Die Unia duldet keinen Arbeitskampf in den eigenen Reihen

Die winzige Basis 21 gegen die übermächtige Unia: Zwei Gewerkschaften bekämpfen sich erbittert, obwohl sie behaupten, die gleichen Ziele zu verfolgen. Was steckt hinter dem Konflikt?

Basis 21 wirft der Unia vor, die eigenen Angestellten schlecht zu behandeln.

(Bild: Matthias Oppliger)

Die winzige Basis 21 gegen die übermächtige Unia: Zwei Gewerkschaften bekämpfen sich erbittert, obwohl sie behaupten, die gleichen Ziele zu verfolgen. Was steckt hinter dem Konflikt?

Im Kongresshaus Biel herrscht eine aufgeräumte Stimmung: Die Gäste stehen beim Znüni. Es wird multilingual geplaudert, mindestens in allen Landessprachen. Die Unia, die grösste Gewerkschaft der Schweiz, feiert ihr Zehn-Jahre-Jubiläum standesgemäss. Zwischen Kuchenbuffet, Sichtbetonwänden und weiss uniformiertem Servicepersonal haben sich mehrere Hundert Unia-Mitarbeiter versammelt. Es ist bald 11 Uhr vormittags und als Nächstes steht die «Marshmallow-Challenge» auf dem Programm. Dabei sollen laut Flyer «Kreativität, Innovation und Zusammenarbeit» getestet werden.

Nur wenige Meter entfernt hält in einer Seitenstrasse ein weisser Camper. Eine kleine Gruppe steigt aus und entrollt ein rotes Banner, darauf steht «Unia macht krank». Hier ist die Stimmung eher nervös als heiter. Während sich jeder eine schwarze Schirmmütze aufsetzt, drückt Mario Ricciardi – ein breitschultriger, grosser Mann mit länglichen, grau melierten Haaren in einer schwarzen Softshell-Jacke – jedem seiner Mitstreiter einen Stapel Flugblätter in die Hand. Camper, Schirmmützen, Softshell-Jacken und Flugblätter ziert ein simples Logo: Ein Regenbogen, darunter steht in roten Lettern «Basis 21».



Wenig später werden sie die Jubiläumfeier der Unia stören und dort Flugblätter verteilen.

Basis 21 marschiert los: Wenig später werden die Gegen-Gewerkschafter die Jubiläumfeier der Unia stören und dort Flugblätter verteilen. (Bild: Matthias Oppliger)

Bevor sich die Gruppe in Bewegung setzt, warnt Ricciardi: «Es könnte hektisch werden. Macht euch darauf gefasst, dass sie uns rauswerfen wollen. Seid hartnäckig und lasst euch nicht abwimmeln.»

Zielstrebig marschiert das knappe Dutzend Basis-21-Aktivisten zum Kongresshaus, mitten hinein in die Znünipause der Unia-Angestellten, Ricciardi voraus. Er verteilt Flugblätter, schüttelt Hände, umarmt einzelne Personen kameradschaftlich. Während einige ihn freundlich begrüssen, das Flugblatt entgegennehmen und einige Wörter mit ihm wechseln, wenden sich andere ab. Wortlos oder mit einem bösen Kommentar: «Was willst du hier, Mario?», «Lass uns doch einfach in Frieden, Mario!», «Nicht du schon wieder, Mario?».

Eine Lautsprecherstimme bittet die Unia-Angestellten in den grossen Saal. In die Menschenmenge kommt Bewegung, die Basis-21-Gruppe löst sich im Getümmel auf. Das Banner ist nicht mehr zu sehen.

Dann kommt es zur Eskalation. Trotz der unübersichtlichen Situation hat die Unia-Führung die Störenfriede mit den Flugblättern bemerkt. Plötzlich tauchen ein paar Männer auf, ihre Namensschilder weisen sie als Unia-Kader aus, darunter der Personalchef und der Kommunikationsverantwortliche. Ihr Auftreten ist aggressiv.

Basis 21 wirft der Unia vor, die eigenen Angestellten schlecht zu behandeln.

Schärer streitet am Telefon sämtliche Vorwürfe entschieden ab und bezeichnet diese als «böse Gerüchte». «Wir gehen mit unserem Personal sehr gut um, und kommt es doch einmal zu Konflikten, dann sind die Interessen durch die interne Personalkommission bestens gewahrt.» Es könne keine Rede davon sein, dass ein «unmenschlicher Druck» auf das Personal ausgeübt werde. Ebensowenig werde ein «schikanöses Controlling» betrieben.

«Wer bei uns arbeitet, weiss genau, was wir von ihr oder ihm erwarten. Das steht im Stellenbeschrieb und wird in regelmässigen Zielvereinbarungsgesprächen wiederholt.» Ein Controlling sei bei derart klar vorgegebenen Zielen also gar nicht nötig, sagt Schärer.

Sie räumt ein, dass es Mitarbeiter gibt mit der Vorgabe jährlich 300 neue Mitglieder zu gewinnen, im Schnitt 1,5 pro Arbeitstag. «Dabei handelt es sich jedoch um spezialisierte Teams. Die machen also acht Stunden am Tag nichts anderes als Mitgliederwerbung.» Dieses Ziel sei in einem 100 Prozent Pensum gut zu erfüllen. Ein Gewerkschaftssekretär müsse zwar auch Mitglieder gewinnen, habe jedoch eine deutlich tiefere Vorgabe. Schärer will weder genaue Zahlen noch eine Bandbreite der Zielvorgaben für Gewerkschaftssekretäre angeben.

