Die Union hat schon fast verloren

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg will die CDU zurück an die Macht. Das wird ihr kaum gelingen, denn der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann kommt sogar in den Reihen der Union gut an.

CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf hat ein Problem: Der Wahlkampf dreht sich um die Flüchtlingskrise, und da liegt der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann (rechts) auf der Linie von Angela Merkel.

(Bild: FRANZISKA KRAUFMANN)

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg will die CDU zurück an die Macht. Das wird ihr kaum gelingen, denn der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann kommt sogar in den Reihen der Union gut an.

Am Ende kommt es ganz hart für Guido Wolf, den Spitzenkandidaten der CDU. Mehr als eine Stunde lang haben zwei Redakteure der «Badischen Zeitung» ihn befragt und versucht, ihn auf Positionen festzulegen. Wolf hat sich routiniert aus der Affäre gezogen, war elegant im Ungefähren geblieben.

Dann melden sich zwei Zuhörer zu Wort: «Was soll ich wählen, wenn ich mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel nicht einverstanden bin?», will eine Frau wissen. Dann erhebt sich ein Mann: «Was soll ich wählen, wenn ich Frau Merkels Politik unterstützen will?» Das Publikum lacht kurz, der befragte Politiker schluckt leer.

Dass Guido Wolf auf beide Fragen die gleiche Antwort gibt – «natürlich CDU pur» – erstaunt nicht. Es ist Wahlkampf und Wolf will in die Villa Reitzenstein in Stuttgart zurück, wo der Ministerpräsident des Landes residiert und wo nach Wolfs Überzeugung eigentlich nur ein Christdemokrat seinen Arbeitsplatz haben sollte. Dass sich dort seit fünf Jahren ein Grüner breitmacht, ist für einen aufrechten Unionsmann ein Betriebsunfall der Geschichte, der rasch korrigiert werden muss. Der nächste Termin dazu ist der 13. März, dann wird ein neuer Landtag gewählt.

Der Grüne betet für die schwarze Kanzlerin

Den Grünen loszuwerden wird allerdings nicht ganz einfach. Zumal da dieses leidige Flüchtlingsthema in der Welt ist und dazu die Bundeskanzlerin mit ihrer Wir-schaffen-das-Politik. In Angela Merkel, jahrelang das Zugpferd der Union, sehen viele in der Partei zunehmend eine Belastung. Sich von der eigenen Parteivorsitzenden zu distanzieren verbietet sich für einen loyalen Menschen wie Wolf, zumal angesichts der Verdienste Merkels.

Aber es rumort an der Basis, auch das ist Wolf nicht entgangen. Er spüre die wachsende Ungeduld, sagt er. Seither setzt er sich vorsichtig von der Bundeskanzlerin ab. Zuletzt forderte er Kontingente für die Einreise von Flüchtlingen, eine Obergrenze – also genau das, was Merkel ablehnt. Das Grundrecht auf Asyl kenne keine Obergrenze, lautet ihr Bekenntnis.

Das verbindet Merkel mit Winfried Kretschmann, dem grünen Amtsinhaber in Baden-Württemberg. Er bete jeden Tag für sie, bekannte der bekennende Katholik unlängst. Er werde sie nach Kräften unterstützen, sagt er. Das ist natürlich ein Stich ins Herz vieler Christdemokraten. Sie nennen Kretschmann mittlerweile einen Stalker und haben jetzt sogar die Kanzlerin aufgefordert, sich vom grünen Ministerpräsidenten zu distanzieren.

Gegen Kretschmann ist kein Kraut gewachsen

Die Politik steht Kopf in Deutschland in diesen Wochen, und ganz besonders gilt dies für Baden-Württemberg, wo die Nervosität nochmals grösser ist. Bei der Landtagswahl 2011 sackte die CDU nach 58 Jahren Dauerherrschaft auf 39 Prozent ab und verlor die Regierungsmehrheit im Parlament an die von den Grünen geführte Koalition.

Bei den Christdemokraten schrieb man das den besonderen Umständen jener Wochen zu: Der Streit um den Stuttgarter Bahnhofsneubau war gerade eskaliert, es gab hässliche Bilder eines Polizeieinsatzes gegen Bürger, in Fukushima brannten zwei Wochen vor der Wahl auch noch ein paar Atomreaktoren durch.

Kretschmann strahlt weniger den Willen zur Macht aus, als dass er die Last verkörpert, welche die Verantwortung mit sich bringt.

Zudem führte mit Stefan Mappus ein konfrontativer Dickkopf die Regierung, der die Sehnsucht nach einem Landesvater so gar nicht bediente. Nach einer Phase der Besinnung und Neuaufstellung wollte man 2016 zurück an den angestammten Platz, an die Schalthebel der Macht.

