Die Selbstdemontage des Geert Wilders

Der holländische Rechtsextreme Geert Wilders hetzte nach den Gemeindewahlen einmal mehr gegen Ausländer. Nun wenden sich selbst Parteigänger von ihm ab – und berichten öffentlich von einer sektenhaften Paranoia des notorischen Hetzers.

Geert Wilders (rechts) treibt selbst sein Umfeld zur Verzweiflung – hier seinen Anwalt in einem Prozess 2010. (Bild: © POOL New / Reuters)

Der holländische Rechtsextreme Geert Wilders hetzte nach den Gemeindewahlen einmal mehr gegen Ausländer. Nun wenden sich selbst Parteigänger von ihm ab – und berichten öffentlich von einer sektenhaften Paranoia des notorischen Hetzers.

Die niederländischen Gemeindewahlen am 19. März waren ein wichtiger Test für die Regierungskoalition. Sie bestand ihn nicht, mussten doch sowohl die rechtsliberale VVD als auch die Sozialdemokraten deutliche Verluste hinnehmen. In den Medien aber waren in den Tagen danach weniger die Resultate ein Thema als einmal mehr Geert Wilders.

Der platinblonde Rechtspopulist hetzte während seiner Wahlparty erneut gegen Ausländer. Anders als bei früheren Attacken sieht er sich nun aber mit einer heftigen Protestwelle konfrontiert, und zwar auch parteiintern.

Selbst treue Anhänger wenden sich ab

Dabei könnte man meinen, die Niederländer hätten sich längst an Wilders provozierende, ausländerfeindliche Attacken gewöhnt. Seit er 2006 die Partei für die Freiheit (PVV) gründete, erhitzt sie die Gemüter. Wilders geht bewusst an die Grenzen und stellt sich nach von ihm provozierten Kontroversen als Opfer dar. Jetzt aber scheint er den Bogen überspannt zu haben, denn selbst treue Anhänger wenden sich nun ab. Bewusste Strategie oder hat Wilders sich diesmal tatsächlich verkalkuliert?

Unüberlegt schien sein neuerlicher Ausbruch jedenfalls nicht. «Das darf ich eigentlich nicht sagen, sonst gibt es wieder eine Anzeige», prophezeite Wilders am Abend der Gemeindewahlen, und dann tat er es doch: «Wollt ihr in dieser Stadt mehr oder weniger Marokkaner?», fragte er seine Anhänger in einer Kneipe in Den Haag. «Weniger, weniger, weniger!», skandierte die Menge wieder und wieder, bis Wilders dem Spuk lächelnd ein Ende machte: «Dann regeln wir das», meinte er zufrieden.

Wilders beherrscht seit Jahren die politische Debatte in den Niederlanden, doch diesmal ging er sogar für den «Telegraaf» zu weit. Die grösste Zeitung des Landes hütet sich normalerweise, gegen Wilders Stellung zu beziehen, befinden sich unter ihren Lesern doch viele PVV-Wähler. Nun aber verurteilte die Chefredaktion den Kneipen-Vorfall als eine der ersten Zeitungen.

Anzeigen auf vorgedruckten Formularen

Auch die Öffentlichkeit reagierte mit Abscheu. Am 21. März, dem internationalen Tag gegen Rassismus, gingen in Amsterdam 6000 statt den erwarteten 3000 Menschen auf die Strasse. Es hagelt derart viele Strafanzeigen gegen Wilders, dass die Staatsanwaltschaften aufgehört haben zu zählen. Allein in der Stadt Nijmegen erstatteten letzten Dienstag mehr als 500 Menschen Anzeige gegen den Politiker. Ungefähr die Hälfte von ihnen marschierte gemeinsam mit dem Bürgermeister zum Polizeiposten. Dort hatte man vorsorglich bereits vorgedruckte Anzeigeformulare bereitgelegt.

Laut Juristen haben die Strafanzeigen gegen Wilders diesmal gute Chancen. Bislang hatte der Rechtspopulist lediglich die Ausweisung krimineller Ausländer gefordert. 2011 wurde er vom Vorwurf der Anstachelung zum Hass freigesprochen mit der Begründung, seine Kritik hätte sich gegen den Islam als Religion, nicht aber spezifisch gegen deren Anhänger gerichtet.

Exodus der Parteimitglieder

Genau diese Grenze hat er nun mit seiner pauschalen Verunglimpfung einer gesamten Bevölkerungsgruppe überschritten, meinen sogar treue Anhänger. Knapp 24 Stunden nach dem Ausbruch in der Kneipe kehrte der erste Abgeordnete der Partei den Rücken. Die neuste Marokkaner-Hetze sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagte  Parlamentarier Roland van Vliet. «Erst ging es noch um die islamistischen Auswüchse, dann um kriminelle Ausländer, und nun geht es um eine gesamte Bevölkerungsgruppe. Ich kann für mich selbst nicht mehr rechtfertigen, was bei der PVV passiert.»

