Die Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung ist eigentlich eine kleine Vorlage. Das grosse Thema, das sie einmal mehr aufwirft, ist die Art und Weise, wie Abstimmungskämpfe geführt werden.
Am 12. Februar geht es nicht um drei, sondern um vier Abstimmungsfragen: An der Urne entscheiden wir über Finanzierung des Strassenverkehrs (NAF), die Unternehmenssteuerreform III und die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation.
Zusätzlich geht es im Abstimmungskampf aber auch um die Frage, wie im Lande der direkten Demokratie für eine Sache geworben werden soll.
Nach letzten Erhebungen geht es in der Einbürgerungsvorlage wieder einmal spitz auf spitz, auch wenn das Geschäft nur gerade von einer Partei, der SVP, bekämpft wird. Und obwohl die Vorlage selber eher eine Minireform ist.
Nun wird sie aber aufgeladen: Aus theoretisch jährlichen 2300 Einbürgerungen dieser Art wird eine «Masseneinbürgerung» gemacht und eine Gruppe sehr gewöhnlicher Mitmenschen als Ansammlung möglicher Fundamentalisten und potenzieller Terroristen und IS-Kämpfer verunglimpft. Diese Art des Politisierens ist die vierte Abstimmungsvorlage.
Eine Verfassungsänderung für ein paar Wenige
Man kann die Vorlage, wie dies der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler tut, aus föderalistischen Vorbehalten ablehnen, weil sie die Zuständigkeit ein klein, klein bisschen von den Gemeinden und Kantonen zum Bund verschiebt. Und man kann sich fragen, ob sich der ganze Aufwand lohnt, um ein paar wenigen «Terzos» die das wirklich wollen, den Weg zum schweizerischen Bürgerrecht zu ebnen.
Eine Verfassungsänderung (mit dem schwierigen Ständemehr) soll eine Regelung bringen, die es in 16 Kantonen bereits gibt und nur gerade 25’000 jungen Menschen ohne Schweizer Pass zugute kommt und bedauerlicherweise von nur wenigen überhaupt begehrt ist oder wäre.
Der gute Bündner Ständeherr hält es für ungut, dass man mit dieser sekundären Frage die Auseinandersetzung um gewichtigere Geschäfte wie Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative und Selbstbestimmungsinitiative «emotional» überlade.
An der kleinen Einbürgerungsvorlage werden auch grosse Fragen wie die Erhaltung der Bilateralen durchgespielt.
Was Engler nicht merkt oder nicht sehen will: An der kleinen Vorlage vom 12. Februar wird auch die Auseinandersetzung um die grossen Fragen wie die Erhaltung der Bilateralen und der Menschenrechtskonvention durchgespielt. Engler erklärt, mit der Propaganda, die um die Einbürgerungsvorlage «hüben und drüben» betrieben wird, nichts am Hut zu haben. Als senkrechter Demokrat müsste er sich aber sagen, dass die volksverhetzende SVP-Kampagne für sich ein Grund sei, dieser entgegenzutreten, die kleinen föderalistischen Bedenken hintenan zu stellen und für die Vorlage zu stimmen.
Englers Parteikollege Peter Hegglin hat das begriffen. Der Zuger Ständerat war ursprünglich ebenfalls gegen die Vorlage, inzwischen hat er die Seite gewechselt: «Aufgrund der unwürdigen Polemik im Abstimmungskampf werde ich der Vorlage jetzt zustimmen», sagte er im «Sonntagsblick».
Was das Föderalismus-Argument wert ist, hinter dem sich Antiliberale wie auch die St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter verstecken, zeigt die zur Vorlage durchgeführte Vernehmlassung: 21 Kantone haben sich für eine landesweit einheitliche Regelung ausgesprochen.
Die Ausländer der dritten Generation unterscheiden sich in ihrer politischen Einstellung nicht von den Gschpänli ohne ausländische Grosseltern.
Mit der Vorlage für eine erleichterte Einbürgerung der dritten Generation, also von Immigranten-Grosskindern, wird in guteidgenössischer Manier ein neuer Anlauf genommen. Es ist ein vierter Versuch, nachdem drei weitergehende, das «Fuder» offenbar überladende Vorlagen «bachab» geschickt worden waren. Beim letzten Versuch von 2004 sagten 51,6 Prozent Nein zur erleichterten Einbürgerung der zweiten Generation und zur automatischen Einbürgerung der dritten Generation.
Jetzt geht es nur noch um die «Terzos» und keineswegs um einen Automatismus. Fast stolz wird auf die strengen Einbürgerungskriterien hingewiesen, zum Beispiel auf die Bestimmung, dass Sozialhilfebezüger sicher nicht eingebürgert würden, was an sich ein problematischer Link ist, wenn man bedenkt, dass es sich ebenfalls um Einheimische handelt, die einfach wegen des Zufalls ihrer Ahnen einen falschen Pass haben.
Damit auch das festgehalten ist: Die Ausländer der dritten Generation unterscheiden sich, wie Untersuchungen festgestellt haben, in ihrer politischen Einstellung nicht von den Gschpänli ohne ausländische Grosseltern.
Eine typische SVP-Lüge
Anders als Kollege Engler spart der Aargauer FDP-Ständerat Philipp Müller nicht mit Kritik an der Antieinbürgerungskampagne der SVP. Diese sei «ziemlich abgelutscht» und so daneben, wie wenn man mit einem Skifahrer gegen eine Verkehrsvorlage werben wollte. Wie ist das zu verstehen?