Die verhärteten Fronten zwischen der Unia und Basis 21 erklärt Schärer mit der persönlichen Vorgeschichte der involvierten Personen. «Mario Ricciardi war ein sehr guter Werber.» Es sei leider zum Bruch gekommen, als die Unia-Leitung es ablehnte, dass er künftig die Mitgliederwerbung mit einem eigenen Geschäftsmodell machen wollte. «Mario und die Unia gingen im Unguten auseinander», sagt Schärer. In der Kampagne von Basis 21 sieht sie eine durch persönliche Ressentiments geprägte, zu scharfe und ungerechtfertigte Kritik eines ehemaligen Angestellten der Unia.

Ablenkungsmanöver der Gross-Gewerkschaft

Ricciardi hat naturgemäss eine etwas andere Sicht auf seine Vergangenheit in der Unia. Die Unia versuche ehemalige Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, die sich kritisch über die Unia äussern, öffentlich zu diskreditieren, sagt er. «Corinne Schärer kennt mich nicht, wir sind uns vielleicht zweimal begegnet. Was sie über mich erzählt, hat sie alles aus zweiter Hand.» So sei er etwa nicht «Werber» gewesen, sondern Leiter der Abteilung Bau und Gewerbe für Zürich und die Nordwestschweiz. Er habe auch nicht ein «neues Modell der Mitgliederanwerbung» vorgeschlagen, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass nicht die schiere Zahl der Mitglieder entscheidend sei.

«Ich habe vorgeschlagen, den Fokus darauf zu richten, die bestehenden Mitglieder zu behalten und aktiv einzubinden.» Die Unia habe heute keine aktive Basis mehr, die sich selbst einbringe und zusammen mit der Unia für ihre Anliegen kämpfe. Als er mit seinen Ideen abblitzte, entschied sich Ricciardi, die Unia zu verlassen. «Ich konnte die Methoden der Unia nicht mehr mit meinen Überzeugungen vereinbaren, also musste ich gehen.»

Er und seine Partnerin Verena Della Picca liessen sich umgehend freistellen. «Von einem Abschied im ‹Unguten› kann keine Rede sein.» In einem Arbeitszeugnis vom Februar 2014 heisst es entsprechend: «Wir kennen Mario Ricciardi als äusserst loyale und integre Persönlichkeit, welche sich stark für die Interessen der Unia einsetzte und sich voll und ganz mit unserer Organisation identifizierte. Er genoss in allen Belangen unser volles Vertrauen.»

Ein Teil Arbeitskampf, ein Teil persönliche Abrechnung und dazu ein idealistischer Richtungsstreit: Der Konflikt zwischen dem Gewerkschaftsgiganten Unia und der Splittergewerkschaft Basis 21 tobt öffentlich. Eine Bereitschaft zur kritischen Selbstbetrachtung scheint beim mächtigsten Kämpfer für Arbeitnehmerrechte in der Schweiz jedenfalls nicht vorhanden – und mit der Basis 21 hat die Gewerkschaft nun einen Gegner, der sie mit den eigenen Waffen bekämpft.


Nach Veröffentlichung der beiden TagesWoche-Artikel «Die Unia duldet keinen Arbeitskampf in den eigenen Reihen» und «Diese beiden Gewerkschafter kämpfen gegen ihre frühere Arbeitgeberin, die Unia» legt die Gewerkschaft Unia wert auf diese Stellungnahme:

Die grosse, böse Unia («Grossgewerkschaft», «Konzern») schikaniert ihre Mitarbeiter, aber zum Glück gibt es die kleine, mutige Gewerkschaft Basis 21, die sich ihrer annimmt: Auf dieser These basieren unseres Erachtens die oben genannten Artikel. Die Unia hat Informationen zur Verfügung gestellt, die dieser These widersprechen. Etwa über die Mitgliederentwicklung der Unia Nordwestschweiz, die seit drei Jahren positiv ist. Eine solche Leistung setzt motiviertes Personal voraus. Die Unia lieferte auch Angaben zur Personalfluktuation: Schweizweit betrug sie 2013 7,6 Prozent und im letzten Jahr 6,5 Prozent. Gemäss Bundesamt für Statistik beträgt die Fluktuation in der gesamten Privatwirtschaft 10,8 Prozent, in Dienstleistungsbranchen wie Versicherungen sogar 12 Prozent. Die Bilanz der Unia Region Nordwestschweiz war 2014 sogar mit 5,2 Prozent noch besser (2013: 8,2%). Die Unia kündigt niemandem aus nichtigen Gründen. Aber die Unia verlangt von ihren Mitarbeitenden durchaus gewisse Leistungen. Den beiden Gekündigten steht nun der Rechtsweg offen – die Unia sieht diesem gelassen entgegen.

Pepo Hofstetter, Unia Zentralsekretariat, Leiter Abteilung Kommunikation + Kampagnen

Artikelgeschichte

Dieser Artikel wurde am 10.7.2015 mit einer Stellungnahme der Unia ergänzt.

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