Die Wiedervereinigung von Zypern ist so nahe wie noch nie

Strategisch ist Zypern wegen des Syrienkonflikts derzeit wichtiger denn je. Nun kommen hochrangige Politiker aus Russland und den USA auf Besuch. Es bewegt sich etwas auf der seit 1974 geteilten Insel.

Am Mittwoch besucht der russische Aussenminister Sergej Lawrow Zypern, gefolgt von US-Chefdiplomat John Kerry am Donnerstag. Es bewegt sich etwas auf der seit 1974 geteilten Insel: Noch nie waren die Chancen für eine Wiedervereinigung so gross. Strategisch ist Zypern wegen des Syrienkonflikts jetzt wichtiger denn je.

So viele wichtige Staatsbesucher hat das kleine Zypern selten in so kurzer Zeit begrüsst: Der deutsche Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier war erst vor zwei Wochen auf der Insel, an diesem Mittwoch wird der russische Aussenminister Sergej Lawrow in Nikosia erwartet, gefolgt vom US-Chefdiplomaten John Kerry am Donnerstag. Und noch vor Weihnachten hat sich auch der chinesische Aussenminister auf Zypern angekündigt.

Es bewegt sich etwas auf der seit 41 Jahren geteilten Insel (warum eigentlich? Infobox dazu). Noch nie in den vergangenen vier Jahrzehnten waren die Chancen für eine Wiedervereinigung so gut. Das zeigte sich auch beim Flüchtlings-Sondergipfel der EU mit der Türkei am Sonntag in Brüssel: Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und der griechisch-zyprische Staatspräsident Nikos Anastasiades standen nicht zufällig beim traditionellen «Familienfoto» einträchtig und freundlich lächelnd nebeneinander. Anastasiades weiss: Der Schlüssel zu einer Lösung der Zypernfrage liegt in der Türkei, die den Inselnorden mit 35’000 Soldaten besetzt hält. Ankara hat das letzte Wort.

Aber ausgehandelt werden muss die Lösung zwischen den beiden Volksgruppen. Anastasiades verhandelt deshalb intensiv mit dem türkischen Volksgruppenführer Mustafa Akinci. Beide Politiker gelten als überzeugte Verfechter einer Vereinigung, ihr persönliches Verhältnis ist gut. Auch die europa- und geopolitischen Voraussetzungen sind günstig. Angesichts der Flüchtlingskrise will die EU die Beziehungen zur Türkei vertiefen. Eine Lösung des Zypernkonflikts ist die Voraussetzung dafür.




Sieht zwar nach Schnappschuss aus, ist aber ein Bild mit Symbolkraft: Ahmet Davutoglu (Mitte) und Nikos Anastasiades (links) standen nicht zufällig beim traditionellen «Familienfoto» einträchtig und freundlich lächelnd nebeneinander.

Der Bürgerkrieg in Syrien verdeutlicht überdies die geostrategische Bedeutung Zyperns als «unsinkbarer Flugzeugträger» im östlichen Mittelmeer. Grossbritannien unterhält zwei bedeutende Militärstützpunkte auf der Insel. Eine Überwindung der Teilung könnte den Weg für eine Aufnahme Zyperns in die Nato ebnen. Auch die Zyprer selbst haben erkannt, dass sie von einer Lösung profitieren würden. Die türkische Volksgruppe im Norden könnte so ihre politische und wirtschaftliche Isolation überwinden, und auf die Inselgriechen wartet ebenfalls eine Friedensdividende, wenn EU-Hilfsgelder zum Ausbau der Infrastruktur auf die Insel fliessen.

Noch ist man bei den Verhandlungen nicht am Ziel. «Wir haben bereits eine beachtliche Wegstrecke zurückgelegt», sagt der zyprische Aussenminister Ioannis Kasoulides zwar. Aber es bleiben alte Streitpunkte zu klären, wie der Abzug der türkischen Truppen, das Ausmass an Selbstverwaltung der beiden Volksgruppen und die Zuständigkeiten der gemeinsamen Zentralregierung. Kompliziert sind auch die Entschädigungsfragen aus der Zeit der Vertreibungen während der türkischen Invasion im Jahr 1974.

Die Türkei lädt den Inselpräsidenten nach Ankara ein. Das ist ein bedeutender Schritt, denn bisher erkennt die Türkei die Republik Zypern völkerrechtlich gar nicht an.

Aber die Vorzeichen sind gut. Schon «in den nächsten Monaten» könne man eine Lösung finden, sagte Davutoglu jetzt in Brüssel. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker meint, dass sich «die Dinge in die richtige Richtung bewegen». Sogar der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu lobte jetzt bei einem Besuch im Norden Zyperns «die sehr konstruktive Haltung» des griechischen Inselpräsidenten Anastasiades, den er nach Ankara einladen will. Das ist ein bedeutender Schritt, denn bisher erkennt die Türkei die Republik Zypern völkerrechtlich gar nicht an.

Dass jetzt die Aussenminister von drei ständigen Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrates Zypern besuchen, ist ein Indiz für den Fortschritt bei den Einigungsbemühungen, denn der Sicherheitsrat muss einer Zypernlösung zustimmen – sofern die beiden Volksgruppen in getrennten Volksabstimmungen die Vereinigung akzeptieren.

Geteiltes Zypern

Die Mittelmeerinsel Zypern, die zu 80 Prozent von ethnischen Griechen und zu 18 Prozent von ethnischen Türken besiedelt ist, war bis 1960 eine britische Kolonie. Schon wenige Jahre nach der Unabhängigkeit brachen 1964 blutige Unruhen zwischen beiden Volksgruppen aus. 1974 besetzte die Türkei unter Berufung auf ihre Rolle als Garantiemacht den Inselnorden, um eine befürchtete Annektierung Zyperns durch Griechenland zu verhindern. 1983 rief die Führung der türkischen Volksgruppe im besetzten Inselnorden die «Türkische Republik Nordzypern» aus, die aber nur von der Türkei, international hingegen nicht anerkannt wird. Der griechische Inselsüden, die allgemein anerkannte Republik Zypern, gehört seit 2004 der Europäischen Union an. Die Wahl des Einigungsbefürworters Mustafa Akinci zum Präsidenten der türkischen Zyprer im April 2015 galt als wichtige Weichenstellung für eine Vereinigung. Ziel der Verhandlungen ist eine Föderation aus zwei Teilstaaten mit weitgehender Selbstverwaltung der beiden Volksgruppen und einer gemeinsamen Zentralregierung.

Nächster Artikel