Wer sich für Angebote im Bereich Personenschutz interessiert, stösst schnell auf zahlreiche Anzeigen und Angebote.
Zum Beispiel: «Wer im Licht der Öffentlichkeit steht, sollte sich vor den Schattenseiten schützen können. Wir alle haben Anspruch auf ein sicheres und lebenswertes Umfeld. In Zeiten einschneidender politischer, sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen ist das Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit besonders gross geworden. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses ist für die Behörden eine Aufgabe, die nicht immer ganz einfach zu bewältigen ist.» Also könne man, also solle man sich doch an die Firma XY wenden.
Eine Preisliste lag dieser Anzeige nicht bei. Doch zweifellos, der gute Service kostet gutes Geld und ist ein Geschäft, das von Problemen anderer lebt, wie der Zahnarzt, der Scheidungsanwalt, die Altenbetreuerin.
Wer schützt die Minderheiten?
Im Falle des Personenschutzes stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist und ihn bezahlt. Für den Schutz von Spitzenmanagern sorgen die Unternehmen selber, für den allenfalls nötigen Schutz von Magistraten und gewählten Politikern ist es selbstverständlich der Staat.
Und für vulnerable Minderheiten? Das ist kein neues Thema. Bereits nach den Pariser Attentaten im Spätherbst 2015 hatte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) den Bundesrat auf das für die jüdische Gemeinschaft leider bestehende Schutzbedürfnis aufmerksam gemacht.
Erwartet wird eine Beteiligung an den Kosten für den Institutionenschutz, der immer in erster Linie Schutz für diejenigen Personen ist, die an Versammlungsorten erhöhter Gefahr ausgesetzt sind – in Kultstätten, Schulen, Altersheimen, allenfalls sogar in jüdischen Geschäften, wie das letztjährige Attentat auf einen Supermarkt in Paris zeigte.
Juden sollen selber zahlen
Letzten Monat gab das Bundeshaus im Rahmen eines allgemeinen Berichts über das «Engagement des Bundes gegen Antisemitismus» bekannt, wie man sich in Bern zum Sicherheitsproblem stelle. Ausdrücklich anerkannt wurde, dass in der jüdischen Gemeinschaft eine «berechtigte Sorge um die Sicherheit» bestehe. Zugleich erklärte man sich aber für nicht zuständig und verwies auf die Kantone.
Gemäss diesem beschränken sich die sicherheitspolizeilichen und völkerrechtlichen Schutzpflichten des Bundes auf den Schutz von Magistratspersonen, Parlamentariern, Bundesangestellten, Bundesgebäuden sowie von völkerrechtlich geschützten Personen und Einrichtungen (Personen mit diplomatischem Status, diplomatische Vertretungen etc.).
Der Bescheid aus dem Bundeshaus kam durch die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB), die im Departement des Innern angesiedelt ist, in diesem Subthema aber vor allem so etwas wie Postbote von Nachrichtendienst (NDB) und Bundesamt für Polizei (fedpol) war. In dieses Geschäft ist allerdings auch das Justiz- und Polizeidepartement involviert.
Neben vielem anderem und sehr Anerkennenswertem findet sich in diesem Bericht der sonderbare Vorschlag: «Zur Finanzierung ihrer Sicherheitskosten könnten die jüdischen Organisationen eine Stiftung errichten. Sie könnten eine namhafte Summe als Vermögen für die Finanzierung von Sicherheitsmassnahmen ihren Mitgliedergemeinden widmen …» Um ja keine Illusionen aufkommen zu lassen, wird noch beigefügt, dass der Bund, da es dazu keine Rechtsgrundlage gebe, sich an einer solchen Stiftung nicht beteiligen könne.
Das Verhalten des Bundes nährt den Verdacht, dass die Juden einmal mehr als Extrakategorie von Bürgern angesehen werden.
Der Vorschlag, dass potenzielle Opfer selber eine Privatstiftung errichten sollen, hat, wie in der Presse zutreffend bemerkt wurde, ein antisemitisches «Geschmäckle». Er insinuiert nämlich, dass die betroffene Minderheit genug Geld für die vorgeschlagene Stiftung habe, und bedient damit das Klischee der reichen Juden.
Geht man davon aus, dass der Staat eigentlich eine Schutzpflicht gegenüber allen seinen Bürgern hätte, nährt die Empfehlung den Verdacht, dass die Juden, was die Staatszugehörigkeit angeht, einmal mehr als Extrakategorie von Bürgern angesehen werden, die den selbstverständlichen Schutz mit einer Sonderabgabe gewährleisten soll.
Im Mittelalter mussten auch in der Schweiz, zum Beispiel im Surbtal, Aufenthaltsgenehmigungen durch Schutzbriefe erkauft werden. Und im Zweiten Weltkrieg machte das «Asylland» Schweiz die Erfüllung seiner Schutzpflicht gegenüber den verfolgten Juden davon abhängig, dass die schweizerische Judengemeinschaft die Finanzierung des Lebensunterhalts übernehme. Selber zahlen hat für die Schweizer Juden also Tradition: Die aktuellen privat bezahlten Sicherheitskosten belaufen sich beispielsweise in der Stadt Zürich gemäss Angaben des SIG auf rund 1,5 Millionen Franken.
