Die Verwandlung von Sarah Wyss

Vom Juso-Vamp zur gesitteten SP-Politikerin: Sarah Wyss hat sich innert kürzester Zeit markant verändert. Nicht nur zufällig.

Sarah Wyss war früher rastlos, heute mag sie es ruhiger (Bild: Hans-Jörg Walter)

Vom Juso-Vamp zur gesitteten SP-Politikerin: Sarah Wyss hat sich innert kürzester Zeit markant verändert. Nicht nur zufällig.

Als Sarah Wyss (SP) an einem stürmischen Sonntagabend im Oktober 2012 in ihrem schwarzen Kunst­leder-Rock und den roten Strumpf­hosen erfahren hatte, dass sie in den Grossen Rat einziehen wird, ahnte sie nicht, wie sehr sich ihr Leben innert eines Jahres verändern würde. Hysterische Schreie hallten durch das Wahlforum im Basler Kongresszentrum, Gläser gingen zu Bruch, Parteifreunde und Konsorten wurden von ihr durchgerüttelt, bis in die frühen Morgenstunden wurde durchgefeiert.

Wyss führte damals ein Leben auf der Überholspur, was sich auch in ­ihrer politischen Arbeit bemerkbar machte. Die 25-Jährige sorgte als ­Juso-Präsidentin immer wieder für Aufsehen, manchmal auch für Peinlichkeiten. Wyss liebte es, einfach mal draufloszuplappern und danach ihre Aussage wieder zurückzunehmen. Etwa, als sie als Antwort auf einen Tweet, «wer wohl die nächste Minderheit sei, die ins Lager gesteckt werden soll?», schrieb: «Ich hoffe, solche rassistischen und menschenverachtenden Leute wie Brunner» (gemeint war SVP-Präsident Toni Brunner).

Weniger Stress

Wyss war rastlos, Wyss war aufmüpfig, Wyss war unkontrolliert. Irgendwann kam der Bruch. Es war ein schleichender Ablösungsprozess von ihrer alten Existenz, mit jeder Grossratssitzung veränderte sich die 25-Jährige ein bisschen mehr. Die neue Wyss wirkt abgeklärt, ruhig, überlegt. Und irgendwie berechnend. Das Freche, Provokative überlässt sie nun anderen. Die Wirtschafts- und Geschichtsstudentin redet inzwischen so, als gehöre sie dem Grossen Rat seit Jahren an.

Die Verwandlung zeigte sich auch an ihrem Äusseren. Das Auffällige hat Sarah Wyss aus ihrer Garderobe verbannt. Der rote Mantel, die roten Stiefel, die roten Strümpfe – sie passen nicht mehr zu ihrem neuen Leben. Die Röcke sind nun ein wenig länger, die Oberteile haben mehr Stoff – meistens zumindest. Sie möchte nicht mehr gross auffallen.

Wir treffen Sarah Wyss an einem Freitagnachmittag bei der Kaserne. Sie ist im Prüfungsstress, hat sich ­Notizen gemacht, was sie uns sagen möchte. Wyss ist sich bewusst, dass sie nicht mehr dieselbe ist wie vor ­einem Jahr, sie glaubt auch zu wissen, wieso. «Der Hauptgrund für meine Veränderung ist, dass ich nicht mehr im Dauerstress bin.» Als Juso-Präsidentin habe sie neben der Uni, ihrer Arbeit beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk und als Putzfrau rund 40 Stunden für die Jungpartei gearbeitet. Das habe sie auf 180 gebracht.

«Ich konnte damals nie abschalten, hatte vier Jahre lang keine Ferien mehr. Das hat sicherlich meine sonst schon eher aufbrausende, emotionale Art verstärkt.» Sie habe in dieser Zeit auch viele leere Phrasen gedroschen. Die Abgabe des Juso-Präsidiums Anfang März 2013 sei eine Erleichterung für sie gewesen, sagt Wyss. 

