Die Sioux kämpfen gegen die «schwarze Schlange»

Seit zwei Jahren protestieren indigene Stämme gegen den Bau einer Ölpipeline in North Dakota. Sie befürchten die Verschmutzung des ihnen heiligen Landstrichs. Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung. Entgegen Präsident Obamas Empfehlung soll die Pipeline vor Ende des Jahres wie geplant fertig gebaut werden.

People wear gas masks next to the pipeline route during a protest against the Dakota Access pipeline near the Standing Rock Indian Reservation in St. Anthony, North Dakota, U.S. November 11, 2016. REUTERS/Stephanie Keith

(Bild: STEPHANIE KEITH)

Seit zwei Jahren protestieren indigene Stämme gegen den Bau einer Ölpipeline in North Dakota. Sie befürchten die Verschmutzung des ihnen heiligen Landstrichs. Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung. Entgegen Präsident Obamas Empfehlung soll die Pipeline vor Ende des Jahres wie geplant fertig gebaut werden.

In einer Ebene zwischen sanften Hügeln trifft der Cannonball River auf den Missouri, den längsten Fluss Nordamerikas. Rauch von Lagerfeuern und improvisierten Küchen steigt zusammen mit Trommelrhythmen aus der Flussebene auf. Männer und Frauen in den farbenfrohen Gewändern indigener Stämme oder in Jeans und Sweatshirts reiten zwischen Wohnmobilen, Tipis, Zelten, Pick-up-Trucks und transportablen Toiletten auf beiden Seiten des Cannonball Rivers auf und ab.

Das ist keine Szene aus einem modernen Hollywood-Western. Zwischen bunten Fahnen der Stämme stehen Protestschilder mit Aufschriften wie «Schützt das Wasser und Mutter Erde», «Lasst das Öl in der Erde» und «Wasser ist Leben». Hier kämpfen Nachfahren der Ureinwohner von Amerika gegen eine Ölpipeline, die Land zu zerstören droht, das ihnen heilig ist. Bedroht ist auch eine Wasserquelle, von der Millionen Menschen abhängig sind.

Neben den Lagern bewegen Bulldozer und Bagger die Erde, bewacht von bewaffneten Sicherheitskräften und durch Stacheldraht von den Demonstranten getrennt. Sie ziehen einen weiten Graben durch die Hügel, in dem 75 Zentimeter dicke Rohre liegen – die zukünftige Dakota Access Pipeline.

«Warum müssen wir immer für unser Land kämpfen?»



REFILE - CLARIFYING LOCATION Horse riders from the Bigfoot Riders, Dakota 38 Riders, Spirit Riders and the Bigfoot Youth Riders arrive at the Oceti Sakowin camp during a protest of the Dakota Access pipeline near the Standing Rock Indian Reservation near Cannon Ball, North Dakota November 5, 2016. REUTERS/Stephanie Keith

Oft genug vom versprochenen Land vertrieben: Die indigenen Stämme sind im Protest gegen die Pipeline vereint. (Bild: STEPHANIE KEITH)

«Dies ist der Ort, an dem unsere Vorfahren sich niederliessen, weil nach einem Dammbau der US-Regierung ihre früheren Dörfer überflutet wurden. In diesem Tal, auf diesen Hügeln liegen die Grundsteine für unsere Tradition und Geschichte», erklärt LaDonna Brave Bull Allard. Sie ist Mitglied des Standing Rock Sioux Tribe, durch dessen Land die Pipeline führen soll. Im April hat sie das erste Protestlager am Fluss mitbegründet, das Sacred Stone Camp.

1868 hat die Regierung den Sioux Landrechte garantiert. Seither kämpfen sie um diese Rechte.

1868 hat die US-Regierung den Sioux Landrechte über ein weites Gebiet am Fluss garantiert. Seither kämpfen die Sioux um diese Rechte. Die Regierung verkleinerte das Reservat in mehreren Schritten. 1959 versanken mehrere Dörfer hinter dem erwähnten Damm im Wasser. «Warum muss unser Volk immer wieder und bis heute um sein eigenes Land kämpfen?», fragt Allard.

Ihr Stamm, der ursprünglich «The Buffalo People» genannt wurde – die Büffelleute –, habe seit Generationen die Erde, das Wasser und die Luft beschützt und werde das auch weiter tun. «Auf den Hügeln, durch die die Pipeline gebaut wird, haben unsere Vorfahren wichtige Zeremonien abgehalten. Unter dem Gras der Ebene sind Grabstätten. Der Medicine Rock steht auf dem Gelände, ein Fels, der uns Auskunft über die Zukunft gibt.» Sie will nicht zulassen, dass Bauarbeiten diese Geschichte missachten und das Land zerstören.

Mehrere Hundert Demonstranten haben sich inzwischen dauerhaft dem Protest angeschlossen, darunter Vertreter von indigenen Stämmen aus allen Regionen der USA. An manchen Wochenenden stellen sich über tausend Demonstranten dem Pipeline-Bau entgegen.

Politisches Spiel um die Lebenslinie der Sioux

Die Dakota Access Pipeline soll über knapp 1900 Kilometer Öl Richtung Südosten nach Illinois bringen, jeden Tag bis zu 500’000 Barrel. Das sind fast 80 Millionen Liter. Um das 3,8 Milliarden Dollar teure Projekt zu vollenden, muss der Missouri untertunnelt werden. Die Gefahr sei gross, dass dabei das Wasser verschmutzt werde, warnen die Gegner. Ein Leck könnte die Trinkwasserquelle für Millionen Menschen zerstören.