Aber fürs WEF bezahlen wir
Die NZZ bezeichnete die Botschaft aus Bern zutreffend als «starken Tobak». Stellt man auf die Kommentare der Blick-Leserschaft ab, findet sie aber auf eigene Art breite Zustimmung. Eine «Volkesstimme» meinte, sie wüsste nicht, «warum wir Steuerzahler für den Schutz von Synagogen aufkommen sollten.» Denn: «Das ist gewiss nicht unser Problem und darf es auch nie werden!»
Wie sehr die Problematik bestehende antijüdische Ressentiments weckt, zeigt die weitere Bemerkung: «Dann sollen sich die Juden doch einmal wie Bürger verhalten und uns nicht immer das Gefühl vermitteln wollen, man müsse mit ihnen Mitleid haben und ihnen eine besondere Behandlung hier zukommen lassen!» Dies versehen nochmals mit Ausrufezeichen und mit 61 Likes versus nur 50 Daumen nach unten.
Von anderer Seite kam der Vorschlag, dass der CEO von Glencore mit Sitz im steuergünstigen Zug, weil er offenbar Jude ist, für die Staatsaufgabe aufkommen solle, zumal er das «locker aus der Portokasse» finanzieren könne. Niemand fragte sich bei diesen Meldungen, wie sich in diesem Fall die Haltung des Bundes im Vergleich etwa mit dessen wohl ebenfalls «lockerer» Beteiligung an den jährlich wiederkehrenden Sicherheitskosten des Davoser World Economic Forum (WEF) 2016 verhält.
«Da könnte ja jeder kommen»
Als die Sicherheitskosten der jüdischen Gemeinschaft in den jüngsten Tagen im Parlament zur Sprache kamen (weil der jüdische Zürcher SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch die Sache mit einem Postulat aufgebracht hatte), da war Bundesrätin Simonetta Sommaruga als Justiz- und Polizeiministerin am Zug. In der Presse wurde ihr vorgeworfen, das Anliegen schroff im Stil «Da könnte ja jeder kommen» zurückgewiesen zu haben. Gemäss Ratsprotokoll hat sie den gut gemeinten, aber unglücklich herausgekommenen Stiftungsvorschlag ausdrücklich bedauert.
Im Frühjahr 2017 steht in gleicher Sache noch eine Motion auf dem Programm. Jositsch erwartet, dass sich der Bundesrat engagiert und alle Beteiligten (Kantone, Gemeinden, jüdische Minderheit) an einen Tisch rufe. Es könne nicht sein, dass sich niemand zuständig fühle.
Die in Genf lehrende Völkerrechtlerin Maya Hertig Randall lässt übrigens die Doktrin des Bundes nicht gelten, wonach wegen der föderalistischen Ordnung ausschliesslich die Kantone für die Bürgersicherheit zuständig seien. Jeder Staat sei als Ganzes für die Erfüllung von grundrechtlichen Schutzpflichten auch und insbesondere zugunsten bedrohter Minderheiten verantwortlich. Er müsse seinen bestehenden Gestaltungsspielraum nützen und könne Versäumnisse nicht mit der föderalistischen Staatsstruktur rechtfertigen.
Markus Notter, ehemaliger Justizdirektor des Kantons Zürich, jetzt Präsident der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS), teilt diese Position und bemerkt: «Wenn der Bund Koordinationsmassnahmen gegen Hooliganismus vorsehen kann – warum dann nicht auch hier?» Mit gutem Willen sei dies machbar.
Für die Bundesstellen ist der Schutz jüdischer Einrichtungen keine Frage der Kosten, sondern des Prinzips – und der Präzedenz.
Von Bundeswarte wird erklärt, es sei besser, wenn die Sicherheitsfragen in den Händen von kantonalen Diensten liegen, weil diese die örtlichen Gegebenheiten besser kennen würden. Das ist aber nicht der Punkt. Es geht um die Kosten. Doch aufseiten der Bundesstellen ist es keine Frage der Kosten, sondern des Prinzips – und der Präzedenz.
Die vorläufig eingenommene Haltung dürfte nämlich auch von der Befürchtung getragen sein, dass man am Ende der Tage nicht nur Synagogen, sondern auch (wie die Bluttat in Zürich diese Woche zeigte) Moscheen schützen müsse. Eine Passage des vorgelegten Berichts bestätigt das: Man könne kaum nur die Bedürfnisse der jüdischen Organisationen berücksichtigen, «sondern müsste auch die Vertreter anderer religiöser Gemeinschaften und deren Bedürfnisse anhören».
Soweit der momentane Stand der Dinge; ein Stand, der mit zusätzlichen Einsichten und Dispositionen weiterentwickelt werden muss. Die Erarbeitung einer Gesetzesgrundlage, heisst es, würde Jahre beanspruchen. Und von anderer Seite heisst es: Muss zuerst etwas passieren, bis der nötige gute Wille aufkommt?