Die unbeachtete Krise

Die Welt sorgt sich um Griechenland, Spanien und Portugal. Doch worüber kaum einer spricht: In vielen Ländern Osteuropas ist die Krise noch weit dramatischer. Bislang fehlen Konzepte, damit die Länder nicht noch weiter zurückfallen.

Rumänen protestieren im Oktober 2012 … (Bild: George «Poqe» Popescu, n-ost)

Die Welt sorgt sich um Griechenland, Spanien und Portugal. Doch worüber kaum einer spricht: In vielen Ländern Osteuropas ist die Krise noch weit dramatischer. Bislang fehlen Konzepte, damit die Länder nicht noch weiter zurückfallen.

Gabriela Vernat ist wütend. Die 61-jährige Rentnerin wohnt in einem Plattenbauviertel am Rand von Bukarest. Vor einem Jahr fuhr sie jeden Tag in die Innenstadt, um gegen die drastischen Sparmassnahmen der damaligen Regierung zu protestieren. Bei winterlichen Temperaturen von bis zu minus 20 Grad demonstrierte die elegante Dame zusammen mit tausenden anderen Rumänen gegen die Kürzungen, die Staatspräsident Traian Basescu und sein damaliger Premier Emil Boc durchgesetzt hatten. 

 «Die beiden haben das Land in die Katastrophe geführt. Nachdem ich 35 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet habe, muss ich mich jetzt für meine gekürzte und niedrige Rente schämen. Ich kann nicht mal meine Heizungsrechnung zahlen. Das ist eine furchtbare Erniedrigung», empört sich Vernat.

Geplatzte Blasen

Die Welt sorgt sich um Griechenland, Spanien und Portugal. Doch worüber kaum einer spricht: Viele Länder Osteuropas trifft die Krise ebenso drastisch, teilweise sogar noch härter. Rumänien, ein Land, in dem das monatliche Durchschnittseinkommen kaum 300 Euro beträgt, hat 2010 und 2011 wegen der Finanzkrise ein beispielloses Sparprogramm umgesetzt. Die Immobilien- und Konsumblase, die um den EU-Beitritt entstanden war, platzte zum gleichen Zeitpunkt wie in Spanien. Heute haben sich die Immobilienpreise in Bukarest mehr als halbiert, überall ragen Bauruinen in den Himmel. 

Auch in anderen osteuropäischen Ländern sieht es düster aus. In Tschechien und Ungarn beispielsweise schrumpfte die Wirtschaft im vergangenen Jahr um ein Prozent. Selbst das einstige Musterland Slowenien, das als erstes neues EU-Mitglied 2007 den Euro einführte, steckt in einer schweren Rezession. Viele Staaten, darunter Ungarn und Rumänien, unterzeichneten Rettungsabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und mit der EU-Kommission. 

Sparen auf Teufel komm raus

«Die Sparauflagen waren nicht realistisch, doch die Regierung setzte darüber hinaus sogar Kürzungen durch, die der IWF gar nicht verlangte», stellt der rumänische Publizist Costi Rogozanu fest. «Weil wir ein griechisches Szenario partout vermeiden wollten, müssen wir aus eigener Initiative den sowieso schwachen Sozialstaat abbauen, so die Linie von Basescu.» Löhne und Gehälter in Rumäniens öffentlichem Sektor wurden um 25 Prozent gekürzt, Sozialleistungen wie das Elterngeld gestrichen, ein Viertel der Krankenhäuser geschlossen und mehr als 100’000 Stellen im Staatsdienst abgebaut. 

Kaum besser sieht es auf dem Balkan aus, dessen Länder als nächstes in die EU streben. Die Kreditwürdigkeit Kroatiens, das ab Juli EU-Mitglied ist, wurde erst im Dezember auf Ramschniveau herabgestuft. Die Krise traf auch das Nachbarland Serbien besonders schwer. Schon zuvor mangelte es an Wettbewerbsfähigkeit. 

Industrie baut ab

«In der serbischen Industrie sind in den vergangenen 20 Jahren 620’000 Arbeitsplätze verloren gegangen», sagt Dragan Matic von der Unabhängigen Industrie-Gewerkschaft in Belgrad. «Das heisst: Zwei von drei Arbeitsplätzen in der Industrie sind heute weg.» 

In Smederevo beispielsweie, einer Stadt mit etwa 110’000 Einwohnern, machte Anfang 2012 der wichtigste Arbeitgeber, ein Stahlwerk, dicht. Die über 5000 Beschäftigten sind in Kurzarbeit, Wiedereinstieg offen.

2012 ist die serbische Wirtschaft um rund zwei Prozent geschrumpft, es ist bereits die zweite Rezession nach 2009. Die Doppelrezession war zu viel: Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 28 Prozent und damit etwa so hoch wie in den Krisenstaaten Spanien und Griechenland.

Serbien und andere Balkanländer sind auch deshalb so betroffen, weil sie mit zwei Euro-Krisenstaaten besonders gute wirtschaftliche Beziehungen haben: Griechenland und Italien. «Vieles wird davon abhängen, wie sich die wirtschaftliche Situation in der Eurozone entwickelt. Denn schliesslich realisieren die Länder Südosteuropas in der Regel mindestens die Hälfte ihres Warenaustausches mit den EU-Ländern», sagt Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.

Resignation und Hoffnungslosigkeit

Dass es auf dem Balkan nicht längst zu Massendemonstrationen wie in Griechenland oder Spanien gekommen ist, lässt sich nur mit der verbreiteten Resignation und Hoffnungslosigkeit erklären. Anders als in Südeuropa erfährt die Region keinen Absturz, sondern liegt seit langem am Boden. Renten und Löhne schmelzen dahin angesichts steigender Preise: Nahrungsmittel wurden in Serbien zuletzt binnen Jahresfrist um 13 Prozent teurer. 40 Prozent der Haushaltseinkommen gehen für Lebensmittel drauf.

Kroatien hat derzeit immerhin die Hoffnung, dass die Lage sich nach dem voraussichtlichen EU-Beitritt am 1. Juli bessert, etwa, weil mehr Geld aus EU-Fördertöpfen ins Land fliesst. Noch ist davon wenig zu sehen. Auch in Kroatien ist die Arbeitslosigkeit in die Höhe geschossen. Sie liegt derzeit bei 17 Prozent und ist damit etwa doppelt so hoch wie noch 2008.

Quadratur des Kreises 

In Rumänien gibt es für die Rentner zumindest wieder etwas Hoffnung: Die drastische Rentenkürzung scheiterte inzwischen am Verfassungsgericht, auch die Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge wurde nachträglich für gesetzwidrig erklärt. Die linksliberale Regierung des heutigen Premiers Victor Ponta befindet sich in einer schwierigen Situation: Ponta muss Rentnern wie Gabriela Vernat die illegal abkassierten Beträge zurückerstatten. Ausserdem hat er versprochen, auch die Löhne wieder zu erhöhen und in die Infrastruktur zu investieren. «All das, ohne die mit dem IWF vereinbarten Sparziele zu überschreiten, ist eine wahre Quadratur des Kreises», sagt der rumänische Wirtschaftsexperte Cristian Ogonas. 

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