Andere Interessen

Es sollte nicht lange dauern, bis es zu einer weiteren einschneidenden Veränderung in ihrem Leben kam: der Liaison mit ihrem Parteifreund und ehemaligen Grossratspräsidenten Daniel Goepfert. Wyss sagt: «Natürlich hat auch das Private damit zu tun, dass ich mich verändert habe und ruhiger und häuslicher geworden bin.»

Sie interessiere sich nun auch für andere Bereiche als früher, beispielsweise nebst der Wirtschaft auch für die Gesundheit («das finde ich sehr spannend»). Nicht mehr viel anfangen kann sie mit dem Thema Freiraum. «Das ist und war nie mein persönliches Spezialgebiet, aber als Juso-Präsidentin vertrat ich die Anliegen der Mehrheit der jungen Menschen in Basel.» 

Im Grossen Rat findet sie sich mittlerweile gut zurecht. «Es ist eine ganz andere politische Arbeit. Früher ging es mir bei den Juso eher darum, Ideen zu entwickeln, Leute zu motivieren und Mitglieder einzubinden – dies anhand von konkreten politischen Sachthemen.» Sie habe ihre Ziele eher provokativer darstellen und umsetzen können, sagt Wyss. Im Parlament ­jedoch müsse man Kompromisse ­suchen und dossierfest sein, «damit man etwas erreichen kann». 

Falsche Erwartungen

Mit ihrer politischen Wahrnehmung hat Wyss momentan allerdings zu kämpfen. Sie mag den Stempel nicht, den man ihr offenbar aufdrückt. Den Wechsel von der Juso-Präsidentin zur Grossrätin etwa hat sie sich einfacher vorgestellt: «Die Zeit als Juso-Präsidentin ist vorbei, doch ich möchte keine Sekunde missen.» Mühsam findet sie auch, dass sie als junge Parlamentarierin von älteren Grossräten manchmal weniger ernst genommen werde.

Wyss scheint sich intensiv Gedanken über ihre Wirkung zu machen. Sie sagt: «Es gibt Menschen, die enttäuscht sind von mir, weil ich nun anders bin. Sie sagen, dass sie mich nicht gewählt hätten, wenn sie gewusst hätten, wie ich mich verändere.» Solche Aussagen treffen Wyss, denn eigentlich will sie es allen recht machen. Es fällt ihr schwer, mit Abneigung umzugehen. «Es ist nicht einfach, wenn gewisse Personen einen anzweifeln. Aber im Grossen Rat arbeitet man halt anders.» Vielleicht, sagt Wyss, hätten viele auch falsche Erwartungen an sie gehabt. «Man hat wohl etwas in mich hineinprojiziert, das ich nicht bin.»

Immer exzessiv

Wyss gefällt sich jedoch in der neuen Rolle. Zumindest glaubt sie, dass die neue, ruhige Phase lange dauern wird. «Ich bin ausgeglichener. Und wenn ich mich mal mit etwas identifiziere, tue ich alles dafür, dass dies lange so bleibt, und sehe nicht mehr, was rundherum passiert.»

Wyss war schon immer exzessiv, das entspricht ihrem Naturell. Da wären die ziemlich spontane Hochzeit 2010, die Scheidung zwei Jahre später («eine schwierige Zeit») oder die Magersucht in ihren Teenagerjahren. Wyss kann heute offen über die vierjährige Krankheit sprechen. Sie sagt: «Es war ein heftiger Kampf. Aber er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.» Sie sei eine Kämpfernatur.

Die Wildheit hat Sarah Wyss nicht ganz verloren. Im Unterschied zu früher verspürt sie jedoch nicht mehr den Drang, diese Seite in der Öffentlichkeit auszuleben. Sie mag es neuerdings diskreter, denn sie weiss, dass dies für ihre politische Karriere nur von Vorteil sein kann. Ihre Verwandlung ist auch strategisch bedingt: Wyss ist sich bewusst, dass sie es in ihrer Partei nur mit mehr Seriosität auf die hart umkämpfte Nationalratsliste 2015 schaffen kann.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 17.01.14

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