Die Aussage gilt dem Plakat, das die allenfalls Einzubürgernden mit einer schwarzen «Burka»-Gestalt als Unpersonen personalisiert. Daneben steht die suggestive Frage «Unkontrollierte Einbürgerung?» Das ist eine typische SVP-Lüge.
Das Machwerk soll hier kurz angesprochen, aber nicht gezeigt werden. Und zwar darum nicht, weil man nicht den Fehler von 2009 wiederholen sollte. Über das Plakat der damaligen Anti-Minarettinitiative haben die Initianten triumphierend gesagt, dass sie sich eigentlich die Kosten fürs Aufhängen hätten sparen können. Die entsetzten Reaktionen hätten nämlich bereits die erwünschte Aufmerksamkeit gebracht.
Die Plakat-Künstler der SVP halten das schweizerische Stimmvolk für dumm.
Das Plakat war damals dem «Sonntagsblick» zugespielt worden, der scheinheilig mit einem publizistischen Aufschrei reagierte. Sogleich war das Elaborat in aller Mund beziehungsweise aller Auge. Da wir ein wenig lernfähig sein wollen, zeigen wir das neue Plakat hier nicht.
Das Plakat nimmt eins zu eins Elemente des Anti-Minarett-Plakats von 2009 auf und gestattet sich die unverschämte Suggestion, dass die dritte Ausländergeneration vollverschleierte Menschen seien.
SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga sah darin das unfreiwillige Eingeständnis der SVP, dass ihr die Argumente fehlten. Die Plakatkunst haltet das schweizerische Stimmvolk – teilweise zu Unrecht, teilweise leider aber auch zu Recht – für dumm.
Die bekannteste Niqab-Trägerin der Schweiz muss sich nicht einbürgern lassen, denn sie ist gebürtige Schweizerin.
Unter den mit erleichterten Einbürgerungsbedingungen zum gesamtschweizerischen Wohl «Begünstigten» dürfte es keine einzige Person im Niqab geben. Das bekannte Exemplar einer Vollschleier-Frau, die mit 19 Jahren zum Islam konvertierte Nora Illi (32), ist eine der ganz wenigen Menschen mit Gesamtkörperverschleierung, die in der Schweiz leben. Nora Illi muss kein Einschweizerungsbegehren stellen, da sie bereits gebürtige Schweizerin ist.
Für Abstimmungskämpfe braucht es bekanntlich Geld. Der SVP stehen – und dazu gibt es das treffende Wort – stets übervolle «Kriegskassen» zur Verfügung, während es der Gegenseite meistens an Geld fehlt. Jetzt wird die Vorlage von anonymen Geldgebern finanziert, was ohnehin eine demokratiepolitische Sauerei ist. Und wie bei der früheren Einbürgerungsvorlage möchte sich Economiesuisse in dieser Frage nicht engagieren, weil es nicht um eine genuin wirtschaftliche Vorlage geht.
Das kann man so sehen. Man könnte aber auch der Meinung sein, dass die gegen die harmlose Vorlage aktivierte Fremdenfeindlichkeit keine Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz ist und es die berechtigte Sorge geben müsste, dass nichtschweizerische Arbeitskräfte, die man so gerne anwerben möchte, abgeschreckt werden könnten, in ein Land zu kommen, in dem fremdenfeindliche Haltungen Erfolge verbuchen können.
Die SVP nutzt die Abstimmung für die Reaktivierung einer generellen Fremdenfeindlichkeit.
Die SVP streut mit dem Zürcher Nationalrat Mauro Tuena die vergiftete Vermutung, dass sich unter den rund 25’000 Terzos «Dutzende» von Moslems befänden, die sich in den letzten Jahren in der Schweiz radikalisiert hätten und von denen «nicht wenige» nach Syrien gereist seien, um dort in einem Heiligen Krieg zu kämpfen.
So abstrus diese Argumentation ist, sie zeigt einen real existierenden Mechanismus: Gestützt auf vermutete Extremfälle wird in unverschämter Verallgemeinerung eine ganze Gruppe von Mitmenschen diffamiert. Die Figur des radikalen Muslims dient als Verkörperung des ganz «Anderen», und so werden leicht Andere als gefährlich verteufelt.
Der SVP geht es gar nicht um die Sorge, dass die erleichterte Einbürgerung von ein paar wenigen Menschen der Enkelgeneration zu leicht sein könnte. Sie nutzt die Abstimmung vielmehr für die Reaktivierung einer generellen Fremdenfeindlichkeit, die sich auch gegen bereits Eingebürgerte richtet.
Verlorenes Basel
Das demonstrierte der in der SVP für Migrationsfragen verantwortliche Andreas Glarner, der im staatsbürgerlichen Engagement der Basler Grossratskandidaten mit türkischem Migrationshintergund einen Beleg dafür sieht, dass man als Schweizer bald fremd im eigenen Land sei. «Basel ist verlorenes Terrain», liess sich Glarner zitieren.
Umso unverständlicher bleibt es, dass die bürgerlichen Parteien des Kantons Basel-Stadt sich mit einer Partei, die bei jeder Gelegenheit ungehemmt das gesellschaftliche Klima vergiftet, ins politische Lotterbett legen.
Noch unverständlicher ist, dass die hehre Universität Basel gegen ein paar billige Franken ihren symbolträchtigen Hauptraum, die Aula, dem neuen SVP-Chefideologen Roger Köppel für dessen Propaganda-Show zur Verfügung stellen konnte.