Es war eine der letzten Amtshandlungen von Barack Obama: Wurden kubanische Emigranten in den USA jahrzehntelang mit offenen Armen empfangen, gelten für sie nun die gleichen Regeln wie für alle anderen.
Pavel Rodríguez’* Traum platzte im Januar. Zumindest fürs Erste. Wie so viele Kubaner hatte er Wohnung und Auto verkauft, um mit dem Geld in die USA auszureisen, wo sein Bruder bereits auf ihn wartete. Nach dem 1966 verabschiedeten Cuban Adjustment Act gewährte Washington allen kubanischen «Flüchtlingen» umstandslos politisches Asyl und eine schnelle Einbürgerung.
Im Jahr 1995 wurde dieses Gesetz durch die sogenannte «Wet foot, dry foot»-Bestimmung eingeschränkt. Demnach kamen nur noch Kubaner, die es auf US-Boden geschafft hatten, in den Genuss dieser Regelung, nicht aber, wer auf dem offenen Meer aufgegriffen wurde.
Diese Einwanderungspolitik sorgte dafür, dass Jahr für Jahr einige Tausend Kubaner ihr Hab und Gut veräusserten und oftmals auf kaum seetüchtigen Vehikeln den gefährlichen Weg über die Meerenge zwischen Kuba und Florida wagten. Jahrzehntelang sorgten kubanische Bootsflüchtlinge, die auf Flössen und Autoreifen versuchten die Südküste Floridas zu erreichen, für dramatische Bilder.
Obama beendet Vorzugsbehandlung
Vor wenigen Tagen nun vermeldete die US-Küstenwache, dass im April erstmals seit sieben Jahren kein einziger kubanischer Migrant auf dem Wasser aufgegriffen wurde. «April war der erste Monat seit sieben Jahren, in dem wir keinen kubanischen Migranten hatten, nicht einen», so der Kommandeur der Küstenwache, Paul F. Zukunft, gegenüber der US-Tageszeitung «Wall Street Journal». «An einem gewöhnlichen Tag in dieser Jahreszeit vor einem Jahr hätten wir zwischen 50 und 150 kubanische Migranten aufgegriffen.» Insgesamt waren im vergangenen Jahr 5396 kubanische Migranten von der US-Küstenwache auf hoher See festgesetzt worden.
Der drastische Wandel hat vor allem mit einer der letzten Amtsentscheidungen Barack Obamas als US-Präsident zu tun. Am 12. Januar, wenige Tage vor der Machtübergabe an seinen Nachfolger Donald Trump, hob Obama die Vorzugsbehandlung kubanischer Einwanderer auf und erklärte die seit 1995 geltende Regelung für beendet, nach der Kubaner bei der Einreise in die USA dauerhaftes Bleiberecht erhielten.
Auch das 2006 vom damalige US-Präsidenten George W. Bush erlassene «Cuban Medical Professional Parole Program» (CMPP), wonach «desertierte» kubanische Aerzte und Mediziner umstandslos in die USA einreisen durften und Aufenthaltsgenehmigungen erhielten, wurde aufgehoben. «Kubaner, die illegal in die Vereinigten Staaten kommen und die kein Anrecht auf humanitären Beistand haben, werden von nun an zurückgeschickt», verfügte Obama.
Kuba setzt sich durch
Die kubanische Regierung hatte wiederholt die Beendigung dieser speziell für Kubaner geltenden US-Einwanderungspolitik gefordert. Sie entspräche nicht dem Geist der Annäherung. «Die Politisierung der Einwanderungspolitik der Vereinigten Staaten gegenüber Kuba muss sich ändern; sie muss aufhören, eine illegale, unsichere und ungeordnete Auswanderung anzufachen», so ein Mantra der kubanischen Regierung.
Das scheint nun Realität zu werden. «Es ist eindeutig, dass die Aufhebung der ‹Wet foot, dry foot›-Politik dafür verantwortlich ist», sagt auch Kommandant Zukunft mit Blick auf den Rückgang der Bootsflüchtlinge.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch an der Grenze zwischen den USA und Mexiko ablesen. Im April wurden nur 191 Kubaner registriert, die von den US-Grenzbehörden als «unzulässig» eingestuft wurden. Im Februar und März lagen die Zahlen sogar noch niedriger.
Ausreisewelle nach Annäherung
Mit Beginn der Annäherung zwischen den USA und Kuba im Dezember 2014 war in Erwartung eines Endes der US-amerikanischen Vorzugsbehandlung für kubanische Migranten die Zahl ausreisender Kubaner sprunghaft angestiegen. Die Zahl kubanischer Einwanderer in den USA stiegen von 23’740 im Jahr 2014 auf 54’000 im 2016. Der Grossteil wählte die Route durch Zentralamerika beziehungsweise Mexiko.