Sieben weitere Parteigenossen folgten seinem Beispiel. Mittlerweile hat die PVV zwei Parlamentsabgeordnete sowie fünf Provinzparlamentarier verloren. Auch Laurence Stassen, Fraktionsvorsitzende der PVV im europäischen Parlament, verabschiedete sich von der Partei.

Das ist ein harter Schlag für Wilders. Mit Stassen verliert er nicht nur eine populäre, charismatische Politikerin, sondern auch seine Spitzenkandidatin für die Europawahlen am 22 Mai. Die PVV steuerte laut Umfragen auf einen Sieg zu und hätte die grösste niederländische Partei im EU-Parlament werden können. Das wäre ein wichtiger Erfolg gewesen für Wilders, der dort zusammen mit der französischen Front National und anderen euroskeptischen und nationalistischen Parteien eine Anti-EU-Allianz schmieden will mit dem gemeinsamen Ziel, «Europa vom Monster aus Brüssel zu befreien».

2009 forderte Wilders eine Abgabe für Kopftücher, die sogenannte «Kopflappensteuer».

Doch während Marine Le Pen sich derzeit die grösste Mühe gibt, den Front National von seinem rassistischen Ruf zu befreien, wählt Wilders in den Niederlanden anscheinend bewusst die politische Isolation. Sämtliche Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der PVV mittlerweilen ausgeschlossen, die mitregierende Arbeiterpartei PvdA meinte, sie werde ab sofort jede PVV-Motion, ungeachtet des Inhalts, ablehnen. Unter massivem politischem Druck distanzierte sich am Sonntag sogar der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte, einst ein politischer Freund von Wilders.

«Heuchlerisch», findet das Meindert Fennema, emeritierter Politikwissenschaftsprofessor der Universität von Amsterdam. «Wilders hat diese Grenze, falls es sie überhaupt gibt, längst überschritten.» In 2009 zum Beispiel, als er eine Abgabe für Kopftücher forderte, die sogenannte «Kopflappensteuer» in Höhe von 1000 Euro pro Jahr. «Mit Grenzüberschreitungen hat das wenig zu tun», findet Fennema: «Die rechten Parteien profitieren lediglich von der Volkswut, sie betreiben puren Opportunismus.»

Ein manipulativer Despot

Koen Vossen, Autor des Buches «Rundum Wilders. Portrait der PVV», sieht das ähnlich. Der Austritt der PVV-Mitglieder sind seiner Meinung nach nicht aus moralischen Bedenken erfolgt. «Wer so prinzipientreu ist, hätte schon vorher Konsequenzen gezogen», meint er. Die Marokkaner-Hetze sei eine gute Ausrede, sicherlich aber nicht der Grund. «Es geht um Wilders als Person und um seinen Führungsstil», meint Vossen.

Wilders ist nicht nur Gründer und Gesicht der PVV, er ist auch ihr einziges registriertes Mitglied. Es gibt Spender, Unterstützer, Abgeordnete – doch Wilders bestimmt im Alleingang den Kurs der Partei und seine Mitstreiter wählt er sorgfältig aus.

Dies sorgte in den letzten zwei Jahren vielfach für Schwierigkeiten. Seit im Sommer 2012 zwei prominente Mitglieder die Partei verliessen, die Parteiführung einer «Politbüro»-artige Bevormundung bezichtigten und Wilders mit Kim Jong-Il verglichen, kehren immer mehr Politiker der Partei den Rücken. Stets mit der gleichen Begründung: Wilders regiere die Partei wie ein manipulativer Despot, der keinen Widerspruch dulde und keine Kritik ertrage.

Die Partei als Sekte

Für einiges Aufsehen sorgte im Februar ein Artikel in der renommierten Zeitschrift «HP de Tijd», in dem fünf vormalige PVV-Abgeordnete, drei davon anonym, die Partei mit einer Sekte vergleichen und Wilders eine psychopathische Persönlichkeitsstörung unterstellten.

Ex-PPVler Paul ter Linden meinte, es wäre schwierig gewesen, sich von den paranoiden Ängsten zu befreien, die in der Partei geschürt werden. «Ich sagte keinem meinen Nachnamen, und keiner durfte mich im Ausgang fotografieren. Ich traute mich nicht einmal mehr auszugehen. Überall seien Journalisten, und die hätten Mikrofone mit einer Reichweite von bis zu 500 Metern, wurde uns erzählt.» Wilders sei ein Kontrollfreak und lebe in ständiger Angst, verraten zu werden.

Fennema glaubt, dass vor allem die mangelnden Führungsqualitäten Wilders nu zum Verhängnis wurden. «Er kommuniziert nicht, ist ein Einzelgänger und gibt nie Feedback, bis er eines Tages ausrastet.» Die internen Streitigkeiten sind ein Problem für Wilders, meint Fennema, und zwar ein viel grösseres als die allgemeine Volkswut oder der Umstand, dass er vorläufig nicht mitregieren kann. «Interner Streit kann einer so kleinen Partei schnell zum Verhängnis werden», meint Fennema. Womöglich erledigt sich Wilders‘ fremdenfeindliche Truppe bald selber.

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