Die Geschichte der Bildmanipulation geht zurück bis zum Anfang der Fotografie. Heute hat das Thema besondere Relevanz, wo viele Amateurbilder über soziale Netzwerke verbreitet werden.
Das Retuschieren und Verändern von fotografischen Aufnahmen ist fast so alt wie die Technik der Fotografie selbst. Erst kürzlich lebte die Debatte über den Wahrheitsgehalt von Bildern wieder auf, als Aufnahmen der in der Ukraine abgestürzten Passagiermaschine MH17 veröffentlicht wurden, die sich später als aus dem Zusammenhang gerissen herausstellten.
Die 298 Opfer von #MH17 sind auch Putins Tote. – @davidnauer im @tagesanzeiger: http://t.co/WyQhCgcXuk #Ukraine pic.twitter.com/Lnxjn3e7gJ
— Jürg Vollmer (@juergvollmer) 19. Juli 2014
Auf dem fraglichen Bild hielt ein Mann in Uniform ein Plüschtier, das er aus den Trümmern aufgehoben hatte, in die Luft. Schnell waren Journalisten und Leser überzeugt, dass die pro-russischen Separatisten die Opfer des Absturzes verunglimpfen und ihre Habseligkeiten plündern wollten. Erst später wurde das zugehörige Video verbreitet, in dem zu sehen ist, dass der betreffende Mann das Plüschtier vorsichtig wieder ablegt und sich danach bekreuzigt.
Der «Tages-Anzeiger» erläuterte ausführlich, wie sich die Fehlinterpretation über die Nachrichtenkanäle verbreitete.
Wir lassen uns oft zu schnell von einzelnen Bildern beeindrucken, ohne deren Kontext zu kennen. Wie sicher kann man sein, dass die Aufnahmen tatsächlich den angegebenen Ort zeigen? Sind sie aktuell oder schon vor Jahren aufgenommen worden? Wurde das Bild digital bearbeitet? Selbst ein Bildbeschnitt kann die Aussage eines Fotos verändern, wenn durch ihn elementare Bestandteile des Bildes nicht mehr sichtbar sind.
Synonym für die Grausamkeit des Krieges – doch ist das Bild gestellt?
Eines der berühmtesten – inzwischen historischen – Beispiele, ist der «falling soldier» («fallender Soldat») vom ungarisch-amerikanischen Fotografen Robert Capa. Das Bild wurde vom Pressefotografen 1936 während des spanischen Bürgerkriegs aufgenommen.
Schon seit Jahrzehnten gibt es eine Kontroverse, ob das Bild tatsächlich einen tödlich getroffenen Soldaten zeigt, ob er die Szene für Capa nachstellte, oder ob er beim Nachstellen zufälligerweise von einer Kugel tödlich getroffen wurde. Zwar gibt es inzwischen eine Mehrheit von Forschern, die das Bild für gestellt halten, aber endgültig wird sich die Frage wahrscheinlich nie beantworten lassen.
Der Originaltitel des Bildes von Robert Capa lautet: «Spain, Cordoba front. September, 1936. Death of a loyalist militiaman.» (Bild: ©Robert Capa © International Center of Photography / Magnum Photos)
Im Laufe der Fotografie-Geschichte haben zahlreiche Politiker Bilder übermalen und beschneiden lassen, Personen wurden aus Negativen herausgekratzt oder Bilder völlig neu zusammen montiert.
Öffentliche Meinung durch manipulierte Bilder beeinflussen
In der heutigen Zeit werden keine technischen Mittel gescheut, um mit bearbeiteten Bildern den Eindruck von Echtheit zu vermitteln. Gerade in politischen Zusammenhängen wird damit immer noch versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen, sei es seitens autoritärer Staaten, seitens Organisationen oder Einzelpersonen.
Ein bekanntes Beispiel ist ein Foto, das über den offiziellen Nachrichtenkanal der iranischen Revolutionsgarden verbreitet wurde. Es zeigt den Abschuss einiger Raketen in der Wüste. Im Original des Bildes ist eine Rakete zu sehen, die offenbar nicht gezündet hat.
Da dies der Idee eines siegreichen Iran widersprach, wurde mit einem Bildbearbeitungsprogramm eine zündende Rakete hinzugefügt. Als der Schwindel aufflog, tauchten im Internet etliche Parodien des Bildes auf, die die Raketen ins Vielfache multiplizierten.
Können wir der Bildunterschrift trauen?
