Die klare Mehrheit der Serben wählte am 24. April proeuropäische Parteien. Gleichzeitig ist das Land emotional viel stärker mit Russland verbunden. Die Regierung bedient trotz Widersprüchen beide Sehnsüchte.
Die Bürger von Serbien würden über den EU-Kurs des Landes abstimmen. So hat der serbische Premierminister Aleksandar Vučić die vorgezogenen Neuwahlen im westlichen Ausland verkauft. Tatsächlich haben die Parteien, welche die Zukunft des Landes in der EU sehen, die Wahlen am 24. April auch klar gewonnen. Die Fortschrittspartei (SNS) konnte ihre absolute Mehrheit verteidigen und holte über 48 Prozent der Stimmen.
Die prorussischen Parteien konnten zwar zulegen, werden sich aber in keiner Regierungskoalition wiederfinden. Mit rund acht Prozent der Stimmen wurde die rechtsextreme SRS (Srpska Radikalna Stranka) drittstärkste Kraft im Parlament. Die Partei wirbt für ein Grossserbisches Reich, lehnt einen EU-Beitritt strikt ab und sieht die Zukunft Serbiens in einem Bündnis mit Russland. Auch die rechtsextreme Partei Dveri konnte dank einem Wahlbündnis mit der nationalkonservativen DSS ins Parlament einziehen. Zählt man die Kleinparteien dazu, haben aber bloss 14,87 Prozent der serbischen Wähler ihr Kreuz bei einer prorussischen Partei gemacht.
Lässt sich aus dem Wahlergebnis also ablesen, dass die Serben es gar nicht erwarten können in die EU zu kommen?
Ganz so einfach ist es nicht.
Die Opposition wird an den Rand gedrängt
Kaum ein Polit-Beobachter glaubt, dass es bei den vorgezogenen Wahlen wirklich um eine Abstimmung über die serbische Zukunft in der EU ging. Experten wie der Politologe Florian Bieber sehen andere Gründe dahinter: «Die Regierung will sich auf der Höhe ihrer Macht vier weitere Regierungsjahre sichern. Ausserdem helfen der ständige Wahlkampf und die mediale Dauerpräsenz von Premierminister Vučić der Regierungspartei dabei, die Opposition zu marginalisieren.»
In einer Umfrage sprachen sich 67,2 Prozent der Serben für ein Bündnis mit Russland aus.
Der Mehrheit der Bürger ist das egal. Sie assoziiert mit der EU-Mitgliedschaft steigenden Wohlstand, genau so wie es Premierminister Vučić beabsichtigt hat. Er hat die Serben von der Notwendigkeit eines EU-Beitritts überzeugt. Ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner des Landes doch die Union. Kein Wunder antwortete jeder zweite Serbe in einer von der Wochenzeitung «Vreme» veröffentlichten Umfrage, dass er sich einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft wünscht.
Aber weder die Umfrageergebnisse noch die Politik der regierenden nationalkonservativen SNS ist ein Zeichen der Verbundenheit mit europäischen Werten. In derselben «Vreme»-Umfrage sprachen sich 67,2 Prozent der Serben für ein Bündnis mit Russland aus – sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Die NATO-Bomben von 1999 hallen in den Köpfen nach
Russland hat Investitionen versprochen und nährt die Hoffnung auf Exporte für die serbische Wirtschaft – bisher blieb beides spärlich. Aber dennoch ist die Verbindung intakt zwischen den beiden Ländern: Belgrad hält Putin zu Ehren eine Militärparade ab und russische Interessenvertreter setzen auf Identitätspolitik und betonen die Verbundenheit der beiden christlich-orthodoxen Völker.
Dass sich Putin-T-Shirts in Belgrad gut verkaufen, ist letztlich auch dem weit verbreiteten Antiamerikanismus geschuldet. Die Bombardierung des Landes durch die NATO von 1999 ist in Serbien noch sehr gut in Erinnerung. Daran beteiligt waren auch die EU-Staaten – viele Serben würden sich deshalb lieber in Richtung des grossen Bruders im Osten orientieren.
Die Umfrageresultate zeigen letztlich die Hoffnung der Serben: Sie wünschen sich den Wohlstand der EU und die Liebe von Russland. Und viele glauben auch, dass sie beides haben können. Die Verantwortung dafür trägt nicht zuletzt die aktuelle Regierung. Präsident Tomislav Nikolić und Premier Vučić führen in den von ihnen kontrollierten Medien regelmässig ein Schauspiel auf, dass beide Seiten bedient: Der Präsident zeigt sich prorussisch und betont die Bedeutung der gemeinsamen Geschichte, während Premier Vučić erzählt, ein EU-Beitritt bringe den Serben wirtschaftlichen Wohlstand.
«Aleksandar Vučić wirbt nur mit wirtschaftlichen Argumenten für die EU. Die Werte, für die die EU steht, vernachlässigt er.»
Die Medien erzählen zudem überproportional viele Erfolgsgeschichten über den wirtschaftlichen Aufschwung; in Wahrheit sind die bisherigen Ergebnisse der Annäherung an die EU aber spärlich. Das Wirtschaftswachstum ist schwach und die meisten Serben haben heute weniger in der Tasche als 2013.
Die Fokussierung auf die wirtschaftlichen Aspekte wird entsprechend kritisiert, etwa vom deutschen SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratović. Er unterstützt zwar den EU-Kurs der serbischen Regierung, sagt aber auch deutlich: «Aleksandar Vučić wirbt nur mit wirtschaftlichen Argumenten für die EU. Die Werte, für die die EU steht, vernachlässigt er dabei. Es müsste eine starke Opposition links von Vučić geben, damit sich daran etwas ändert.»
Die Regierung will den Beitritt – und zerstört selber die Grundlagen dafür
Tatsächlich dürfte Premierminister Vučić dank den erstarkten prorussischen Parteien nun aber noch weiter rechts politisieren, wie Politologe Bieber erklärt: «Dveri und SRS bieten der Regierung um Aleksandar Vučić eine Hilfestellung dabei, eine Drohkulisse aufzubauen. Weil nun rechtsextreme Parteien im Parlament vertreten sind, kann die Regierung nationalistischere Positionen einnehmen und darauf verweisen, dass ansonsten die extreme Rechte erstarkt.»
Vučić und seinen Parteikollegen dürfte dies nicht allzu schwerfallen, ein Grossteil von ihnen – auch Vučić selbst – war in der 1990er-Jahren auf der Seite Slobodan Miloševićs oder hat gegen ihn opponiert, weil er ihnen nicht nationalistisch genug war. Bis vor wenigen Jahren waren die meisten Mitglieder der SNS noch selbst stramm prorussisch eingestellt.
Eine wirkliche Chance hätte eine Opposition allerdings auch sonst kaum. Die Regierungspartei SNS kontrolliert weite Teile der serbischen Medien und untergräbt systematisch Zivilgesellschaft, Opposition und demokratische Institutionen. Damit zerstört die Regierung einerseits die Grundlagen für den EU-Beitritt, während sie andererseits ein freundliches Gesicht aufsetzt und betont, alle Beitrittskriterien erfüllen zu wollen.
Und die Bevölkerung? Sie folgt ihrer Regierung und deren Argument des wirtschaftlichen Aufschwungs auf dem Weg Richtung EU. Dem Staatenbündnis droht damit ein weiteres Mitglied, dessen politische Führung es mit den Grundwerten der Gemeinschaft nicht so ernst nimmt.