Und jetzt das: Winfried Kretschmann erfreut sich mit einer Zustimmungsquote von 72 Prozent einer solchen Beliebtheit im Land, dass gegen ihn keine Wahl zu gewinnen ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Kretschmann ist ruhig und besonnen, verbindlich und verlässlich. Er strahlt weniger den Willen zur Macht aus, als dass er die Last verkörpert, welche die Verantwortung mit sich bringt.

Der Landesvater war mal Kommunist

Wenn das Modewort authentisch auf jemanden in der Politik zutrifft, dann auf Kretschmann. Gefragt, ob Marokko, Tunesien und Algerien nicht doch zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollten, sagt Kretschmann: «Ich weiss es nicht, ich muss das prüfen und bewerten und mal in Ruhe darüber nachdenken. Denn das hat ja Konsequenzen.»

Da ist einer, der es sich nicht leicht macht. Das schätzen die Menschen an ihm. «Ein grüner Teufel» nennt ihn der Linken-Spitzenkandidat Bernd Riexinger – ein bewusstes Wortspiel auf den Namen des ehemaligen und noch immer sehr populären Ministerpräsidenten Erwin Teufel.

Beifall und Buhrufe – in solchen Momenten läuft Kretschmann zu Hochform auf.

Wie Teufel ist Kretschmann in seiner Wertehaltung eher konservativ, aus seiner studentischen Kampfzeit beim Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) hat er sich bewahrt, keinem Streit aus dem Weg zu gehen. Er legt sich mit alten Weggefährten wie der Lehrergewerkschaft oder den Gegnern des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofes ebenso an wie mit jenen Naturschützern, die Fledermäuse und Auerhähne gegen den Bau von Windrädern in Stellung bringen.

«Wenn wir den Klimawandel nicht verhindern, gibt es hier überhaupt keinen Lebensraum mehr für Auerhühner», konterte er bei einer Diskussion einen Vogelschützer. Im Saal gab es Beifall und Buhrufe. In solchen Momenten läuft Kretschmann zu Hochform auf. Auf dem Grünen-Parteitag verteidigte er seine Zustimmung zum Asylkompromiss, der die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern erleichtert. Solche Auftritte bringen ihm Respekt ein, auch bei Konservativen. Bei alledem regiert er mit ruhiger Hand.

Die Flüchtlingskrise dominiert den Wahlkampf

Im Herbst beschloss die CDU deshalb an einer Strategiesitzung, der Name Kretschmann solle im Wahlkampf im besten Fall gar nicht fallen. Das geht nun nicht. Denn in diesem Wahlkampf wird nicht über die Politik des Landes debattiert, sondern über die Flüchtlingskrise gestritten. Und dabei ist Kretschmann für die Bundeskanzlerin ein verlässlicher Gesprächspartner, Unterstützer und Brückenbauer zu anderen Milieus.

Dabei steht am 13. März nicht zur Entscheidung an, wie das Land künftig mit Flüchtlingen umgehen wird. Denn es betrifft nicht die Kompetenz der Länder. Die sind zuständig für Bildungspolitik und Polizei, für Hochschulen und Teile des Verkehrs, für Naturschutz und Energie, den Bau von Gefängnissen und Krankenhäusern. Es fehlt nicht an Themen in der Landespolitik. Doch all dies tritt zurück hinter die Flüchtlingsfrage.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Grünen erstmals stärkste Kraft in einem Landesparlament werden.

Das führt auch dazu, dass aus dem Wettstreit der vier im Landtag vertretenen Parteien sowie der Linken und der AfD ein Zweikampf zweier Spitzenkandidaten geworden ist. Auch sackt die SPD nach dem historisch schlechten Abschneiden vor fünf Jahren mit 23 Prozent weiter ab, sie darf laut Umfragen noch mit etwa 16 Prozent rechnen. Und die FDP wird zwar wieder die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, aber von einem zweistelligen Resultat wie noch 2006 kann sie nur träumen.

Die Wahl in Baden-Württemberg könnte weitreichende Konsequenzen haben. Zum einen ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Grünen die CDU überholen und erstmals in einem Landesparlament stärkste Kraft werden. Damit müsste die CDU als Juniorpartner in eine Koalition eintreten – was Wolf bereits ausschloss.

Da alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, könnte die Regierungsbildung schwer werden. Zudem wird am 13. März auch in Rheinland-Pfalz gewählt. Schafft es die CDU nicht mindestens in einem der Länder, wieder den Ministerpräsidenten zu stellen, könnte es innerparteilich sehr eng werden für Angela Merkel.

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