Noch komplizierter wird es mit Bildern, die gar nicht manipuliert, sondern einem anderen Ereignis zugeordnet werden, denn so kann an dem Bild allein natürlich keine Veränderung nachgewiesen werden.
Ein grosser Anteil dieser Bilder ungesicherter Herkunft stammt von Einzelpersonen, die zumindest auf den ersten Blick nicht mit staatlichen Einrichtungen verbandelte «Leute von der Strasse» sein sollten. Dieser «User generated Content» verbreitet sich vor allem über Social-Media-Dienste wie Facebook und Twitter, Redaktionen bekommen Bilder und Videos aber auch direkt zugesandt.
Es ist natürlich ein grosser Vorteil, dass sich praktisch jeder anmelden und Inhalte verbreiten kann: Es können Neuigkeiten an die Öffentlichkeit gelangen, von denen ein professioneller Journalist vielleicht nicht oder erst später erfahren würde. Mit wieviel Verzögerung hätten wir vom Arabischen Frühling erfahren, und was hätte das für die von der Geheimpolizei verfolgten Demonstanten bedeutet?
Woher können wir wissen, dass die Informationen stimmen?
Andererseits werfen diese Quellen natürlich die Frage auf, ob die hochgeladenen Informationen auch echt sind. Selbst, wenn durch entsprechende Programme sichergestellt wird, dass die Bilder nicht digital bearbeitet wurden, gilt es immer noch herauszufinden: Wurden die Aufnahmen auch tatsächlich am angegebenen Ort aufgenommen? Stimmt der Zeitpunkt? Und ist die gezeigte Situation in der Bildunterschrift korrekt beschrieben?
Gerade in militärischen Konflikten ist es oft schwer, zu ermitteln, wann und wo ein Bild aufgenommen wurde. Helfen können Korrespondenten, die den Ort gut kennen oder sich dort aufhalten. Die Verifizierungsarbeit gleicht oft der eines Detektivs: Kleinste Details im Bild können einen Hinweis auf den Kontext geben.
Einige der grösseren Medienhäuser arbeiten daran, standardisierte Prozesse zu entwickeln, um eingesandte Bilder und Videos zu verifizieren und sich möglichst weitgehend absichern zu können.
Agenturen, die ausschliesslich Quellen prüfen
Die Sicherstellung und Erforschung von Quellen hat sich seit der starken Verbreitung der sozialen Medien in den vergangenen Jahren zu einem eigenen Geschäftszweig entwickelt. In der Vergangenheit hatte die Presse üblicherweise eigene Korrespondenten in Krisengebiete entsendet oder erwarb Bild- und Videomaterial von der Redaktion persönlich bekannten freien Mitarbeitern. Es gibt eine Reihe frei verfügbarer Programme und Tools, die auch für Laien nutzbar sind und die Aufschluss darüber geben können, ob ein Bild bearbeitet worden ist.
Der Technik-Journalist Martin Weigert schlägt vor, für diese Quellenforschung die Nutzer einzubinden:
«Algorithmen, Nutzer und eigene Journalisten kooperieren, um die Echtheit von Behauptungen, Augenzeugenberichten und visuellen Dokumenten zu aktuellen Vorfällen zu verifizieren, Bestätigungen einzuholen und Falschmeldungen zu enttarnen. Ein internes Punkte- und Rankingsystem, eine Identifizierung der partizipierenden Nutzer per Facebook- oder Twitter-Login sowie externe Reputationsindikatoren wie Klout bieten sich an, um Engagement und Seriosität zu gewährleisten.»
Sehr hilfreich ist auch die in Google integrierte Bilder-Inverssuche, mit der man ermitteln kann, auf welcher Website ein Bild zum ersten Mal hochgeladen wurde. Damit weiss man noch nicht, ob das Bild bearbeitet wurde, kennt aber vielleicht den Besitzer der Datei – oder denjenigen, der sie bearbeitet hat.
Wir müssen hinterfragen, was wir sehen
Letzten Endes gibt es kein endgültiges Mittel, um die Quelle eines Bildes oder eines Videos sicherzustellen. Es ist nicht viel anders als bei Gerüchten, die einem zugetragen werden: Man sollte genau aufpassen und nachhaken: Woher kommt die Information? Ist die Quelle zuverlässig? Kann die Information verifiziert werden?
Wir sollten immer hinterfragen, was wir sehen und ob es die eine Wahrheit überhaupt gibt, die uns das Bild zeigen soll.