Den Auftrag gefasst hatte der SNF im Mai 2000. Im Jahr 2003 sahen sich schweizerische Grossunternehmen wie CS, UBS und die ehemalige Oerlikon Contraves Sammelklagen ausgesetzt, mit denen Apartheidopfer in den USA eine Entschädigung für ihre unter dem rassistischen Regime Südafrikas erlittenen Leiden forderten. Die Klagen gingen davon aus, dass die wirtschaftliche Kooperation der genannten und anderer Unternehmen mit diesem Regime für die Repression mitverantwortlich gewesen sei.

Verantwortlich für die Aktensperre war das eidgenössische Finanzdepartement. Es rechtfertigte seine Sperrmassnahme damit, dass die von den Sammelklagen betroffenen Unternehmen drohten, im Fall einer Verurteilung auf die Eidgenossenschaft Regress zu nehmen. Grund: Durch die offiziell in Auftrag gegebenen historischen Aufarbeitung wäre man in den anstehenden Prozessen einem besonderen Risiko ausgesetzt worden. Dieser Hinweis auf mögliche Verantwortlichkeitsklagen führte zu der Archivsperre, die am besagten Karfreitag mitten in laufende Forschungsarbeiten «provisorisch» verhängt wurde.

Doppelt problematische Vergangenheit

Das Provisorium sollte elf Jahre dauern und wurde erst jetzt – genauer am 20. Juni – aufgehoben. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) erklärte in seinem Communiqué: Die Risiken für betroffene Schweizer Unternehmen hätten sich deutlich reduziert. Nun können Forscher und Forscherinnen auf dem üblichen Gesuchsweg Einsicht in die zuvor als gefährlich eingestuften Dossiers verlangen. Nationalrätin Regula Rytz von den Grünen verlangt jetzt auch eine Wiederaufnahme beziehungsweise Fertigstellung des besagten nationalen Forschungsprogramms.

Noch vor wenigen Monaten hatte der Bundesrat eine Aufhebung der Sperre abgelehnt. In seiner Antwort vom November 2013 auf einen Vorstoss von Ständerat Paul Rechsteiner (SP/SG) hiess es, seit 2009 seien zwar keine schweizerischen Unternehmen mehr direkt von der Sammelklage betroffen; man wolle aber die Einschränkung aufrechterhalten, bis ein erstinstanzliches Urteil vorliege. Ein solches erfolgte dann im Dezember 2013 mit der Abweisung der Sammelklagen gegen die letzten beiden ausländischen Unternehmen durch ein Gericht in New York.

Jetzt hat die Schweiz in diesem Bereich eine doppelt problematische Vergangenheit: einmal wegen der unverfrorenen Kooperation mit Südafrika in der Zeit vor 1990 – und zum andern wegen der Verhinderung der Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Was bleibt, ist ungute Erinnerung und zweifelhafter Ruf.

Die Südafrika-Schande lässt sich nicht so leicht wegputzen und bleibt an der Schweiz haften.

Der Wirtschaftsverband «Economiesuisse» ist verständlicherweise nicht begeistert über die Aufhebung der Aktensperre: Dadurch werde die Aufmerksamkeit erneut auf die Schweiz gelenkt, dem Finanz- und Wirtschaftsplatz Schweiz drohe ein Imageschaden. Dem muss entgegengehalten werden, dass die Konsequenzen bezüglich des Images nicht erst nachträglich, sondern bereits während des Handelns bedacht werden sollten. Die Südafrika-Schande lässt sich nicht so leicht wegputzen und bleibt an der Schweiz haften.

Interessant ist das in dieser Sache zum Vorschein kommende Selbstverständnis: Obwohl man in vielen Fällen den Sonderfall beansprucht, möchte man zugleich auch gerne Dutzendstaat sein, man reklamiert für seine exponierten Unternehmen «gleich lange Spiesse». Im übrigen ist man trotz der jahrelangen Archivsperre überzeugt, die diesbezügliche Vergangenheit gewissenhafter aufgearbeitet zu haben als andere Länder, wie es in der Stellungnahme von Economiesuisse heisst.

Südafrika ist nicht USA

Erklärungsbedürftig ist, warum die Schweiz Ende der 1990er Jahre vorübergehend überhaupt bereit war, dieses dunkle Kapitel offiziell aufarbeiten zu lassen. Diese Aufarbeitung war schon Jahre zuvor von der Anti-Apartheid-Bewegung mehrfach gefordert worden. Aber erst die von den USA erzwungene Aufarbeitung des anderen dunklen Kapitels zum Umgang mit den Vermögenswerten von während des Zweiten Weltkriegs verfolgten Juden (Stichwort: Bergier-Bericht) bot die Chance, etwas Analoges für Südafrika in die Wege zu leiten.

Dies obwohl vom neuen Regime am Kap nicht der gleiche Druck ausging wie von Amerika und die südafrikanische Regierung überhaupt nicht an einer Aufarbeitung interessiert war. Schliesslich wollte man die in der neuen Zeit tätigen Unternehmen, die weitgehend mit den früheren Firmen identisch waren, nicht brüskieren.

Kein Zugang zur Privatarchiven

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Abklärungsvorgängen bestand zudem darin, dass die Bergier-Historikerkommission uneingeschränkten Zugang sogar zu Archiven der Privatwirtschaft hatte, während dies bei den Südafrika-Abklärungen nicht der Fall war. Mit dem neuesten Entscheid zur Freigabe der öffentlichen Bestände ist – allerdings ohne Erfolgsaussicht – schnell die Forderung aufgekommen, nachträglich für die abschliessende Klärung der schweizerischen Apartheid-Kooperation nun doch auch den Zugang zu Privatarchiven zu erhalten.

Eine weitere Konsequenz könnte jetzt darin bestehen, dass man sich für die zuvor unter Verschluss gehaltenen Akten besonders interessiert. Dieser Neugierde wird entgegengehalten, dass man in den nun entsperrten Papieren kaum auf Sensationen stossen wird: Das Meiste ist in den Grundzügen bekannt. Es macht allerdings einen wesentlichen Unterschied, ob Vergangenes konkret und real, oder nur abstrakt und allgemein benannt werden kann.

Von besonderem Interesse dürften die Dreieckbeziehungen zwischen Südafrika (auch in der Gestalt der diplomatischen Repräsentanten in der Schweiz), der schweizerischen Privatwirtschaft und der Berner Bundesverwaltung sein. Das bleibt im Grossen und Ganzen jedoch eine Geschichte zu schweizerischem Verhalten. Die Wirkung der schweizerischen Kooperation in Südafrika ist damit noch nicht erfasst. Diese Abklärungen müssten zum grössten Teil mit südafrikanischen Dokumenten in Südafrika unternommen werden.

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Georg Kreis ist Programmverantwortlicher und Autor des Berichts «Die Schweiz und Südafrika 1948-1994». Schlussbericht des im Auftrag des Bundesrats durchgeführten NFP 42+. Bern Haupt 2005. 542 S.

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