Die Baufirma erklärt dagegen, dass ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen seien, und beruft sich auf die Genehmigungen für den Pipeline-Bau, die sie von lokalen und von Bundesbehörden bekommen hat. Das Wegrecht für die letzten Meter unter dem Fluss steht allerdings noch aus.

Präsident Barack Obama hat den Konzern Energy Transfer Partners nach eskalierenden Konfrontationen zwischen Demonstranten und Sicherheitspersonal der Baufirma um einen vorübergehenden Stopp der Arbeiten gebeten. «Wir werden prüfen, ob der Konflikt so gelöst werden kann, dass die Traditionen der ersten amerikanischen Bürger angemessen berücksichtigt werden können», sagte er im September. Die Gegner der Pipeline begrüssten diese Nachricht, selbst wenn sie sich mehr Unterstützung vom Präsidenten erhofft hatten. «Der erste Funken Hoffnung seit Wochen! Nein, Monaten!», erklärte die Sprecherin des Netzwerks indigener Umweltaktivisten, Kandi Mossett.

Doch die Baufirma gab wenig später bekannt, dass sie noch im November mit den Bohrungen für den Tunnel unter dem Missouri beginnen und das Projekt vor Jahresende vollenden werde.

Kampf abseits der Kameras

Lange Zeit haben die US-Medien den Protest der Standing Rock Sioux gegen die Pipeline ignoriert und in den USA war wenig bekannt über die Situation am Missouri. Das änderte sich am 3. September 2016. Die mehrfach preisgekrönte Journalistin Amy Goodman von «Democracy Now!» reiste an den Fluss und machte mit ihrem Team Filmaufnahmen. Sie zeigte, wie Sicherheitskräfte mit Pfefferspray und Hunden gegen Demonstranten vorgingen. Demonstranten hielten Bisswunden in die Kamera, ein gefilmter Schäferhund hatte Blut an der Schnauze.

Das Video verbreitete sich wie ein Lauffeuer über soziale Medien. LaDonna Brave Bull Allard bekam Gelegenheit, sich im Studio zu dem Zwischenfall zu äussern. Die Unterstützung für die Demonstranten und ihren Kampf um sauberes Wasser sowie Respekt für ihre heiligen Orte wuchs.  

Mehrfach gab es Auseinandersetzungen an der Pipeline, manchmal angeheizt durch lokale Polizeikräfte, die mit Militärfahrzeugen und automatischen Waffen Stellung gegen die gewaltfreien Demonstranten beziehen. Mehrere Hundert Menschen wurden verhaftet, darunter auch Journalisten. Lokale Behörden stellten für Amy Goodman einen Haftbefehl wegen unerlaubten Betretens eines Grundstücks aus. Als Goodman zum Gerichtstermin erschien, lehnte es der zuständige Richter wegen Mangels an Beweisen ab, einen Prozess zu eröffnen.

Inzwischen ist die Aufmerksamkeit der Medien wieder verebbt. Das liegt zum einen an der Präsidentschaftswahl, aber auch daran, dass North Dakota meilenweit entfernt ist von grossen Fernsehstudios und den Büros der Korrespondenten. So bleiben vor allem Facebook, Twitter und Co, um sich über die Situation am Cannonball River zu informieren.

Zwei Prophezeiungen

LaDonna Brave Bull Allard harrt im Lager aus. Sie ist ermutigt durch die Solidarität der anderen Stämme und die Unterstützung von Menschen, die aus allen Teilen der Welt anreisen, um den Kampf zu unterstützen. Sie erzählt von zwei Prophezeiungen aus dem späten 19. Jahrhundert: Medizinmann Black Elk vom Stamm der Lakota sagte damals voraus, dass sieben Generationen später die indigenen Stämme Amerikas zusammenkommen würden, um die Welt zu retten.

«An diesem Fluss sind jetzt so viele Stämme zusammengekommen wie noch nie zuvor in unserer Geschichte, um das Wasser zu schützen. Wasser ist Leben. Für uns alle!»


LaDonna Brave Bull Allard, Aktivistin

Die zweite Prophezeiung kündigt die Ankunft einer schwarzen Schlange an, die die Welt bedrohen werde. «Die schwarze Schlange ist das Öl, das durch die Pipeline fliesst», erklärt Allard. So interpretiert ihr Stamm die Prophezeiung. «Und an diesem Fluss sind jetzt so viele Stämme zusammengekommen wie noch nie zuvor in unserer Geschichte, um das Wasser zu schützen. Wasser ist Leben. Für uns alle!»

Trotz der ermutigenden Prophezeiung zur Rettung der Welt ist die Gegenwart für die Gegner der Pipeline ernüchternd. Mit der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten verschlechtern sich die Aussichten auf einen Stopp der Bauarbeiten, denn der pflegt gute Beziehungen zur Pipeline-Gesellschaft.

Der Immobilienmogul hat zwischen 500’000 und eine Million Dollar in Energy Transfer Partners investiert. Deren Geschäftsführer Kelcy Warren spendete über 100’000 Dollar für Trumps Wahlkampf.  Das geht aus Papieren hervor, die der zukünftige US-Präsident als Kandidat veröffentlichen musste. Warren sagte dem Fernsehsender CBS drei Tage nach der Wahl, er sei «100 Prozent zuversichtlich», dass Trump helfen werde, das Projekt zu beenden.

In den Lagern am Cannonball River beraten unterdessen stolze Nachfahren der ersten Amerikaner, wie sie gemeinsam den Kampf gegen die schwarze Schlange trotzdem noch gewinnen können.

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