Das wiederum sorgte Ende 2015 für eine Migrationskrise in der Region. Sichtbar wurde die Krise, als Nicaragua Mitte November 2015 seine Grenze zu Costa Rica für Kubaner schloss und Tausende Kubaner plötzlich im zentralamerikanischen Land festsassen. Nach wochenlangen Verhandlungen einigten sich die betroffenen Staaten auf einen Plan zur Bewältigung der Migrationskrise. Die kubanischen Migranten wurden per Luftbrücke von Costa Rica und Panama nach El Salvador beziehungsweise Mexiko ausgeflogen, von wo sie weiter in die USA reisten.
Gleichzeitig führte Ecuador ab 1. Dezember 2015 die Visapflicht für Kubaner wieder ein. Bis dahin war das südamerikanische Land Ausgangspunkt der kubanischen Odyssee durch Zentralamerika. Rund acht- bis zehntausend US-Dollar wurden für den Weg von Havanna über Quito bis in die USA fällig. Von dem Geld wurden vor allem Schleuser bezahlt und Grenzbeamte bestochen.
Nach Obamas Entscheid sassen plötzlich Hunderte von Kubanern in Ländern wie Panama oder Costa Rica fest.
Kern der Migrationskrise war allerdings die unterschiedliche Behandlung kubanischer Migranten gegenüber denjenigen anderer Nationen durch die US-Einwanderungspolitik. Erstere wurden als politische Flüchtlinge eingestuft und erhielten grosszügige Aufenthaltsgenehmigungen, während Migranten aus den zentralamerikanischen Staaten nicht selten abgeschoben oder in die Illegalität gedrängt werden.
Dabei unterscheiden sich die Auswanderungsmotive der Kubaner – in der Regel wirtschaftliche Gründe – kaum von jenen der zentralamerikanischen Migranten.
Von der Entscheidung Obamas wiederum wurden Hunderte Kubaner, die sich bereits «auf dem Weg» Richtung USA befanden, überrascht und sassen plötzlich in Panama, Kolumbien, Costa Rica oder Mexiko fest.
Kuba lockert Regeln für Ausreise
Ein Grossteil kubanischer Ausreisewilliger dürfte künftig bemüht sein, auf regulärem Wege in die USA zu gelangen. Mindestens 20’000 Kubaner erhalten jedes Jahr dauerhafte Einreisegenehmigungen in die Vereinigten Staaten aufgrund von Familienzusammenführung oder anderer Gründe. Auf diese Zahl hatten sich die Regierungen in Washington und Havanna während der Ausreisewelle 1994 geeinigt.
Hinzu kommen jährlich rund 30’000 Besuchs- und Geschäftsvisa für Kubaner. Oft handelt es sich dabei um Fünf-Jahres-Visa, die mehrmalige Ein- und Ausreisen erlauben. Anfang 2013 hatte die Regierung Raúl Castro ihrerseits eine Migrationsreform beschlossen. Seitdem benötigen Kubaner keine Ausreisegenehmigung («carta blanca») mehr. Auch dürfen sie nun zwei Jahre ausser Landes bleiben (vorher elf Monate), ohne bestimmte Ansprüche auf Kuba wie etwa ihren Immobilienbesitz zu verlieren.
Dann halt Mexiko
Auch Pavel Rodríguez hofft, dass sich sein Traum von den USA doch noch erfüllt. Immerhin hat er ein Visum für Mexiko erhalten. Vor Obamas Entscheidung wäre dies wohl das Sprungbrett gewesen, über die Grenze zu gelangen und in den USA «Asyl» zu beantragen und die Vorzüge der ‹Wet foot, dry foot›-Regelung in Anspruch zu nehmen.
Stattdessen hat der sich nun eine mexikanische Aufenthalthaltsgenehmigung «gekauft». «Mit Geld lässt sich in Mexiko alles regeln», sagt Rodríguez mit einem breiten Grinsen.
Damit kann er nun immerhin zwischen Mexiko und Kuba hin und her reisen. «In einigen Monaten beantrage ich dann ein Besuchsvisum für die USA. Ich will gar nicht dort bleiben. Die Leute denken, das da draussen wäre das Paradies; aber mir gefällt Kuba. Doch ich will meine Familie sehen – und ab und zu mal eine Luftveränderung tut auch gut.»
* Name geändert